Elektronische Zeitvernichter gibt es in unserem Haushalt nicht. Warum meine Kinder mit ihrer Kreativität spielen sollen anstatt mit Gameboys.

Hamburg. "Schau mal Papi, da ist wieder dieses dumme Ding." Mein Sohn Ricklef zeigte auf den Prospekt eines Elektronikfachmarktes, in dem ich gerade blätterte. Das "dumme Ding" war ein Gameboy, der dort feilgeboten wurde. Im Taumel eines pädagogischen Etappensieges grinste ich meinen fünfjährigen Junior stolz an. Er mag diese Spielekonsolen für die Jackentasche nicht. Er spielt lieber mit Legosteinen, schnitzt Stöcke, klettert oder kickt im Garten und lässt sich "Wickie"- oder "Willi"-Bücher vorlesen.

Klar, daran sind Mami und Papi nicht unschuldig. Der PC ist für uns ein Arbeitswerkzeug, kein Spielgerät. Wii, Playstation, Nintendo DS und wie all die elektronischen Zeitvernichter heißen, gibt es in unserem Haushalt nicht. Lene, unsere Tochter, ist acht Jahre alt und fragt nicht nach den Konsolen, mit denen viele ihrer Klassenkameraden bereits herumdaddeln. Sie liest lieber. Oder spielt mit Puppen und Ginger, ihrem Stoffpferd. Das kann auf Knopfdruck schnauben, wiehern und Trabgeräusche machen. Batteriebetrieben. Es ist also keineswegs so, dass meine Kinder nur mit Briobahn, Murmelbahnen aus einheimischem Ahorn und anderem pädagogisch wertvollen Spielzeug aufwachsen. Eine Holzpuppenstube aus deutscher Herstellung, Lenes Weihnachtsgeschenk 2005 und ein unerfüllter Kindheitstraum meiner Frau Susanne, fristet ein Dasein als Staubfänger im Kinderzimmer. Ganz anders eine Sammlung von inzwischen 25 Barbie-Puppen mit Pferdestall und pinkfarbener Märchenkutsche, die immer wieder aus zwei Pappkisten auferstehen. Germany's Next Topmodel made in China statt zertifizierter Holzwirtschaft mit speichelfesten Farben - das müssen Eltern erst einmal verkraften.

Aber meine Kinder sind glücklich, wenn sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen können. Als Lene fünf Jahre alt war, hat sie uns stundenlang mit Rollenspielen beschäftigt. Als armes Waisenkind sollten wir sie im Wald auflesen und ihr eine neue Familie sein. Was Kinderpsychologen beunruhigen würde, war für sie einfach ein tolles Spiel. Auch heute liebt sie es, mit ihrem kleinen Bruder oder mit Freundinnen in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Dafür braucht es nicht viel. Ein paar Klamotten und Tücher zum Verkleiden, Kissen und Decken zum Bauen einer Höhle, das war's. Klar, das Trampolin und das Schaukelgerüst im Garten werden intensiv strapaziert, aber viel häufiger finde ich die zwei Kletteräffchen in den Bäumen.

Die Nutzung von Spielzeug unterliegt ebenso der elterlichen Metaweisheit "Das sind alles nur Phasen" wie etwa das Trotzverhalten, Fangefühle für Tokio Hotel und den FC Bayern oder der rege Tauschhandel mit Pokemon-Karten. So vegetiert der Zoo aus Schleich-Tieren oft monatelang in seiner Tromfast-Kiste dahin, um dann zwei Wochen lang intensiv genutzt zu werden. Kinder planen ihr Spiel nicht systematisch wie unsereiner ein Projekt, sondern handeln impulsiv. Und sie sind überfordert, wenn ihre Impulse durch zu viel Spielzeug hin und her gestoßen werden wie Kugeln in einem Flipperautomaten. Es kommt also auf die Dosis an. Ab und zu mit einem Gameboy zu spielen wird niemandem schaden. Zugegeben: Bei längeren Autofahrten kann es sogar erholsamer sein, wenn der Nachwuchs seine Welt auf den winzigen Bildschirm und einige Knöpfe reduziert als das sechste Mal "Bibi Blocksberg" oder "Räuber Hotzenplotz" zu hören.

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Es ist sicher nicht fair, Computer, Videospiele und Gameboys für Übergewicht, schwache körperliche Konstitution und Dummheit bei Teenagern verantwortlich zu machen. Im Gegenteil: Die pauschale Geißelung der modernen Medien ist falsch. Computer können durchaus unsere Auffassungsgabe, unsere kognitiven Fähigkeiten und unsere Reaktionsgeschwindigkeit schulen. Aber ich stelle immer wieder fest, dass diejenigen Kinder, die viel Zeit mit elektronischen Spielen verbringen, auch noch lange vorm Fernseher sitzen. Dieser gesteigerte Medienkonsum, kombiniert mit wenig Lesen, kaum Bewegung an frischer Luft und knapp bemessener Spiel- und Gesprächszeit in der Familie, raubt den Kindern Lebensqualität. Und dafür sind wir Eltern verantwortlich. Übervolle Gabentische ersetzen keine persönliche Zuwendung.

Weniger ist mehr - dieser simple Spruch trifft es. Das einzige Spielzeug, das ich aus meiner Jugend noch aufbewahrt habe, sind mehrere Kisten voller Legosteine. Natürlich hat mein Sohn sich darüber mächtig gefreut, aber er ist an der Fülle mehrerer Tausend Steine schier erstickt. Gebaut hat er dann nicht mehr damit. Daraufhin habe ich die Steine wieder eingepackt und gebe sie jetzt nur sukzessive her, damit er seine Baukünste langsam entwickeln kann. Vater und Sohn beim gemeinsamen Bauen mit Lego sind seither fester Bestandteil unseres Wochenendes, ebenso wie der Spielenachmittag zu viert am Sonntag. Darin zeigt sich wiederum, dass wir Eltern uns im Spielzeug unserer Kinder immer auch selbst verwirklichen. In zwei, drei Jahren komme ich also endlich zu einer Carrerabahn!