Längst geht es nicht mehr nur um die Zukunft der Währung, sondern um die Frage, wer den Kontinent regiert. Politiker oder Spekulanten?

Hamburg. Martialischer ging es in Friedenszeiten selten zu. Wer die aktuellen Börsenberichte verfolgt, fühlt sich an Kriegsreportagen erinnert - es gibt Entscheidungsschlachten, Angriffe und Verteidigungsstrategien. Wer den Kursverfall des Euro betrachtet, denkt unweigerlich an einen Kampf - man liest von Kursmassakern, Attacken, Einbrüchen. Und wer der Rhetorik lauscht, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Selbst Politiker aus FDP und CDU agitieren gegen Spekulanten und Märkte in einem Ton, den früher nicht einmal Oskar Lafontaine angeschlagen hätte. Guido Westerwelle (FDP) nennt Rating-Agenturen "Brandbeschleuniger der Krise", und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt will Profiteure der Schuldenkrise gar anprangern und brandmarken.

Und die Regierung beschränkt sich nicht auf Reden - sie fährt seit gestern schwere Geschütze gegen "die Spekulanten" auf. Riskante Börsenwetten, sogenannte ungedeckte Leerverkäufe, wurden über Nacht verboten, ein mit den europäischen Partnern unabgestimmter Alleingang. Und Angela Merkel, die sich noch am Wochenende vehement auf dem Gewerkschaftskongress gegen eine Finanzsteuer gewehrt hatte, erklärt keine 48 Stunden später, dass sie genau diese Steuer nun anstrebt.

Die Lage an den Märkten und in den Regierungssitzen ist unübersichtlich, mitunter chaotisch. Denn zwischen Politik und Märkten tobt ein Kampf um die Macht. Die Politik, getrieben durch den dramatischen Kursverfall des Euro, versucht die Spekulation gegen die Gemeinschaftswährung niederzuringen. Angela Merkel, die eher bedächtige Kanzlerin, brachte es gestern in ihrer Regierungserklärung auf den Punkt: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa."

Es geht an den Devisenmärkten um nichts weniger als um die Frage, wer eigentlich regiert. Sind es noch die demokratisch gewählten Regierungen in den Industriestaaten oder sind es doch längst die Finanzmärkte, die Takt und Richtung vorgeben?

Geklärt ist nur das Schlachtfeld - der Finanzmarkt. Es geht um den Euro. Jean-Claude Juncker, Eurogruppen-Chef, sprach jüngst von einer "Attacke wilder und blinder Spekulation" und erklärte, es sei eine globale Operation in Gang, die Währungsunion in ihren Grundfesten zu erschüttern. Der Chef der deutschen Finanzaufsicht, Jürgen Sanio, warnte gar vor einem "Angriffskrieg gegen die Euro-Zone".

Es ist die Stunde der Vereinfacher.

Ganz so einfach ist die Lage nicht, der Gegner ist kaum zu fassen. Es ist kein Kampf zwischen Kontrahenten auf Augenhöhe, es ist ein unübersichtlicher Kampf, ja ein "asymmetrischer Krieg". Auf der einen Seite stehen die Staaten und ihre Regierungen, auf der anderen Seite die "Spekulanten". Diese haben kaum mehr gemein als den Sammelbegriff: Es sind Banken, Investmentfonds, Hedgefonds - es sind Großinvestoren, aber auch viele Kleinanleger, deren Geld verwaltet wird. Sie kämpfen nicht direkt gegen Europas Regierungen, sondern bloß für ein Ziel: eine hohe Rendite. Es gibt keinen Masterplan, sondern nur viele Investoren, die auf einen Kursverfall des Euro setzen. Der Moment ist günstig, denn Griechenland und einige weitere südeuropäische Vertreter des "Club Med" haben mit ihrer laxen Finanzpolitik auf Pump den Euro angreifbar gemacht.

Auch wenn jeder einzelne Anleger für sich rational agiert, ist die Summe ihres Handelns im Ergebnis oft irrational. Die Herde der Investoren kennt keine Schwarmintelligenz - sie ist getrieben von Gier und Angst, diese Herde rennt in eine Richtung und verursacht Übertreibungen an den Märkten.

So gleicht das Ringen um den Euro nicht einem Duell, sondern eher einem Schlachtengemälde des holländischen Malers Pieter Snayers. Im Vordergrund lassen sich noch Akteure erkennen, dahinter zerfasert das Geschehen. Ähnlich ist derzeit die Situation an den Märkten.

