Er ist einer der berühmtesten Parfumeure weltweit: Der 68-jährige Franzose Serge Lutens komponiert duftende Meisterwerke.

Seine Lebensgeschichte liest sich wie die eines großen Missverständnisses. Serge Lutens gehört zu den anerkanntesten Parfumeuren weltweit. Sein Ziel war das nie. Im Gegenteil: Seine Düfte sind sperrig und komplex. Zu viel Kunst, zu wenig Kommerz. Stets antikonform, fern ab des Geschmacks der Zeit. Und gerade deshalb prägend.

Der 68-jährige Franzose, in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, wollte sich nur von dem leiten lassen, was ihn antreibt: Seiner Kreativität eine Gestalt zu geben. Mit 14 begann er eine Ausbildung zum Friseur. Lutens schnitt seinen Kundinnen extravagante Kurzhaarfrisuren mit ausrasiertem Nacken. Nicht unbedingt dem Zeitgeist entsprechend. Doch war es diese Unerschrockenheit, die ihn über eine Anstellung als Hair/Make-up-Artist der französischen Vogue hin zum japanischen Kosmetik-Konzern Shiseido führte. Anfang der 90er-Jahre entwickelte Autodidakt Serge Lutens seine ersten Düfte, ohne je eine Ausbildung abgeschlossen zu haben. Mittlerweile leitet er ein eigenes Label.

Lutens setzt Trends, obwohl er selbst, im schwarzen Maßanzug mit weißem Hemd und Manschettenknöpfen gekleidet, eher wie ein Relikt aus den 20er-Jahren wirkt. Ein Gespräch mit dem Poeten unter den Parfumeuren.

Abendblatt: Monsieur Lutens, benutzen Sie selbst täglich Parfum?

Serge Lutens: Ich teste verschiedene Kompositionen, aber ich trage sie nicht. Dem Parfum-Tick würde ich mich nie verschreiben. Es ist eine Kunst, das Besondere hervorzuheben und nicht in einen gewohnten Trott zu fallen.

Abendblatt: Welche Düfte präferieren Sie?

Lutens: Das hängt vom Thema ab. Wenn ich mit Holz arbeite, ist es Holz, bei einer Blume ist es eine Blume. Grundsätzlich bergen natürliche Grundsubstanzen für mich größere Überraschungen.

Abendblatt: Sie haben mit „L'Eau de Serge Lutens“ gerade erst einen Duft kreiert, den Sie als „Antiparfum” bezeichneten. Warum?

Lutens: Das war eine Reaktion auf unsere überparfümierte Welt: Duftkerzen und Geruchsneutralisatoren schaffen ein Negativbild des Parfums. Man muss benennen können, was man riecht, aber in dieser Welt riecht alles, und doch duftet nichts mehr. Das Antiparfum ist eine Art dies auszudrücken: Es ist ein blütenweißes Hemd, ein gebügelter Kopfkissenbezug, eine Form des Friedens außerhalb der Aggressivität der verschiedenen Geruchseinflüsse. Das Parfum ist das i-Tüpfelchen, kein Muss. Der Lohn für die Mühe, wenn Sie so wollen.

Abendblatt: Was inspiriert Sie?

Lutens: Meine Inspirationsquelle kann olfaktorisch oder literarisch sein, sogar eine komplexe Gedächtnisaufgabe. Sie verzweigt sich, verschlingt sich ineinander. Ich entwirre sie.

Abendblatt: Sie leben in einer Welt der Düfte. Gibt es welche, die Sie verehren und die Sie verachten?

Lutens: Natürlich, wie jeder, denke ich. In beiden Fällen sind sie vielfältig, aber ich habe gelernt, das Gute im spontan Verworfenen und das Schlechte im zu leicht Akzeptierten zu erkennen. Es ist gerade die Verbindung dieses „Guten“ und „Schlechten“, die die Persönlichkeit eines Parfums und unsere Verbundenheit damit ausmachen – weil man sich darin wiederfindet.

