Etwa eine Stunde braucht man mit dem Auto von Athen, um den felsigen Hügel zu erreichen, auf dem sich die Ruine des berühmten Poseidon-Tempels erhebt. Der Blick auf den Saronischen Golf ist großartig und vor allem bei Sonnenuntergang bieten die Säulen des 440 v. Chr. errichteten Bauwerks eine grandiose Architekturinszenierung vor der Endlosigkeit des Meeres. Hier soll König Ägeus gestanden haben, als er auf seinen Sohn Theseus wartete. Der war ausgezogen, um auf Kreta den Minotaurus zu töten. Im Siegestaumel hatte Theseus auf der Rückfahrt vergessen, die schwarzen gegen weiße Segel zu tauschen. Als er das Schiff am Horizont auftauchen sah, musste der Vater glauben, sein geliebter Sohn sei dem kretischen Ungeheuer zum Opfer gefallen. Also stürzte sich Ägeus in Trauer und Gram von den Klippen ins Meer, das nun – immerhin – nach ihm benannte wurde: als Ägäisches Meer.

Kap Sounion ist ein touristischer Hotspot, ein klassisches Ziel schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Bereits der englische Dichter Lord Byron hat seinen Namen in eine der Säulen geritzt, ein Frevel, der längst schon als Sehenswürdigkeit gilt. Heute kommen die Touristen natürlich nicht mehr direkt an die Säulen heran, der Tempel ist gut gesichert und spätestens nach Sonnenuntergang fahren die Busse mit den Tagesbesuchern wieder zurück nach Athen. Dann endlich kehrt Ruhe ein auf Kap Sounion.

Wohl zu dieser stillen Tageszeit hat der Berliner Fotograf Jan Windszus den Blick vom Poseidon-Tempel über die Bucht aufgenommen, ein Bild von anrührender Schönheit: Links die hoch aufragenden dorische Säulenreihe, rechts dahinter eine stille Bucht, hinter der sich sanfte Berge erheben. Sie ragen in den frühen Abendhimmel, der vor der scheinbar unbewegten Wasserfläche des Meeres von zartem Orange über lichtes Grau bis ins tiefe Blau der sich ankündigenden Nacht changiert.

Es ist das Titelbild eines Griechenland-Bildbandes, der eben bei Mare erschienen ist und für den Windszus vier ausgedehnte Reisen unternommen hat.

Jan Windszus zeigt uns die Schönheit Griechenlands auf Bildern, die nicht geschönt, sondern so wahrhaftig sind wie nur Kunstwerke es sein können. Wer sie im großen Format sehen möchte, kann ab dem heutigen Donnerstag eine Ausstellung in der Hamburger Galerie für Fotografie Persiehl & Heine besuchen.

Griechenland. Fotografien von Jan Windszus Galerie Persiehl & Heine (U/S Jungfernstieg), Bergstraße 11, bis 8. 11., dienstags bis freitags von 11 bis 18 Uhr, sonnabends 11 bis 16 Uhr, Eintritt frei. Das Buch ist her­ausgegeben von Nikolaus Gelpke mit Texten von Karl Spurzem, Mare, 144 S., 58 Euro