Seit Wochen versucht die Politik, aus der griechischen Krise keinen europäischen Flächenbrand werden zu lassen. Doch obwohl die Hilfsprogramme immer größer werden, fällt der Euro weiter. Erst vor gut einer Woche hatten die EU-Finanzminister einen gigantischen Rettungsschirm aufgespannt und ein 750-Milliarden-Euro-Paket geschnürt. Es sollte das Vertrauen in den Euro wieder herstellen - seitdem verlor die Gemeinschaftswährung weitere fünf Cent.

Längst ist die Politik vom Gestalter zum Getriebenen geworden. Und in den Hintergrundgesprächen verstecken viele Politiker nicht einmal mehr ihre Wut. Über alle Parteigrenzen hinweg hat sich der Eindruck verfestigt, genau die großen Investoren, die man im September 2008 vor dem Untergang gerettet hatte, zerstören nun das größte politische Werk des Kontinents, den Euro. Dankbarkeit hatten die Politiker nicht erwartet, doch eine Spekulation gegen den Euro auch nicht. Es ist nicht die erste Enttäuschung, die die Finanzmärkte der Politik bereiten. Viele denken heute wie Bundespräsident Horst Köhler, der die Märkte "Monster" nennt.

So populistisch die Aussage des einstigen Chefs des Internationalen Währungsfonds auch sein mag - sie ist plastisch. Um in der Diktion zu bleiben: Die Politik hat diese Monster zwar nicht geschaffen, aber genährt und groß gemacht.

Alles begann mit der Deregulierung der Finanzmärkte in den 70er-Jahren und beschleunigte sich zu Ende des Jahrtausends. Gerade die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder befreite die Märkte von vielen Regeln und Hemmnissen: Hedgefonds wurden zugelassen, Beteiligungsverkäufe von Private-Equity-Gesellschaften begünstigt, Verbriefungen und moderne Finanzinstrumente erlaubt - übrigens jene Derivate, die der Börsenguru Warren Buffett später als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnete. Diese Deregulierung war damals Konsens in der Politik - es regierte die Globalisierungsbegeisterung und es ging um milliardenschwere Geschäfte, die nicht nur in den angloamerikanischen Finanzzentren, sondern eben auch in Frankfurt möglich werden sollten.

Fünf Jahre später stand die Weltwirtschaft am Rande des Abgrunds. Ausgangspunkt war eine Blase am amerikanischen Immobilienmarkt. Immer neue Produkte, immer komplexere Kreditausfallversicherungen hatten lange Zeit die Investmentbanken wunderbar genährt. Man benötigte immer weniger Kapital, um immer höhere Renditen zu erzielen, die Blase wuchs und wuchs. Als der US-Immobilienmarkt, auf dem der Boom gründete, ins Trudeln kam, brach die Finanzpyramide zusammen. Allen voran erwischte es die US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008. Der Lehman-Vermögensverwalter George Walker erinnert sich, dass er dem damaligen Präsidenten George Bush in einem Notruf klarmachen wollte, was passiert, "wenn sechs Billionen Dollar in Kreditausfallversicherungen, 30 Milliarden an Hebelkrediten, 40 bis 60 Milliarden an Hypothekenpapieren auf Wohnimmobilien und noch mal 30 bis 40 in Papieren auf Gewerbeimmobilien mit einem Schlag in die Luft fliegen". Der US-Präsident war nicht zu sprechen, die Billionen flogen in die Luft. Über Nacht funktionierte das gesamte Weltfinanzsystem nicht mehr.

Zwei Wochen später hatte die Bundesrepublik ihren Fall Lehman. Die Münchner Hypo Real Estate war klinisch tot und wurde in einer dramatischen Aktion von der Politik, von Angela Merkel und dem Finanzminister Peer Steinbrück sowie den deutschen Banken gerettet. Der Staat sprang ein und sicherte das Finanzsystem.

Wie teuer dieses Manöver die Steuerzahler letztlich kommt, lässt sich noch nicht beziffern. Klar ist nur: Wäre die Politik nicht hineingegrätscht, wären Finanzhäuser weltweit gekippt wie Dominosteine.

Doch auch ohne den Super-GAU war der Preis für die Politik viel höher als für die Investoren. Während viele Geldhäuser längst wieder Milliardengewinne erzielen, mussten die Staaten gigantische Konjunkturprogramme auflegen, um die strauchelnde Wirtschaft zu stabilisieren. Das Geld hatten die Regierungen nicht, sondern mussten es sich an den Kapitalmärkten beschaffen - ein einträgliches Geschäft für die Investmentbanken, die so an der Krise noch verdienen.