Abendblatt: Können Sie sich mit der Romanfigur Jean-Baptiste Grenouille aus „Das Parfum“ identifizieren?

Lutens: Ich will Ihnen nicht verbergen, dass diese Frage immer wieder gestellt wird. Grenouille hat keinen Geruch, aber er riecht alles. Deshalb, um einen Geruch zu erlangen, wählt er jenen, den er am meisten mag – und dieser verleugnet seltsamerweise sein eigenes Alter und Geschlecht: Es ist der Geruch von jungen, geschlechtsreifen, rothaarigen Mädchen. Er will den Geruch erlangen, deshalb mordet er. Ich vermute, dass sich Grenouille seines Mangels bewusst ist, dass der fehlende Duft seiner fehlenden Seele entspricht. Mir mangelt es daran nicht.

Abendblatt: Wäre es Ihnen denn möglich, das perfekte Parfum zu schaffen?

Lutens: Der perfekte Roman oder Film hat immer sein Publikum. Dieses „Perfekt“ ist eine Kupplung in allen Bereichen – Parfum inbegriffen. Bei dem Wort perfekt – wenn ich realistisch bin – wäre es aber eher angebracht, davon zu sprechen, es überhaupt zu einem Ergebnis zu bringen. Es zum Besten und zum Schlechtesten meiner selbst zu führen, in jedem Fall aber zum Äußersten.

Abendblatt: Sie sind in Lille aufgewachsen. Was war der Duft ihrer Kindheit?

Lutens: Alle Gerüche sind mit der Kindheit verbunden, vorausgesetzt, dass man sie in diesem Moment auf eine heftige, intensive Art wahrnimmt. Dabei wird alles aufgezeichnet und erlebt, das heißt, in diesem Moment, der erfreulich oder unerfreulich war, wird festgelegt, ob wir diesen Geruch mögen oder nicht mögen werden.

Abendblatt: Wenn Sie den Duft der Gegenwart beschreiben müssten…

Lutens: … würde ich ihn gern so benennen: Sich vom Parfum zu befreien, der flächendeckenden Odorierung entfliehen. Die Sauce weglassen, um den Geschmack des Salats wiederzuentdecken.



Abendblatt: Sie leben in Marrakesch. Wie unterscheiden sich die Düfte Europas und Afrikas?

Lutens: Die Erweckung der Sinne ist in Afrika viel stärker ausgeprägt. Vielleicht ist es dieses Manko in Europa, was uns einen Hauch Orient kaufen lässt.

Abendblatt: Sind Sie von Düften besessen?

Lutens: Ich bin auf eine generelle Art besessen, aber nicht auf Gerüche im Speziellen. Besessenheit ist die Grundlage allen Schaffens. Ohne sie würde weder etwas entstehen, noch zu Ende gebracht werden. Es ist eine Art, sich etwas vor Augen zu führen.

Abendblatt: Früher wurden Parfums gemacht, um schlechte Gerüche zu überdecken. Heute…

Lutens: Und wieder müsste man das Schlechte und das Gute näher bestimmen. Man kann nichts verstecken, indem man es übertüncht. Ganz im Gegenteil. Die Sauberkeit ist der Beginn des Luxus, das Parfum ist eine bewusst gewählte Identität. Was stinkt, stinkt auch weiterhin – mit oder ohne Parfum.

Abendblatt: Sehen Sie eine Zukunft für Haute-Couture-Parfums? Schließlich launcht mittlerweile jeder Hollywood-Star seinen eigenen Duft.

Lutens: Was ich mache, ist etwas vollkommen Individuelles und soll sich nicht einer elitären Sache verschreiben. Diese „Star“-Parfums verbergen eine Misere. So weit ich weiß, haben weder Jeanne Moreau, noch Glenda Jackson oder Marlene Dietrich ihre eigenen Parfums kreiert. Wie ich schon vorhin sagte: die Sauce weglassen, aber in diesem Fall, na ja, bin ich nicht sicher, ob man Salat findet.