Wenn verbindliche Verhaltensregeln im Unternehmen fehlen, erleichtert das die Wirtschaftskriminalität. Viele Mittelständler verkennen das Problem

Hamburg. Ein deutscher Lkw mit Frischfleisch wird an der Grenze nach Weißrussland vom Zoll kontrolliert. Alle Papiere entsprechen den Vorschriften. Dennoch halten die Beamten den Lastzug mit der verderblichen Ware auf - so lange, bis der Fahrer ihnen diskret einen Umschlag mit Euro-Banknoten zusteckt.

Bestechung ist in Deutschland ein Straftatbestand. In vielen Ländern Ost- und Südeuropas, in Afrika und im Orient gehört Schmiergeld zum wirtschaftlichen Alltag und wird kaum geahndet.

Bestechung scheint in Griechenland der Normalmodus, um Geschäfte zu machen. Die Antikorruptions-Initiative Transparency International hat eine Untersuchung vorgelegt, nach der griechische Privathaushalte 2009 mehr als 780 Millionen Euro für Bestechung ausgegeben haben. Das entspricht in etwa 71 Euro pro Kopf.

Wie aber gehen Mitarbeiter damit um, wenn ihre Firma Geschäfte in Ländern mit derartiger Bakschisch-Mentalität macht? "Große börsennotierte Unternehmen wie Siemens müssen sich absolut an die gesetzlichen Vorgaben halten, weil ihr Geschäftsgebaren genau von den Aufsichtsbehörden, insbesondere den amerikanischen, unter die Lupe genommen wird", erklärt Stefan Behringer, Professor für BWL und Rechnungswesen am Euro Business College in Hamburg. Transparency Deutschland fordert null Toleranz bei jeder Form von Korruption. Der stellvertretende Vorsitzende Peter von Blomberg sagt: "Konsequentes und ausnahmsloses Verhalten verfehlt seinen Eindruck nicht."

Allerdings zeige die Lebenswirklichkeit, dass bei Zollabfertigungen oder etwa der Einrichtung eines Telefonanschlusses in Kasachstan oft kleinere Zuwendungen an die zuständigen Beamten erforderlich seien, damit etwas passiere, räumt Behringer ein. In Ländern, in denen die Regierung es darauf ankommen lasse, dass sich ihre schlecht bezahlten Beamten selbst illegal versorgten, seien Schmiergeldzahlungen an der Tagesordnung, berichtet Blomberg. "Wer an dieser Stelle ständig nachgibt, macht sich aber erpressbar", warnt der Korruptions-Experte.

Er empfiehlt Unternehmern, solche Zahlungen nur in krassen Ausnahmefällen zu leisten und diese auch offenzulegen. Strafrechtlich relevant sind diese Bagatellzahlungen in Deutschland nicht - im Unterschied zu Bestechungsversuchen, bei denen es darum geht, den fairen Wettbewerb auszuhebeln und einen Auftrag zu kaufen.

Jüngstes Beispiel: Wie Siemens hatte offenbar auch Daimler in den USA über viele Jahre mit großzügigen Geschenken nachgeholfen, um an lukrative Großaufträge für Lastwagen, Transporter, Busse und Pkw zu kommen. Dabei wechselten keine Koffer mit Bargeld die Besitzer, sondern es gab mal einen Mercedes der S-Klasse, eine Luxusreise oder ein Hochzeitspräsent für die Kinder von Regierungsbeamten in mindestens 22 Ländern, so die Anklage.

Laut US-Behörden flossen bei Daimler 56 Millionen Dollar, Peanuts im Vergleich zu den 1,3 Milliarden Euro Schmiergeld, die Siemens in dunklen Kanälen versickern ließ. Der Stuttgarter Autobauer einigte sich mit der US-Justiz auf einen Vergleich, bekannte sich schuldig und willigte ein, 156 Millionen Dollar zu zahlen. Den Siemens-Konzern kosteten die Eskapaden seiner Manager insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro - und den guten Ruf. Fälle solchen Ausmaßes vernebeln allerdings auch den Blick. "Das ist keineswegs nur ein Thema für Konzerne. Doch viele Mittelständler ignorieren die rechtlichen Gefahren", sagt Malte Passarge, Rechtsanwalt und Vorstandsvorsitzender des Hamburger Instituts für Compliance im Mittelstand.

Unter Compliance versteht Professor Behringer "alle Maßnahmen zur Einhaltung von gesetzlichen und anderen Regeln, die dem Unternehmen extern vorgegeben sind, und die Ausarbeitung von Regeln, die sich das Unternehmen selbst gegeben hat, sowie die dazu eingeführten Maßnahmen."

Es geht also keineswegs nur um Korruption. Die Tretminen lauern fast überall, zum Beispiel bei Vertrieb, Einkauf, Steuererklärung, Bilanz, Sozialabgaben, 400-Euro-Jobs, Vertrags-, Insolvenz- und Umweltrecht. "Das ist ein sehr komplexes Geflecht, das selbst für Fachleute schwer zu durchschauen ist. Aber in vielen Firmen werden noch nicht einmal einfachste Standards eingehalten, etwa klar abgegrenzte Zuständigkeiten der Geschäftsführer oder Regeln dafür, wer welche Dokumente unterschreiben darf", sagt Rechtsanwalt Passarge. In knapp jedem zweiten Unternehmen bis 500 Mitarbeiter sind entsprechende Richtlinien überhaupt nicht hinterlegt, ergab eine Umfrage von Steria Mummert Consulting und dem F.A.Z.-Institut.

Eine Studie von PricewaterhouseCoopers und der Martin-Luther-Uni Halle-Wittenberg zeigt, dass 56 Prozent von 500 befragten Unternehmen keine konsistenten Richtlinien und Methoden zur Abwehr von Wirtschaftskriminalität und Durchsetzung ethischer und rechtlicher Standards etabliert haben. Bei mehr als jeder zweiten Firma ist die Einführung eines Compliance-Programms auch mittelfristig nicht geplant. Professor Joachim Tanski von der Fachhochschule Brandenburg erwartet deshalb neue Korruptionsfälle. "Wer heute als Manager zu sorglos agiert, gerät schnell ins Visier der Ermittler."