Ein Auslandsaufenthalt während der Ausbildung erweitert den Horizont. Eine Investition, die sich für Arbeitgeber oft lohnt

Als Anne-Kathrin Voigts 2008 im Zuge ihrer Ausbildung bei der LPL Projects + Logistics GmbH für fünf Wochen nach Shanghai ging, war dies für die Chinesen das "Jahr der Ratte". Kein Grund jedoch für die angehende Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen, sich über das Nagetier zu freuen, das sie eines Abends in ihrem Apartment entdeckte. Der Versuch, an der Rezeption schnelle Hilfe zu finden, scheiterte an Verständigungsproblemen. Also wandte sie sich nach einer schlaflosen Nacht an eine Kollegin, die des Englischen mächtig war: "Du hast eine Ratte im Apartment? Welch ein Glück! Im Jahr der Ratte ist das ein sehr gutes Zeichen", bekam die 23-Jährige begeistert zu hören.

"Glück hin, Ratte her, ich wollte ein anderes Apartment", lacht Anne-Kathrin im Rückblick. Und trotzdem waren es gerade die ausgeprägten kulturellen Unterschiede, die ihren Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis machten. "Ob man mir wegen meiner Größe und der blonden Haare buchstäblich mit offenem Munde nachsah oder ob ich umgekehrt über die chinesischen Arbeitsbedingungen staunte, den unbedarften Umgang mit Gefahrengut zum Beispiel. Selbst ein Gang in den Supermarkt wurde wegen der unbekannten Schriftzeichen auf den Waren zum kleinen Abenteuer."

Solch anregende Vorkommnisse, die den Horizont erweitern, sind Auszubildenden durchaus zu wünschen. Nur wie steht es mit dem ökonomischen Nutzen für die Ausbildungsbetriebe? Immerhin fand Voigts Reise während bezahlter Arbeitszeit statt. "Der Vorteil besteht in Azubis, die von ihrem Auslandsaufenthalt fast ausnahmslos in ihrer Persönlichkeit gestärkt, mit neuen Impulsen und einem wertvollen Netzwerk im Gepäck zurückkehren", betont Armin Grams, Handelskammer-Geschäftsführer und Leiter im Geschäftsbereich Berufsbildung. "Ein Auslandsaufenthalt bringt Kreativität, Innovationsgeist und mehr Bereitschaft zur Weiterbildung mit sich", fährt er fort. Nicht zuletzt steigere ein solches Angebot die Attraktivität des Unternehmens, "und das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es in ein paar Jahren angesichts der demografischen Situation zum Kampf um kluge Köpfe kommt."

Ein Ansatz, dem Michel Rothgaenger, Ausbildungsleiter bei Kühne + Nagel, zustimmt: "Wir haben festgestellt, dass die Azubis dankbar auf die Chance zu einem Auslandspraktikum reagieren - eine bessere Mitarbeiterbindung gibt es kaum." Die These, ein Auslandsaufenthalt verbessere die Weiterbildungsbereitschaft, bewahrheitet sich. Anne-Kathrin studiert inzwischen berufsbegleitend Logistik und Logistik & Supply Chain Management - ebenso wie Sven Bruster, der während seiner Ausbildung zum Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen bei Kühne + Nagel sechs Wochen in die spanische Zentrale nach Madrid wechseln durfte. Sven erlebte, wie neu und ungewohnt der Azubi-Transfer auch für Arbeitgeber oft noch ist. Als er nämlich voller Tatendurst an seinem ersten Tag die spanische Personalleiterin fragte: "Was kann ich tun?", traf er auf Unschlüssigkeit. "Also bekam ich erst einmal Botengänge und Ablage verordnet", erzählt der 23-Jährige. "Richtige Arbeit musste ich regelrecht einfordern. Doch sobald klar wurde, dass ich nicht überfordert war, bekam ich auch eigene Projekte." Besonders interessant fand Sven die unterschiedliche Arbeitskultur. "Wir sind eine Firma mit gleichen Strukturen und Systemen, und doch ist die Mentalität eine gänzlich andere. Während "dringend!" bei uns hektische Überstunden auslöst, heißt es in Spanien ganz gelassen: ,Das hat auch noch bis morgen Zeit...'"

"Das Wissen um derartige Mentalitätsunterschiede ist wertvoll", ist Rainer Schulz, Geschäftsführer des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung, überzeugt. "Transnationales Denken verbessert die Ausbildung nicht nur großer Unternehmen wie Airbus, sondern auch die kleiner und mittlerer Betriebe in vielfältiger Hinsicht."

Während dies bei Branchen wie Logistik, Luftfahrt, Tourismus oder Finanzdienstleistern durchaus einleuchtet, hatte es Pascal Badiuzzaman schon schwerer. Der 21-Jährige lernt bei Budnikowsky im zweiten Ausbildungsjahr Informatikkaufmann. In der Berufsschule hatte er vom Programm "Go for IT" erfahren: ein dreiwöchiges Auslandspraktikum speziell für Azubis der kaufmännischen IT-Berufe, die in Gastfamilien wohnen und Berufspraxis in ausgewählten Firmen erleben. Das Programm führt in die Länder Nordirland, Spanien und Finnland. Pascal hatte sich für Derry in Nordirland entschieden - nicht unbedingt eines der gängigsten Reiseziele. Ein regelrechter Pionier war er bei Budni jedoch mit seiner Bitte um Freistellung. "Wir haben uns schließlich auf eine zweiwöchige Freistellung geeinigt, und ich habe eine Woche Urlaub investiert", erzählt er.

Diese Investition hat sich gelohnt: "Mein Praktikumsbetrieb war klein. Das Team bestand aus dem Chef, zwei festen und ein paar freien Mitarbeiter", erzählt Pascal, der so von Anfang an voll integriert wurde. "Ich wurde auch schnell im Betrieb allein gelassen, wenn die anderen bei Kunden waren. Das ist schon ein Vertrauensbeweis. So ein IT-Betrieb verfügt schließlich immer über ziemlich teures Equipment", betont er. Das Gefühl, dass man ihn für zuverlässig und kompetent genug hielt, auch allein die Stellung halten zu können, habe sein Selbstwertgefühl deutlich gesteigert, erzählt er. Und natürlich sei auch sein Englisch erheblich besser geworden. Dazu hat sicherlich auch der Sprachkurs beigetragen, der zum "Go for IT"-Konzept gehört.

Die nächsten Ausbildungsjahrgänge könnten es mit einem Ausbildungspraktikum daher leichter haben, denn auch Pascals Ausbilder war vom Resultat des Praktikums angetan. "Nach meiner Rückkehr wurde mir ein Reifeprozess bescheinigt. Mein Selbstbewusstsein sei gestiegen, und im Kundenkontakt bin ich auch besser geworden", erklärt Pascal zufrieden.