Das Lieblingsmenü des Abendblatts wird auch im Restaurant Vlet serviert - fast alle Zutaten kommen aus dem Norden. So auch Schnecke und Hummer.

HafenCity. Das Restaurant Vlet liegt etwas versteckt zwischen alter Speicherstadt und neuer HafenCity. Auf der einen Fensterseite blickt man auf ein Fleet - daher der aus dem Althochdeutschen stammende Name des Restaurants -, auf der anderen Seite sind die Neubauten der HafenCity zu sehen. Man erreicht das Restaurant im ersten "Boden", dem ersten Stock, über eine Eisentreppe. Auch die Küche muss sich nicht verstecken. Im oberen Preisniveau angesiedelt, wurde sie aktuell für die modernen, norddeutschen Kompositionen mit 15 von 20 möglichen Punkten im renommierten Restaurantführer Gault Millau ausgezeichnet. 15 Punkte stehen für einen "hohen Grad an Kochkunst, Kreativität und Qualität".

+++ Küchenchef Sampl: Bei Fleisch macht ihm keiner was vor +++

Doch zuerst beeindrucken die Räume der ehemaligen Lagerhalle: Unverputzte, rote Backsteinwände, eine Rundbogendecke, rustikale Holztische und dazu viel Schickes aus der Design-Abteilung, wie beispielsweise goldene Fische, urige Reste von Holzbohlen, getrocknetes Seegetier und namenlose Bilder. Wer sich setzt, fühlt sich fast wie in einer hellen Katakombe. Im Laufe des Abends fällt eine weitere Eigenschaft des Vlet angenehm auf: Die Tische mit insgesamt 90 Plätzen sind in den ineinandergreifenden Räumen so locker gestellt, dass man sich prima unterhalten kann, weil der Geräuschpegel niedrig ist. Das Vlet ist ein durchgestyltes Lokal und die Idee von Nordevent-Chef Hans-Christoph Klaiber, der für sein Unternehmen "eine öffentliche Visitenkarte" haben wollte.

Mit Leben erfüllt wird die Visitenkarte durch den Koch Thomas Sampl, 32, der für seine Sache brennt und jede Diskussion über seine Speisen in eine kleine Predigt verwandelt.

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Das Vlet stellen wir als viertes Restaurant unserer Aktion "Lieblingsmenü" vor. Zuvor haben wir Heinz Wehmann mit seinem Landhaus Scherrer an der Elbchaussee, Nicolas Trautz vom Restaurant Oberon auf der Uhlenhorst und das Atlantic-Restaurant an der Alster mit Thomas Wilken präsentiert. Das Vlet wird im August und September das Lieblingsmenü servieren. Die Idee: Zum Festpreis von 59,50 Euro kommen Abendblatt-Leser in den Genuss eines Fünf-Gänge-Menüs. Zu jedem Gang gibt es einen korrespondierenden Wein. Mineralwasser und eine Kaffeespezialität sind im Preis inbegriffen.

Vor der ersten Speise geht es im Vlet schon sehr inhaltsreich los, denn die drei warm servierten Brotsorten haben es in sich: Spitzkohlbrot mit Kümmel, ein Sauerteigbrot mit Kürbiskernen und Birne sowie ein Kartoffelweizenbrot. Dazu stehen drei Buttersorten in kleinen Kugeln auf einem Servierbrett: Ziegen-, Süßrahm- und Wasserbüffelbutter. Wer alle Kombinationen testet, hat also neun Möglichkeiten. "Mein persönlicher Favorit ist das Spitzkohlbrot", sagt Thomas Sampl und erläutert, dass alle Brote frisch gebacken werden - aus Rohlingen, die die Nordevent-Küche liefert.

Dann zählt der Koch die Lieferanten der Butterspezialitäten auf; so kommt die Süßrahmbutter von "Kruses Hofmilch" in Rellingen (Kreis Pinneberg). Er ist stolz, seine Produkte von 120 Zulieferern aus der Region zu erhalten, die er alle selbst auf Reisen entdeckt und ausgewählt hat und beschreibt das Fünf-Gänge-"Lieblingsmenü": "Wir machen eine kulinarische Rundreise durch alles, was es im Vlet mal gab und gibt."

