Kaum etwas fürchten die Deutschen finanziell so sehr wie die Geldentwertung. Viele Volkswirte sehen aber keine aktuten Alarmzeichen.

Hamburg. Die milliardenschweren Hilfspakete der Europäischen Union haben auf den Finanzmärkten bisher noch nicht ihre gewünschte Wirkung entfaltet. Das anhaltende Misstrauen der Investoren gegenüber dem Euro hat die Gemeinschaftswährung gestern auf ein Vier-Jahres-Tief gedrückt. Der Euro fiel mit 1,2237 Dollar auf den tiefsten Stand seit April 2006. Unterdessen wächst in Deutschland die Angst vor Inflation, obwohl die Preissteigerungsrate in den vergangenen Monaten deutlich unter der von der EZB festgelegten Obergrenze von zwei Prozent liegt. Die Meinung über die künftige Entwicklung ist unter Ökonomen gespalten.

Viele Volkswirte sehen derzeit keine akuten Alarmzeichen für eine galoppierende Inflation. Die aktuellen Inflationsraten pendeln seit Monaten um die Ein-Prozent-Marke, für 2010 und 2011 erwarten die meisten Institute moderate Preissteigerungsraten zwischen 1,5 und 2,0 Prozent. Grund für diese stabile Prognose ist das schwache Wirtschaftswachstum in Europa. Die Unternehmen leiden tendenziell an Überkapazitäten und schlechter Auslastung ihrer Produktionskapazitäten, viele Bürger verfügen angesichts von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit über rückläufige Einnahmen. Auch die Lohnerhöhungen fielen in Deutschland bisher eher niedrig aus. Diese Faktoren zusammen lassen wenig Spielraum für Preiserhöhungen. "Es gibt derzeit kein inflationäres Umfeld", sagt Gustav Horn, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts IMK.

Zwar ist in der nächsten Zeit wieder mit einem Anstieg des Welthandels zu rechnen. Gleichzeitig dürften alle Euro-Länder versuchen, ihre Haushalte durch Einsparungen oder Steuererhöhungen zu konsolidieren; dies würde das zur Verfügung stehende Geld der Bürger wiederum verringern und Investitionen unattraktiver macht. Solange die Nachfrage nach Waren aber nicht stark wächst, ist es wenig wahrscheinlich, dass die Inflation steigt.

Eine mögliche Gefahr geht von der Geldmengenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) aus. So bringt die EZB mit dem Aufkauf von Staatsanleihen viel Geld in den Umlauf, was die Ängste der Geldentwertung nährt. Gleichzeitig kündigten die Notenbanker aber an, das in den Markt gepumpte Geld an anderer Stelle wieder zu "sterilisieren". Für dieses Verfahren gibt es nach Einschätzung des Haspa-Analysten Jochen Intelmann für die EZB mehrere wirksame Instrumente. So stellt die EZB jede Woche sogenannte Tender - Geldmengen - mit einer Laufzeit von mehreren Monaten den Banken zur Verfügung, damit diese sich Geld für ihre Liquidität leihen können. Wird beispielsweise die Rückzahlung eines Tenders durch die Banken von 100 Milliarden Euro fällig, könnte die EZB bei der nächsten Ausschreibung den Banken nur 60 Milliarden Euro anbieten. Unterm Strich wären damit 40 Milliarden Euro dem Geldkreislauf entzogen. Wichtig ist, so Intelmann, dass die zusätzliche Geldmenge nicht nachfragewirksam wird, also in Form von Krediten an die Bürger weitergegeben wird. Doch auch hier verhalten sich die Banken derzeit restriktiv. Aus Angst vor neuen Abschreibungen und neuen Risiken vergeben viele Geldinstitute deutlich weniger Kredite. Stattdessen horten viele Banken Milliarden Euro. "Ich halte die Inflationsangst deshalb für übertrieben", sagt Intelmann. Auch Horn hat großes Vertrauen in die Geldpolitik der EZB: "Die EZB kann die aufgekauften Staatsanleihen auch wieder verkaufen. Eine höhere Inflation wird es daher nicht geben."


Inflation droht, wenn viel mehr Geld und damit Nachfrage in den Wirtschaftskreislauf gepumpt wird, als dem an realer Leistung gegenübersteht. Die Notenbanken in den USA und in Europa haben seit 2007 Hunderte Milliarden Dollar und Euro an Bürgschaften und an zusätzlicher Liquidität bereitgestellt, um die Finanzmarktkrise zu überwinden. Nun kauft die Europäische Zentralbank Staatsanleihen auch noch des hoch verschuldeten Griechenland auf. Bundesbank-Chef Axel Weber, Mitglied im EZB-Rat, fürchtet "erhebliche stabilitätspolitische Risiken".

Auch andere Ökonomen warnen vor einer Geldentwertung in Europa: "Ich glaube zwar nicht an einen selbsttragenden Aufschwung", sagt Claus Vogt, Chefanalyst der Quirin Bank, "aber sollte diese Hoffnung vieler Politiker in Erfüllung gehen, würde die Umlaufgeschwindigkeit des zusätzlichen Geldes sehr schnell steigen. Dann bekämen wir schon 2011 oder 2012 eine deutlich höhere Inflation."

Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), warnt ebenfalls vor dem Inflationsrisiko: "Ich teile die Sorge, dass sich angesichts der immensen Staatsschulden, der tiefen Zinssätze und der lockeren Geldpolitik der EZB ein Gebirge der Geldentwertung aufbaut."

Völlig unklar ist, wie die hoch verschuldeten Staaten diese Last drücken wollen - mit dem Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre ist das weder in den USA noch in Europa möglich. Vor allem Ökonomen in den USA plädieren deshalb dafür, die Staatsschulden durch eine gezielte Geldentwertung - von beispielsweise sechs Prozent über mehrere Jahre - "hinweg zu inflationieren". In Europa und Deutschland werden solche Vorschläge bislang klar abgelehnt.