Die Historikerin Jutta Dalhoff fordert eine Frauenquote in der Forschung und der Lehre. Die Krux stecke in der Besetzung von Professuren.

Wissenschaftlerinnen werden von Hochschulen wegen möglicher Mutterschaft abgelehnt. Doch männliche Bewerber gelten nicht als potenzielle Väter, sagt Jutta Dalhoff, Leiterin des Zentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung am Leibniz-Institut Köln.

Hamburger Abendblatt: Frau Dalhoff, auf vier Professoren kommt heute nicht mal eine Professorin. Was hält Wissenschaftlerinnen davon ab, weiter aufzusteigen?

Jutta Dalhoff:

Auf der Strecke bleiben Akademikerinnen vor allem bei der Besetzung von Professuren. Die Krux steckt im Berufungsverfahren, das von internen Zirkeln innerhalb von Hochschulen bestimmt wird. In meiner Zeit als Frauenbeauftragte habe ich selbst in solchen Kommissionen gearbeitet. Die Auswahlkriterien sind mit Objektivitätsanforderungen nicht immer vereinbar, um es mal höflich zu sagen.

Und weniger höflich ausgedrückt?

Dalhoff:

Nach der Frauenförderung auf den unteren Ebenen kommen am entscheidenden Punkt ganz alte Rollenbilder zum Tragen. Die Kommissionsmitglieder, fast ausnahmslos Männer, fragen sich bei jeder Bewerberin: Wird sie wirklich zu 150 Prozent für diese Aufgaben zur Verfügung stehen? Ob die Wissenschaftlerin dann Kinder hat oder nicht, spielt dabei keine Rolle - sie könnte ja welche bekommen. In einem männlichen Bewerber sieht hingegen niemand den potenziellen Vater. In Deutschland ist ein Bild des Professors verbreitet, das dem 19. Jahrhundert entspricht: der ständig verfügbare Mann, dem eine Frau den Rücken freihält. Daran muss sich dringend etwas ändern - nicht nur im Sinne der Chancengleichheit, sondern auch, weil es heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht: Professorinnen und Professoren können sich heute nicht mehr in den Elfenbeinturm der Forschung zurückziehen, sondern übernehmen wichtige Aufgaben in der Lehre und im Management.

Was passiert mit Wissenschaftlern, die nicht zum Zuge kommen?

Dalhoff:

Wer sich nach der Promotion nicht binnen sechs Jahren habilitiert, wird mit wenigen Ausnahmen nach draußen katapultiert. Dann steht man mit Mitte 40 da und ist verbrannt für andere vergleichbar gute Positionen außerhalb der Hochschulen. Selbst ein Quereinstieg in die Wirtschaft oder in den öffentlichen Dienst kann in dem Alter und bei dem Spezialisierungsgrad schwierig werden.

Ist die Situation für Akademikerinnen hier schlechter als in anderen europäischen Ländern?

Dalhoff:

Deutschland tut im europäischen Vergleich recht viel; Bund und Länder haben einige Programme zur Frauenförderung umgesetzt. Wir haben das aber auch besonders nötig. Das Frauenbild der Nationalsozialisten wirkt bis heute nach. In Deutschland werden Frauen noch heute verurteilt, wenn sie die Kinder extern betreuen lassen. Sie sind dann "Rabenmütter" - das Wort gibt es in keiner anderen Sprache. Ich kenne eine Wissenschaftlerin mit Kind, die in Belgien arbeitet, das dortige Betreuungssystem nutzt und dort absolut anerkannt ist. Ihr einziges Problem ist die deutsche Großmutter: "Das kannst du doch nicht tun!" Die verkrusteten Hochschulstrukturen sind für diesen deutschen Muttermythos besonders anfällig.

Sie haben selbst nicht promoviert?

Dalhoff:

Mir ist nach dem Studium eine Promotion angeboten worden - auf einer Viertelstelle! Das habe ich als Unverschämtheit empfunden. Daher habe ich mich für den direkten Berufseinstieg entschieden und dies nie bereut.

Derzeit sind nur 18 Prozent der Professoren weiblich. Brauchen wir eine Quote in der Wissenschaft?

Dalhoff:

Daran kommen wir nicht vorbei, sonst brauchen wir noch viele Generationen, bis jeder zweite Professor eine Frau ist.

Aber nicht jede Frau ist ein Gewinn.

Dalhoff:

Es geht ja nicht darum, ungeeignete Frauen zu besetzen. Wer sich auf eine Professur bewirbt, muss selbstverständlich die fachlichen Voraussetzungen erfüllen. Mehr Forscherinnen kommen auch den Inhalten zugute: Wenn Forschergruppen vielseitiger werden, werden es auch die Forschungsthemen.

Was empfehlen Sie jungen Wissenschaftlerinnen?

Dalhoff:

Die Habilitation ist ein Flaschenhals. Nur ein Prozent aller Studienanfänger wird eines Tages Professor. Langfristige Alternativen gibt es innerhalb der Hochschule kaum. Wissenschaftlerinnen sollten ihre Entscheidung immer wieder überprüfen und offen sein für Alternativen, um keiner Schimäre nachzulaufen. Wer diese Widrigkeiten in Kauf nehmen will, sollte sich nicht abschrecken lassen. Die Wissenschaft kann von einem angemessen hohen Frauenanteil in Forschung und Lehre nur profitieren!