Um den Zuzug von gut 100.000 Neubürgern zu bewältigen, muss Hamburg seinen Stadtverkehr neu organisieren. Dazu tagte die neue Stadtwerkstatt.

Hamburg. Gut 100.000 Neubürger werden in den kommenden Jahren nach Hamburg ziehen. Die Stadt mit dann 1,9 Millionen Einwohnern muss deshalb künftig ihre Wohnhäuser nicht nur höher bauen als bisher, sie muss auch mit einer anderen Verkehrspolitik reagieren, um den wachsenden Stadtverkehr bewältigen zu können. Das forderten am Wochenende Stadtplanungsexperten während der Auftaktveranstaltung der neuen Hamburger "Stadtwerkstatt". Unter diesem Begriff soll künftig die Bürgerbeteiligung bei der Stadtplanung in Hamburg zusammengefasst werden. Während der Diskussion auf Kampnagel mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ging es vor allem um die Frage, wie Hamburg auf dieses Wachstum reagieren müsse. Die Einschätzung der Runde war recht einmütig: Verdichtung und neue Formen der Mobilität sind gefragt.

Das Auto sei dafür allerdings das am wenigsten effiziente Mittel, sagte etwa der Verkehrswissenschaftler Professor Philipp Rode (London School of Economics). Der Hamburger Architektur-Professor Friedrich von Borries forderte ebenfalls "eine andere Form der Mobilität". Doch dafür genüge es nicht, mit "Pillepalle" wie abgesenkten Bürgersteigen an Bushaltestellen zu reagieren, sondern man brauche radikalere Maßnahmen. Besonders der Busverkehr werde eine größere Rolle spielen, während das Auto zurückstecken müsse. Auch Bürgermeister Scholz bekräftigte auf Nachfrage überraschend deutlich, dass der von ihm angekündigte Ausbau des Busverkehrs in der Stadt auch bedeutet, dass für die Pkw künftiger weniger Raum zur Verfügung stehen werde. Man brauche eben eine "Demokratisierung des Straßenraumes", so der Bürgermeister.

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Tatsächlich nimmt der Autoverkehr im Stadtverkehr besonders viel Platz ein, wie der Verkehrswissenschaftler Rode im Gespräch mit dem Abendblatt sagte (siehe Text unten). Erfolgreiche Schnellbussysteme wie in Kolumbien oder auch U-Bahnen könnten bis zu 40 000 Menschen pro Stunde bewegen, bei Pkws seien es gerade einmal 700. Noch gravierender sei die Zahl, die Wissenschaftler als Platzbedarf ermittelt hätten: Ein Fahrgast im Bus benötigt danach etwa 1,5 Quadratmeter Fläche im Straßenraum, der meist einzelne Autofahrer hingegen bei Tempo 50 ganze 150 Quadratmeter.

Dass schon jetzt bei den Stadtbewohnern offensichtlich ein Umdenken stattfindet und das Auto bald nicht mehr erste Wahl ist, vermutete während der Diskussion der Hamburger Investor Jean-Jaques de Chapeaurouge (Norddeutsche Grundvermögen Bau- und Entwicklungsgesellschaft). So habe er für ein Innenstadtobjekt gerade eine IT-Firma mit mehr als 500 Mitarbeitern als Mieter gewinnen können. "Doch von den vielen Stellplätzen dort konnte ich nicht einen einzigen vermieten. Die kommen heute alle mit Rad oder Bus", so Chapeaurouge.

Doch wo sollen neue Busspuren für solche Arbeitnehmer verlaufen, wer gleicht Interessen aus, wenn neu und höher gebaut werden soll in Hamburg? Schon jetzt flammt regelmäßig Bürgerprotest auf, wenn aus einer Wiese Bauland gemacht werden soll. Bisher reagierte Hamburg wie bei der Uni-Vergrößerung oder der neuen Mitte Altona mit verschiedensten Formen von Bürgerbeteilung wie runden Tischen, Workshops oder Info-Veranstaltungen. Künftig sollen einem Senatsbeschluss zufolge alle diese Formen unter dem Dachbegriff Stadtwerkstatt zusammengefasst werden. Wichtigste Neuerung: Die Stadtwerkstatt soll künftig ausdrücklich vor Architekten- und Städtebauwettbewerben eingeschaltet werden - und nicht erst danach, wenn die Planung zum größten Teil schon fest steht. "Wir schaffen in Hamburg eine neue Planungskultur", sagte Bürgermeister Scholz. Die Stadtwerkstatt solle Planung transparenter machen und frühzeitig informieren. Man wolle, so Scholz, aus Betroffenen Beteiligte machen. Was man nicht will, sagte der Bürgermeister aber auch: Die Stadtwerkstatt sei "kein Vorwand, sich vor Entscheidungen zu drücken". Mit anderen Worten: Auch mit einer neuen Stadtwerkstatt werden die polischen Gremien wie Bürgerschaft oder Bezirksversammlung die Entscheidungen treffen müssen. Was die Experten in der Runde auch nicht bemängelten. Allerdings dürfe es auch keine "Beteiligungsdekoration" geben, forderte Architektur-Professor von Borries. "Das führt zu nix." Die Chance aber sei, die Kompetenz der Anwohner frühzeitig bei der Planung zu nutzen.