Hamburg. In Flottbek und Harvestehude kannte jeder die Marktbeschicker Gerhard und Agnes Kröger. Was die Hamburger alles erlebt haben.

Solche Nachbarn sind ein Traum: Als Peter Koletzki vor drei Jahren in ein schmuckes Reihenhaus am Trenknerweg in Othmarschen zog, freundete er sich rasch mit Agnes und Gerhard Kröger an, die zwei Häuser weiter wohnen. Die vielen Geschichten der beiden faszinierten den Hobby-Schriftsteller so sehr, dass er eine 25-seitige Broschüre über die Krögers schrieb. Sie hat den Titel „Woche für Woche – eine Marktgeschichte“.

Die Lebensleistung der beiden Hamburger ist in der Tat beeindruckend: 67 lange Jahre war Gerhard Schröder in Flottbek auf dem Wochenmarkt im Einsatz, 40 Jahre auf dem Turmweg-Markt in Harvestehude.

Wochenmarkt Hamburg: Lange Schlangen an Feinkost Kröger in Flottbek

Seit der Hochzeit 1958 immer mit dabei: Ehefrau Agnes, die er einst ausgerechnet beim Zahnarzt kennengelernt hatte. Für Besucherinnen und Besucher, die mit halbwegs offenen Augen (und Ohren) über diese Märkte gegangen sind, dürfte es schwer sein, die Krögers nicht zu kennen. Und über all die Jahre lobte man vor allem ihre Schinkenspezialitäten: Roh, oder auch Prager, Blume, Pape – alles wurde jahrein jahraus auf einem Holzblock portioniert und sorgfältig klein geschnitten.

50 Jahre auf dem Flottbeker Wochenmarkt – ein Grund zum Anstoßen: Agnes und Gerhard Kröger feiern.
50 Jahre auf dem Flottbeker Wochenmarkt – ein Grund zum Anstoßen: Agnes und Gerhard Kröger feiern. © Privat

Bis zu einer halben Stunde standen die Kundinnen und Kunden in der Spargelzeit bei „Feinkost Kröger“, den alle nur als Schinken-Kröger kannten, Schlange – andernorts kaufen kam nicht infrage. Noch ein Renner war handgemachter Schweinebraten mit Gelee, und ein paar ausgesuchte Käsesorten gab es auch.

Hamburg-Othmarschen: Das Ehepaar Kröger ist mittlerweile 91 und 93 Jahre alt

Peter Koletzki ist ein fröhlicher, jovialer Typ, der viel lacht. Jahrzehntelang war er selbstständiger Schiffsmakler, und dass er zum Besuch der Zeitung top gekleidet erscheint – Blazer inklusive –, ist für ihn selbstverständlich. Im Haus der Krögers geht es dann ungezwungen zu. Gerhard Kröger, 91 Jahre alt, riesengroß und breitschultrig, bietet „ein Gläschen“ Rotwein an, Ehefrau Agnes, noch zwei Jahre älter und wie Anfang 80 wirkend, lächelt nachsichtig.

Das Leben als – wie es offiziell heißt – Marktbeschicker ist ja auch heute noch ziemlich beschwerlich, aber in den Anfangsjahren muss es geradezu strapaziös gewesen sein.

Flottbeker Wochenmarkt startete schon 1955 an anderer Stelle als heute

Schon 1949 startete Gerhard Kröger, zunächst als Lehrling, auf einer kleinen Marktfläche am Kalckreuthweg in Groß Flottbek mit einem Klappstand aus Holz und Planen. Aufgebaut wurde im Dunkeln, und viele Marktleute wärmten sich morgens mit einem „Lütten“ aus dem Flachmann auf. Für „Prima Salami“ bezahlte man 65 Pfennig pro 100 Gramm, und vieles gab es zunächst nur gegen Lebensmittelmarken.