Die erste Finanzkrise nährt so die nächste. Nicht einmal 20 Monate später sind es in Europa nun die hohen Schulden und die Staatsdefizite, die das Desaster verstärken. In guten Zeiten hatten fast alle Regierungen schlecht gewirtschaftet und Milliardendefizite angehäuft - ein Fehlverhalten, dass sich in der Krise bitter rächt. Denn die Märkte bezweifeln, dass sich die Länder von diesen Schulden befreien können und spekulieren auf deren Pleite.

Die Staaten stehen längst am Rande des Offenbarungseids: Die Krise hat Billionen an Werten vernichtet, Millionen Arbeitsplätze gingen verloren; das deutsche Bruttoinlandsprodukt sank um in Friedenszeiten nie gesehene 4,9 Prozent, die Steuereinnahmen kollabieren, die Sozialausgaben explodieren. Die Politik, eben noch Retter der Welt, steht mit dem Rücken zur Wand. Welch Fluch der guten Tat.

Das erklärt die Wut der vermeintlich Mächtigen - und das macht sie auch für ihre Gegenspieler gefährlich.

Direkt nach der Lehman-Krise verpassten die Regierungen auf diversen Gipfeltreffen, das Finanzsystem zu reformieren und stärker zu regulieren. Die zweite und letzte Chance wollen Europas Regierungen nicht fahren lassen. Und so agieren auch konservative Politiker derzeit eher wie die Globalisierungsgegner von Attac als wie Marktwirtschaftler. Sie werfen alte Positionen über Bord, auch nationale Alleingänge werden durchgedrückt. Mit dem Verbot von Leerverkäufen setzte die Bundesregierung ein Ausrufezeichen.

Die Kritik der Märkte folgte auf den Fuß: Der deutsche Aktienindex DAX rutschte um 2,7 Prozent unter die Marke von 6 000 Punkten. Experten der Commerzbank sprachen von einer "Verzweiflungstat". Nun laufe die Politik Gefahr, "den Eindruck zu erwecken, man wolle den Markt in eine Richtung zwingen". Zur Erinnerung: Es war die Bundesregierung, die die Commerzbank im Dezember 2008 über den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung rettete, ein Viertel der Commerzbank-Anteile gehören nun dem Bund.

Kornelius Purps, Zinsstratege bei Unicredit, empörte sich: "Das darf die Aufsicht nicht tun", und erinnert dabei an einen Spieler, der sich über Spielregeln ereifert. Das alles zeigt, wie blank die Nerven liegen.

Wer regiert eigentlich wen? Diese Frage scheint schwerer zu beantworten denn je. Alexander Rüstow, einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft, hat es 1932 schon so formuliert: "Ich bin in der Tat der Meinung, dass nicht die Wirtschaft unser Schicksal ist, sondern der Staat, und dass der Staat auch das Schicksal der Wirtschaft ist." Er wollte einen starken Staat, "oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessensgruppen".

Viele kluge Banker sind damit einverstanden. Folker Hellmayer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, lobte kürzlich im "Manager Magazin": "Ich sehe daher in dem Vorstoß der Bundesrepublik auch ein Fanal, endlich auf internationaler Ebene eine Regulierung auf die Beine zu stellen, die die Spielwut der globalen Bankenaristokratie so weit einschränkt, dass sie die weltweite Finanzarchitektur und damit auch die globale Wirtschaft nicht weiter beschädigt."

Doch selbst wenn inzwischen in vielen Geldhäusern nachdenklichere Töne anklingen, die Märkte sind so nur langsam zu bremsen, nicht aber zu stoppen. Denn es fehlt der Masterplan der Spekulanten, jeder handelt auf eigene Rechnung.

So gilt: Die Schlacht ist noch nicht entschieden. Siegen die Regierungen, werden viele Investoren und auch die Marktwirtschaft leiden. Schon jetzt ist das Vertrauen der Menschen in das System nachhaltig erschüttert. Siegen aber die Märkte, droht ein politischer Erosionsprozess, der unabsehbare Verwerfungen zur Folge hat. Wenn Staaten kippen, werden die Bürger nicht die Zeche für die Spekulanten zahlen. Dann geht es nicht nur um die Marktwirtschaft, sondern um den inneren Frieden, die Demokratie. Dann geht es, wie Angela Merkel es gestern formulierte, um die Existenz Europas.

Wer sich am Ende durchsetzt, ist ungewiss. Doch schon jetzt steht zu befürchten, dass es am Ende keine Sieger gibt, sondern nur Verlierer.