Beschäftigte verschwenden ein Zehntel der Arbeitszeit mit unnützen E-Mails. Elektronische Post wird zum Bremsklotz

Wer kennt das nicht? Kaum ist man mal einen Tag nicht im Büro, und schon quillt einem das E-Mail-Fach über. Auch bei Ralf Huber gehört das zum Alltag. "Man hat das Gefühl, überrollt zu werden", sagt der 48-Jährige. Doch Huber, er ist Bereichsleiter einer Sparkasse, hat etwas dagegen getan: ein Seminar zum Umgang mit den Massen an E-Mails besucht. Er war begeistert: "Ich habe gleich am nächsten Morgen einiges umgesetzt."

Zum Beispiel richtete Huber sich in seinem E-Mail-Programm mehrere Ordner für eingehende Nachrichten ein. Einer heißt jetzt "dringend erledigen", ein anderer "dringend lesen", daneben gibt es dann noch ein Fach mit dem Titel "für Sie erledigt", das seine Assistentin befüllt. Die Sortierung verhindert Chaos im E-Mail-Eingang und hilft Ralf Huber, das Dringende auch wirklich zu erkennen.

Jeder dritte Angestellte fühlt sich durch die E-Mail-Flut im Job gestresst

Aus dem digitalen Dauerrauschen wichtige Nachrichten herauszuhören - genau damit tun sich immer mehr Menschen schwer. Bei einer Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) gab jeder dritte Angestellte an, durch die tägliche E-Mail-Flut an seinem Arbeitsplatz gestresst zu sein. Kein Wunder: Jeder Beschäftigte in Deutschland sendet oder empfängt im Schnitt fast 180 E-Mails pro Tag. Rein rechnerisch wandert der Blick eines jeden also alle zweieinhalb Minuten in sein E-Mail-Programm.

Diese andauernden Unterbrechungen sorgen dafür, dass sich der vermeintliche Produktivitäts-Turbo namens elektronische Post in vielen Büros inzwischen zu einem Bremsklotz entwickelt. Ein Zehntel der Arbeitszeit geht mittlerweile dabei drauf, unnütze E-Mails zu lesen und zu bearbeiten, schätzen Experten.

Doch allein die Technik zu verfluchen, greift zu kurz. "Wir arbeiten teilweise noch so wie zu Heinz Erhards Zeiten", sagt Gunter Meier, ein Trainer, der E-Mail-Seminare abhält, wie das, an dem auch Banker Huber teilgenommen hat. Die Diagnose von Experten wie ihm ist niederschmetternd: In den Medien ist zwar ständig von Web 2.0, Blogs und sozialen Netzwerken zu lesen, die reale Arbeitswelt jedoch steckt vielerorts noch in der digitalen Urzeit fest. Ein großer Autohersteller zum Beispiel hat erst unlängst die letzten Hauspost-Umschläge eingezogen - um so zu verhindern, dass Mitarbeiter weiter Dokumente auf Papier durchs Haus schicken.

"Ein Großteil der Leute kann nicht einmal die Programme bedienen", sagt der IT-Leiter eines mittelständischen Unternehmens, der lieber anonym bleiben möchte. Netiquette - also der höfliche Umgangston in der digitalen Welt - ist vielerorts erst recht ein Fremdwort. So enthalten E-Mails nicht selten weder eine Anrede noch eine abschließende Grußformel, sind vollgestopft mit kryptischen Abkürzungen aus der SMS-Sprache oder sie werden ohne aussagekräftige Betreffzeile abgeschickt. Dabei predigen Netiquette-Experten seit Jahren, dass für die elektronische Post die gleichen Regeln gelten wie für den guten alten Geschäftsbrief.

Manchmal wäre ein Anruf oder ein Meeting hilfreicher als die E-Mail

Viel schwerer aber wiegt, dass das neue Werkzeug falsch eingesetzt wird: "Man wickelt Dinge per E-Mail ab, für die eine E-Mail gar nicht geeignet ist", hat Seminarleiter Gunter Meier beobachtet. Typisches Beispiel: Ein Team versucht, ein Dokument auf dem E-Mail-Weg abzustimmen. Schnell fliegen Dutzende verschiedener Versionen des Textes durchs Firmennetz, niemand weiß, ob seine Änderungswünsche eingebaut wurden, und die Abstimmungsrunden nehmen kein Ende. "Mit einer Telefonkonferenz oder einem Meeting wäre die Sache ruck, zuck erledigt gewesen", sagt Gunter Meier.

Doch das ungeschickte Mailen ist nur ein Symptom - die Wurzel des Übels liegt tiefer. Was E-Mails wirklich zur Plage macht, war ursprünglich einmal ihr größter Vorteil: Nachrichten lassen sich auf diese Weise leicht verschicken. Zu leicht. "Es wird einfach zu gedankenlos gemailt", stellt Carmen Diebolder, Autorin des Buchs "S.O.S. E-Mail-Flut" fest. Sie rät, sich vor dem Griff zum Senden-Knopf immer zu fragen: "Ist diese Nachricht so wichtig, dass ich auch bereit wäre, dafür drei Stockwerke mit Rückenschmerzen hochzusteigen?"

Mit der elektronischen Post wird die Planung immer schlechter

Allein dieser Gedanke bringe Menschen dazu, Mails verbindlicher zu formulieren. "Seit es E-Mail gibt, wird immer schlechter geplant", sagt Trainer Meier. Alles passiere nur noch "just-in-time". Den Effekt kennt jeder von Verabredungen: Seitdem sich Ort und Zeit jederzeit per Handy ändern lassen, wird gern kurzfristig umdisponiert. Was ein Segen ist, wenn die Verabredung im Stau steckt, aber zum Fluch wird, wenn man versucht, sich mit einem wankelmütigen Zeitgenossen zu treffen.