Die erste Vorspeise läuft unter dem plattdeutschen Titel "dürabel", was dauerhaft heißt: In einem tiefen Schälchen werden serviert: "Urthels" Nordseekrabbe (Firma Alfred Urthel Krabben & Fischdelikatessen aus Friedrichskoog), Kartoffel und Leinöl, "Kruse" Quark, Gartenkräuter, gebackener grüner Spargel und "Metzger Hacks" Schinken. Klingt nach Baukasten, ist aber feines Kunsthandwerk.

Zwischen den Krabben finden sich exakt geschnitzte Kartoffelwürfelchen von vier Millimeter Kantenlänge. Der gebackene Spargel ist halbiert und der Schinken gabelfertig. Und dann die Krabben! Koch Thomas Sampl läuft zur Hochform auf: "Wir verwenden nur frische Ware. Oder wir frieren die Krabben ein und tauen sie erst zur Verarbeitung auf, weil sie so schmecken müssen wie am Kutter frisch gepult."

Die Krabben im Handel seien mit Zitronensäure haltbar gemacht und würden, wenn sie aus den Niederlanden kommen, auch noch bestrahlt werden. "Wenn man die Krabben zum Beispiel mit einem Eierkuchen erhitzt, werden sie durch Zitronensäure extrem unappetitlich", sagt Sampl. Was für seine üppige Kreation nicht zutrifft.

Die Mannschaft beim Testessen diskutiert lange das kleine Gesamtkunstwerk. Neben den Krabben kommt besonders gut der Spargel an. Auch Weinlieferant Gerd Rindchen ist begeistert. Er hat einen 2011er Silvaner, trocken, Weingut Fogt, Rheinhessen, ausgesucht, sagt: "Der beste Freund des Silvaners ist die Krabbe. Seine vollendete Eleganz entfaltet er im Finale, wo er mit seinem Schmelz und dem ganz feinen, pikanten Säureschwänzchen von Urthels Nordseekrabben sanft umfängt."

Unter "Nutied" (Gegenwart) kommt die erste Zwischenspeise auf einem eleganten Holzbänkchen: "Allerlei Rübchen-Suppen" in drei Mini-Weck-Gläsern. Erstens: Gelbe Karotte, Fischsuppe und saure Sahne. Zweitens: Buntmöhre, Weißkohl und geschmorte Lammbacke. Drittens: Schwarze Rübe und Hirschbirnensaft. Das ist eine kleine Lehrstunde über Möhren, die bei Thomas Sampl sehr elegant ist.

Die Zubereitung der "Gelbe-Karotten-Fischsuppe" erfordert zwölf Arbeitsgänge und beinhaltet: Gelbe Karotten, Weißen Lauch, Fenchel, Schalotten, Knoblauchzehen, Weißwein, Petersilie, Dill, Safran, Fischfond, Butter und (wenig) Mehl zum Abbinden. Gekrönt wird die Gelbe Suppe von frischem Schmand und einem Stückchen getrockneten Schmand. "Wir haben gerade die Trockenphase", sagt Koch Sampl.

Der Wein ist ein 2011er-Riesling, trocken, namens "Hungerbiene" vom Weingut Peth-Wetz, Rheinhessen. Alle drei Suppen sind mit feiner, spürbarer Süße gearbeitet. Dazu braucht man einen kraftvollen Wein mit opulenter, überwältigender Frucht und feinen Honigaromen. Rindchen: "All dies liefert in glückvoller Vollendung die Hungerbiene."

Der erste Hauptgang hat das Motto "toerst" (zuerst) - wird aber von den Testessern sofort in "Burger" umgetauft, weil die Zutaten wie im Brötchen angerichtet sind. Unten liegt ein in der Pfanne gebratenes Stück vom Zander, darüber ein (fester) Buttermilch-Krustentierschaum, dann folgen ein flaches Stück Mehlpüttknödel, junges Spitzkraut und wieder ein Stück Mehlpüttknödel. Daneben finden sich ein feiner Soßenschaum und zwei Brandenburger Schnecken mit einer Soße aus Hummerjus.

