Ein Jahr in England, ein Praxissemester in Indien: Immer mehr junge Ingenieure zieht es ins Ausland - ein Plus für die Karriere

"Auf nach England!" hieß es für die Wirtschaftsingenieurin Anika Kronberger gleich in ihrem ersten Job nach dem Studium. Insgesamt drei Monate sollte sie bei einem Zulieferer ihres Arbeitgebers auf der "Insel" bleiben - letztlich wurden daraus 15 Monate. "Das war eine hochinteressante, aber vereinzelt auch schwierige Zeit", erinnert sich die 34-Jährige, die heute für den Engineering-Dienstleister Assystem tätig ist. So habe sie während ihres Auslandsaufenthalts vor allem ihre Sprachkenntnisse ausgebaut und obendrein Kultur, Denk- und Arbeitsweise der Engländer kennengelernt. Zudem sei sie selbstständiger und selbstsicherer geworden. Schwierig hingegen sei es teilweise gewesen, sich als einzige Deutsche und obendrein als Frau im Team durchzuboxen: "Obwohl sich alle um mich gekümmert haben, war ich doch manchmal auf mich allein gestellt und musste hart um Anerkennung kämpfen. Insgesamt macht die Auslandserfahrung im Job jetzt allerdings vieles einfacher", bilanziert Kronberger. Mittlerweile hat sie den zweiten längeren Auslandsaufenthalt in England hinter sich - und auch auf der Karriereleiter einen Sprung gemacht: Sie ist jetzt Projekt- und Teamleiterin.

Auch für Tanja Schumann, Arbeitsmarktexpertin beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI), sind die Erfahrungswerte, die Auslandsaufenthalte für Ingenieure mit sich bringen, nicht nur vor dem Hintergrund des Erlebens anderer Kulturräume bedeutsam. "Vielmehr zahlen diese Erfahrungen auch auf die Entwicklung sozialer und persönlicher Kompetenzen ein", betont sie. Soft Skills wie Teamfähigkeit oder Empathie, aber auch die Fähigkeit, sich in interdisziplinär organisierten Teams zurechtzufinden, seien Aspekte, auf die Unternehmen hierzulande immer mehr Wert legen würden. "Darüber hinaus müssen Ingenieure zunehmend in der Lage sein, sich auf sich ändernden Umfeldbedingungen einzulassen. Im Zeitalter der Globalisierung reicht bloßes Fachwissen heute vielfach für eine glänzende Karriere nicht mehr aus."

Das sieht man auch bei Lufthansa Technik so. "Um sich in dem Zusammenspiel der verschiedenen Kulturen sicher bewegen zu können, halten wir Auslandsaufenthalte für einen sehr geeigneten Weg", erläutert Peter Schürholz, Leiter Personalmarketing bei Lufthansa Technik.

Die Mindestdauer einer Auslandsstation liegt im Allgemeinen bei drei Monaten. "Aber auch kürzere Verweilzeiten können vorteilhaft sein", berichtet die Elektroingenieurin Ioana Mihaela Predonescu. Sie ist Projektleiterin im Bereich "Innovations" bei Lufthansa Technik und war in diesem Jahr für sieben Wochen vor Ort bei einem Kunden in Kalifornien. "Obwohl er relativ kurz war, hat sich dieser Aufenthalt auf alle Fälle gelohnt. Jetzt weiß ich viel besser, wie der Kunde tickt und kenne sein Umfeld", sagt die 29-Jährige gebürtige Rumänin.

Die Höchstdauer eines Auslandsengagements zu fixieren, fällt schwer. Denn mit zunehmender Dauer können die Rückkehrbarrieren in den deutschen Arbeitsmarkt zunehmen. So ist es möglich, dass bei einem Heimkehrer nach fünfjährigem Auslandsaufenthalt Zweifel an seiner Fähigkeit entstehen, sich in Deutschland sowohl beruflich als auch sozial wieder umfassend eingliedern zu können.

Für einen Auslandsaufenthalt sind in erster Linie die führenden Industrieländer mit hohem Wirtschaftspotenzial interessant. Weniger empfehlenswert stuft der VDI politisch instabile, wirtschaftlich schwache oder exotische Länder ein. Sie entsprechen vielleicht dem Wunsch nach Ferne, bringen unter Karrieregesichtspunkten aber eventuell nicht viel. Ingenieuren, die sich im Sinne der strategischen Karriereplanung als polyglotter Weltenbummler aufzustellen planen, empfiehlt der VDI, sorgfältig mögliche Karriererisiken abzuwägen und verlässliche Netzwerke aufzubauen. Ferner sollte der persönliche Kontakt mit der Unternehmenszentrale aufrechterhalten werden. Und schließlich: Wer mit großen Karriereversprechungen geködert wird, sollte diese in schriftlicher Form einfordern.