Gerhard und Agnes Kröger haben mehr als 60 Jahre auf dem Wochenmarkt in Flottbek gestanden. Auch mit 91 und 93 Jahren sind die beiden Hamburger noch rüstig – trotz oder wegen der harten Arbeit?
Gerhard und Agnes Kröger haben mehr als 60 Jahre auf dem Wochenmarkt in Flottbek gestanden. Auch mit 91 und 93 Jahren sind die beiden Hamburger noch rüstig – trotz oder wegen der harten Arbeit? © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Als dieses Grundstück bebaut wurde (heute ist dort das Wohnheim Christophorus Haus), ging’s nach einigem Hin und Her 1955 auf der Marktfläche südlich der Osdorfer Landstraße weiter. 68 Jahre gibt es den Flottbeker Wochenmarkt mithin, dessen Bestand gesichert scheint – nachdem ein Neubau auf der Fläche verhindert wurde. 1976 kam dann der Standort Turmweg hinzu, später übernahm Gerhard Kröger auch noch den väterlichen Lebensmittelladen an der Großen Rainstraße.

Peter Koletzkis „Marktgeschichte“ ist voller skurriler Anekdoten. Da geht es zum Beispiel um den „Roten Erwin“, der in den 1950ern mit Pferd und Wagen anrückte und seinen Markttag mit Bier und Korn startete. Blieb das Verkaufsergebnis hinter den Erwartungen, bewarf er die Kunden mit Obst und Gemüse.

Wochenmarkt: Händler Kröger verrät nichts über die prominente Hamburger Kunden

Einmal musste Gerhard Kröger mit Holzblock, Schinken und Messer in einer vornehmen Villa antreten – um dort unter strenger Beobachtung passgenaue Scheiben abzuschneiden – für den verwöhnten Haushund.

Wer nach diversen Andeutungen Näheres über prominente Schinkenkäuferinnen und -käufer erfahren möchte, erlebt den freundlichen Gerhard Kröger unvermittelt von seiner energischen Seite. Die Augen funkeln hinter den Brillengläsern, der sonore Bass wird noch tiefer. „Namen meiner Kunden? Die bleiben hier bei mir“, teilt er kategorisch mit und schlägt sich mit der Faust auf Herzhöhe gegen die Brust. Sechseinhalb Jahre nach dem Rückzug ins Privatleben ist das eine ziemlich ungewöhnliche Ansage.

Nach dem Ausstieg ließen sich beide nicht mehr auf den Wochenmärkten blicken

Weihnachten 2016 war dann Schluss mit der Plackerei, „aus freien Stücken“, wie die Krögers betonen. Bis zuletzt waren sie an Markttagen spätestens um vier Uhr aufgestanden, oft auch schon um drei, und auch heute noch können beide nur bis sechs Uhr schlafen.

Erstaunlich auch: Seit ihrem Ausstieg sind die Krögers nicht wieder auf den beiden Wochenmärkten gewesen – obwohl sie mit vielen ihrer Standnachbarinnen und -nachbarn kollegiale Freundschaften gepflegt hatten. „Man muss rechtzeitig aufhören, den Jüngeren nicht als sein eigenes Denkmal auf die Nerven gehen“, sagt Gerhard Kröger. Die zum Teil krisenhafte Entwicklung mancher Wochenmärkte sehen beide Krögers indes mit Sorge.

Markt Hamburg: Ein Leben mit Schinken – das Rezept der Krögers für gute Gesundheit

Bleibt die Frage, wie die beiden bei stabiler Gesundheit so lange rüstig bleiben konnten. Von ein paar altersbedingten Beschwerden ist kurz die Rede – „aber das tut nix zur Sache“. Schinken, Rotwein und nachmittags mal ein trockner Martini. Sollte das eine lebensverlängernde Mischung sein? Ernährungsexperten dürfte das nicht gefallen.

„Gegessen haben wir eigentlich immer alles“, sagt Agnes Kröger, „aber wir wussten immer, dass es von erstklassigen Erzeugern kam, deren Betriebe wir meistens auch persönlich kannten.“ Gerhard Kröger fasst sein Rezept knapper zusammen: „Viel frische Luft, warme Füße. Und man darf sich nicht reinsabbeln lassen.“