"Na, habt ihr schon die Schnecken-Diskussion!?" fragt Thomas Sampl kämpferisch, als er zum Tisch kommt.

Haben wir. Und die Frage ist: Kann man den vielen, vielen (auch unterschiedlichen) Gästen des Lieblingsmenüs Schnecken anbieten? Weinspezialist Rindchen, der eigentlich zu vollmundiger Weinlyrik neigt, stellt trocken fest: "Ohne Schnecken fällt das Rezept um." Andere entdecken bei diesem Gericht ihre "Liebe auf den zweiten Happen". So fällt der Beschluss: Die beiden Schnecken bleiben im Interesse der Vielfalt. Man könne sie ja auch beiseite legen oder dem Nachbarn zuschieben. Letzteres geschieht beim Test. Denn die Schneckenliebhaber finden die Kombination mit Hummer köstlich, und keine Schnecke geht zurück.

Serviert wird dazu ein 2010er-Grauburgunder, trocken, Ihringer Fohrenberg vom Weingut Konstanzer, Baden. Gerd Rindchen erklärt: "Fisch und Schnecken in kraftvoller Hummersoße: Das fordert den ganzen Wein. Der noble Grauburgunder von Konstanzer kann seine vulkanische Herkunft nicht verleugnen und brilliert mit schier unendlicher, mineralischer Länge. Das passt!"

Der eigentliche Hauptgang macht viel Dampf, denn die Speisen sind unter einer Glasglocke angerichtet, die mit Rauch gefüllt ist. Motto: "Verleden Tied" (Gegenwart). Das ist rustikal, aber auch elegant. Dabei sind zwei Stücke Ueckermarker Rind, Grillsalz, Ziegenfrischkäsestampf und Lauchzwiebeln. Der Rauch aromatisiert nur kurz die Speisen, findet sich jedoch auch auf dem Gemüse und auch noch auf dem letzten Gabelbissen. Eine super Inszenierung! Und für den Koch eine Herausforderung, denn alle Zutaten müssen unter der Glocke so angerichtet sein, dass beim Servieren und dem Abnehmen der Glocke keine Speisen oder Soßen daran kleben bleiben. Sampl: "Die Glocke muss sauber bleiben!" Das Fleisch stammt aus der Flanke eines Rindes, das auch mit Apfeltrester und Apfelschalen zugefüttert wird. Der 2009er-Spätburgunder, trocken, Ihringer Fohrenberg, kommt vom Weingut Konstanzer, Baden. Für Gerd Rindchen ein "diskreter" Wein: "Schieferfarben im Glase funkelnd, ist er eine Liebe auf den zweiten Schluck: Seine vulkanische Mineralität und das präsente Säuregerüst lassen ihn im ersten Moment fast spröde erscheinen, erblühen aber im Wechselspiel mit dem herzhaften Fleisch zu voller Schönheit."

Der Nachtisch unter dem Motto "Sluss" (Schluss) ist eine Anspielung auf "After Eight"-Täfelchen. Auf einem länglichen Teller finden sich in Rooibuschtee eingelegter Pfirsich, ein eisiges Minz-Sorbet, Minzbutter und Schokolade als Knusper mit Mandeln und als Creme. Das ist auf der Zunge wie eine steife Brise und ein toller Abschluss des feinen Essens. Weil das Dessert so frisch ist, kommt der Wunsch nach Sommer auf.

Der Wein ist ein 2009er-Bacchus Beerenauslese, Peth-Wetz aus Rheinhessen, und lässt Gerd Rindchen wieder frohlocken: "Als ob man in eine frisch geerntete, süße Traube beißt. Der Wein offenbart die pure, zupackende Frucht im Glas. In Verbindung mit den vielschichtigen Noten des Desserts eine vollendete Harmonie aus Süße, Säure und Sinnlichkeit."