Hamburg. Hubertus Borcks Schlager-Satire feierte im First Stage Theater gelungene Uraufführung – mit alten Hits in ganz neuem Stil.

Was singt man als Bewohner in einem Senioren-Residenz? Warum nicht mal wieder ein deutsches Volkslied: „Kein schöner Land“ etwa. Das kann man als Betrachter in einem Theatersaal auch als bittere Ironie deuten – angesichts der Situation in so manchen Alten- und Pflegeheimen hierzulande. Hubertus Borck hat sich einiges dabei gedacht, wenn er sein neues, eigens für das First Stage geschriebenes Werk mit singenden, nicht mehr ganz so mobilen Alten ins Rollen bringt.

„Satirische Schlager-Komödie“, dieser Zusatz war dem Autor und Regisseur Borck wichtig bei „Zweimal um die Welt – oder wohin will Oma?“ Gelungen ist dem früheren Musik-Comedian (im Duo Bo Doerek) ein warmherziges, freches, manchmal aberwitziges und ganz schön böses Stück aktuellen Musiktheaters.

"Zweimal um die Welt" – mit Schlagern im neuen Gewand

Es tangiert mit zehn professionellen Darstellern drei Generationen. Und wann waren vermeintlich abgenudelte Schlager der 1960er- bis 80er-Jahre auf einer Hamburger Bühne mal in einem derart originellen neuem Gewand zu hören? Ein Verdienst des musikalischen Leiters Markus Voigt, ansonsten Leiter des Original Schmidts Tivoli Orchesters: Er hat 16, von Borck ausgewählte Stücke neu eingespielt und kunstvoll neu arrangiert.

Daliah Lavis „Oh, wann kommst du?“ etwa hauchen Diana Böge und Alexandra Borck in einer jazzigen Version im coolen Duett, obwohl sie als Mutter Martha und Tochter Ulrike Kramer eigentlich räumlich voneinander getrennt sind. Die 80-jährige Martha sitzt in einem Heim in Altona, nur gelegentlich schaut ihre gestresste Tochter mal auf einen Sprung vorbei. Sie hat als Chefredakteurin der Frauenzeitschrift „Cosma“ und alleinerziehende Mutter zweier pubertierender Kinder genug andere Sorgen.

Oma lässt sich bei ihrer Flucht helfen – vom syrischen Pfleger

Als in Marthas Heim unerwartet auch noch ihre beste Freundin stirbt und das Personal wechselt, büxt die Oma aus. Der neue syrische Pfleger Djadi, gespielt von Milad Soltany, hat noch versucht, Tochter Ulrike etwaige Terrorängste zu nehmen („Ihre Mutter stirbt hier eher an Altersdemenz als durch Enthauptung!“). Doch nun soll Djadi, der Name bedeutet „mein Glück“ ,der alten Dame zur Flucht verhelfen – damit kennt er sich schließlich aus. Omas Ziel ist unklar, doch die Reise umso turbulenter und musikalisch abwechslungsreicher.

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Die als Gesangssolistin bereits im Pariser Lido erfolgreiche Diana Böge, in Hamburg aus „Heiße Ecke“ und „Pompös“ (Schmidts Tivoli) bekannt, gibt ihrer Oma Martha erstaunlich viele Facetten. Mal traurig, mal resolut oder gewitzt, wenn sie sich mit Langhaar-Perücke als Katja Ebstein oder Andrea Berg „tarnt“ und mit jüngeren Fans für deren Selfies posiert. Echt komisch.

Alice Weidels Zwillingsschwester als Bürgermeisterin

Alexandra Doerk, Borcks Ex-Bo-Doerek-Partnerin, steht ihrer Kollegin Böge kaum nach, spielt und singt außer der Tochter- noch weitere Rollen. Etwa die der Ellen WeiDel (sic!), als Zwillingsschwester der AfD-Frontfrau Alice Weidel auch Bürgermeisterin von Baldhausen. Dort wird den Rechten auf lustige Art die Fratze gezeigt, in dem drei Skinheads als „Glatzen-Orgel“ mit Baseball-Keule (wenn auch nur aus Schaumstoff) Töne entlockt werden: „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, heißt es da.

Autor Borck hat zudem Spitzen auf die Medien- und Schwulen-Szene in seine Musikkomödie einfließen lassen. Trotz einiger Kalauer hebt sich „Zweimal um die Welt“ vom Niveau mancher Stücke im Schmidt ab. Musikalisch geht es bei der Reise in der variablen Kulisse ungeahnt ambitioniert zu.

Reinhard Meys „Über den Wolken“ hat Voigt in einer Flughafen-Szene regelrecht als polyfone Symphonie arrangiert. Und Vicky Leandros’ Hit „Ich liebe das Leben“ singen am Ende alle im Stil eines Songs aus Hip-Hop-Beats und New-Orleans-Grooves.

"Viva Espana" im 5/4-Takt

Und selbst beim Spanien-Medley mit dem Gassenhauer „Viva Espana“ macht ein ungewohnter 5/4-Takt das Mitklatschen kaum möglich. Nur Mary Roos’ Schlager „Einmal um die Welt“, der für den Titel des Stücks im First Stage Pate stand, ist im Disco-Samba-Rhythmus geblieben. Umso mehr lohnt sich das Hinhören beim Gesang aller zehn vortrefflichen Darsteller – bis auf Doerk übrigens alle Absolventen der dem Theater angegliederten Stage School – und das Hingucken bei ihren feinen Tanzeinlagen inklusive Stepp-Nummer.

Auch wenn der Sprung ins Jahr 2050 mitsamt „Senioren-Roboter“ am Ende recht abrupt erfolgt, bleibt das Gefühl: Diese Reise ist ein doppelbödiger, jedoch versöhnlicher, vor allem origineller Spaß. So etwas hat dem First Stage, dem kleinen Musical-Theater in Altona-Altstadt, noch gefehlt. Wenn nicht sogar ganz Hamburg.

„Zweimal um die Welt - oder wohin will Oma?“ wieder Mi, 22.1., bis 18.2., First Stage Theater (Bus 37, 112), Thedestr. 15, Karten zu 29,- bis 45,-; www.firststagehamburg.de