An der TU Harburg züchtet Elisa Hönig Schweineknorpel. Die Biomechanikerin sammelt Wissen, um menschliche Zellen zu optimieren.

Weißer Kittel, weiße Gummihandschuhe, dunkle Brille: Elisa Hönig, 29, Diplom-Ingenieurin und seit Kurzem Doktorin, arbeitet am Institut für Biomechanik der TU Hamburg-Harburg. Dort erforscht sie Gelenkknorpel, den sie im Reagenzglas züchtet und auf seine mechanischen Eigenschaften testet. "Das ist ein sehr spannendes Projekt", sagt Hönig, "und überhaupt nicht abgehoben, sondern durchaus nützlich."

Etwa jeder zehnte Bundesbürger leidet an Defekten in der Gelenkknorpeloberfläche. Das Problem dabei: Das Gewebe hat weder Blut- noch Nervenversorgung, kann bei Verletzungen also nicht heilen und muss notfalls durch massive Metallimplantate ersetzt werden. Es sei denn, es gelingt, Zellen aus dem Körper des betroffenen Patienten zu entnehmen, im Reagenzglas zu verbessern und wieder in den Körper einzubauen. "Tissue Engineering" lautet der Fachbegriff dafür. Hönig: "Für dieses Ziel lohnt es sich zu arbeiten."

Noch arbeitet sie mit Schweineknien, isoliert lebende Zellen und kultiviert diese: "Wir bringen die Zellen dazu, sich selbst eine Umgebungsmatrix zu produzieren", erklärt Hönig das Prinzip. Zunächst werden die Kulturen quasi "nach Kochrezept" hergestellt, dann werden sie wochenlang gefüttert. Schließlich muss der gezüchtete Knorpel im sogenannten Bioreaktor unterschiedliche Belastungstests bestehen: Mal wird er zusammengedrückt, mal gedehnt oder gedreht, wie es bei einer Bewegung im Kniegelenk typisch ist. "Es geht darum, die Qualität des Gewebes weiter zu verbessern", sagt Hönig.

Die Knorpelaufzucht ist nicht ihr einziger Arbeitsinhalt: "Ich bin auch in andere Projekte im Institut eingebunden, betreue und unterrichte Studierende." Pro Jahr bildet das Institut 30 bis 50 Mediziningenieure aus. Menschen, die sich wie Elisa Hönig für die Schnittstelle zwischen Medizin und Technik interessieren, interdisziplinär und oft auch international tätig sein wollen.

"Die meisten unserer Geschäftspartner sitzen in den USA", sagt Institutsleiter Michael Morlock. Zwei seiner Doktoranden entwickeln gerade mit Forschern in Polen, England und den USA neue Gelenkprothesen: Wie können die Komponenten länger ohne Verschleiß im Körper bleiben, lautet dabei eine zentrale Frage, die in Zusammenarbeit mit DePuy Orthopädie, einem Unternehmen der Johnson&Johnson-Gruppe, untersucht wird. "Wir wollen die Haltbarkeit beim Gelenkersatz verlängern", sagt Morlock.

Eine Riesenaufgabe in einem Wachstumsmarkt sei das. Unter den 80 Millionen Bundesdeutschen gebe es schon 250 000 Hüftprothesen, bei 1,2 Milliarden Indern seien es dagegen erst 30 000 Stück. Zahlen, die nicht den besseren Gesundheitszustand der Inder, sondern den enormen Nachholbedarf belegen. "Da kommt ganz viel Arbeit auf uns zu", sagt der Biomechaniker.

Seine Forschungen sind nicht nur uneigennützig, wie der Professor zugibt: "Ich bin übergewichtig, habe lange falsche Sportarten wie Squash und Tennis betrieben - mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit werde ich irgendwann ein künstliches Kniegelenk benötigen." Schlagsportarten schaden dem Knie, weil die Beine oft ausgeschert und Schritte abrupt abgebremst werden.

Das Institut für Biomechanik beschäftigt gut 20 Mitarbeiter, darunter viele Ingenieure aus dem Mediziningenieurwesen, aber auch Maschinenbauer, Ärzte, Biologen, Chemiker. "Unsere Branche ist offen für vielfältige Ausbildungswege", sagt Morlock, der selbst zu den Quereinsteigern zählt. An das erste Staatsexamen in Mathe und Sport hat er noch ein Medizinstudium gehängt und irgendwann das Thema Sportbiomechanik gegen die Orthopädie ausgetauscht. Die Bedeutung von Bewegung hat der Institutsleiter immer im Blick: Mal organisiert er einen Tauchkurs als Weihnachtsfeier für seine Mitarbeiter, mal einen Tagungsbesuch bei der Arbeitgemeinschaft für Osteosynthese in Davos - verbunden mit Skitouren. Das bleibe zwar nicht immer unfallfrei, sorge aber für eine gute Stimmung im Institut.

Elisa Hönig hat ihr Diplom beim Elektronikkonzern Philips im Bereich der Magnetresonanztomografie gemacht. Anschließend wollte sie noch mal einen ganz neuen Bereich kennenlernen. Das Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Institut für Biomechanik sei da wie gerufen gekommen. "Es war weniger der Doktortitel als die Aufgabe, die mich gereizt hat", sagt sie. Sollte sie selbst einmal im Alter von der Volkskrankheit Arthrose ereilt werden, dürfte sie von ihrer eigenen Arbeit profitieren: Schon in fünf bis zehn Jahren könnte das Tissue Engineering Marktreife erlangt haben.