Dünnes Nervenkostüm? Was Beschäftigte brauchen, um besser mit belastenden Situationen umzugehen, erklärt Soziologin Helga Wenger.

Widerstandskräftige Menschen haben besondere Fähigkeiten. Wer sie noch nicht besitzt, kann sie erwerben. Resilienz ist das Fachwort für Steherqualitäten.

Hamburger Abendblatt:

Frau Wenger, was zeichnet eigentlich Menschen aus, die Resilienz besitzen?

Helga Wenger:

Sie sind in der Lage, schwierige und belastende Situationen relativ unbeschädigt zu überstehen und sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Dazu sind einige Fähigkeiten oder Haltungen nötig, die jeder von uns zu Anteilen hat. Aber resiliente Menschen, die also eine hohe Widerstandskraft haben, haben diese Fähigkeiten in besonderem Maße. Sie sind sozusagen Stehaufmännchen.

Welche Fähigkeiten braucht man dafür?

Wenger:

Ganz wichtig ist die Flexibilität - die Fähigkeit, sich an belastende Situationen anzupassen. Außerdem gehört Gefühlsstabilität dazu. Das bedeutet, es gelingt mir, eine Situation zu analysieren, ohne vorschnell emotional über sie zu urteilen. Und Realismus ist ein wichtiges Stichwort: Bin ich in der Lage, mich vom Wunschdenken "So muss es aber sein" zu verabschieden und zu der Frage zu kommen: Was ist real wirklich machbar?

Was ist mit positivem Denken?

Wenger:

Ich würde es Zuversicht und Optimismus nennen. Kann ich das Glas als halb voll ansehen statt als halb leer? Auch Lösungsorientierung ist wichtig. Dann bleibe ich nicht im Jammern und Klagen und damit in der Opferrolle, sondern übernehme Verantwortung für eine Situation, soweit das in meinem Rahmen liegt. Dazu braucht man übrigens Einfühlungsvermögen für sich selbst und die beteiligten Personen. Wenn es zum Beispiel um Umstrukturierungen geht und man selbst einer der betroffenen Mitarbeiter ist, dann zeugt es von Resilienz, wenn man sich in die Situation seiner Vorgesetzten hineinfühlt und auch deren Probleme in ihrer Sandwichposition anerkennt. Einfühlungsvermögen brauche ich aber auch für mich selbst: Wer mit sich selbst wohl umgeht, kommt gar nicht erst so tief in Stresssituationen hinein.

Wie macht man das?

Wenger:

Zwei Fragen helfen. Zum einen ist das: Wie geht's mir grad? Denn oft spüren wir uns nicht mehr, wenn wir im Hamsterrad laufen. Lautet die Antwort "gut", kann alles so weitergehen. Ist die Antwort, "Ich bin schon völlig ausgelaugt", dann stellt man sich die zweite Frage: Was tut mir jetzt gut? Wenn ich am liebsten in den Urlaub fahren will, ist das vielleicht nicht sofort umsetzbar, aber ich kann mich fragen, wofür steht denn der Begriff Urlaub? Vielleicht für Luftveränderung, Entspannung, mit der Familie zusammen sein. Dann muss ich überlegen, wie ich diese Qualitäten möglichst zügig jetzt vor Ort einlösen kann. Das gibt wieder Kraft und Präsenz. Nicht vertagen, sondern wagen!

Kann jeder seine Resilienz verbessern?

Wenger:

Absolut. Einem 50-Jährigen wird es aber schwerer fallen, wenn er erst jetzt beginnt, sich damit auseinanderzusetzen. Trotzdem kann jeder Resilienz lernen. Sie wird sogar durch Erfahrung gestärkt: Dazu muss man bewusst zurückschauen und überlegen, was man aus einer schwierigen Situation gelernt hat. Das stärkt für die nächste derartige Situation.

Wie reagiert man gut, wenn man merkt, hier kommt jetzt Stress auf?

Wenger:

Es ist wichtig, überhaupt zu erkennen, dass jetzt wieder eine Energiewelle hochkommt, die mich davontragen kann. Denn das will ich ja nicht. Was kann ich also tun, um Abstand zu gewinnen? Ganz heilsam ist es, erst einmal den Raum zu verlassen. Auch indem man seine Wahrnehmung auf ein anderes Thema lenkt, auf eines, das einem Kraft gibt, kann man räumlich und innerlich auf Distanz gehen. Ein schönes Urlaubsbild auf dem Schreibtisch zum Beispiel. Dann weiß ich wieder, das ist mein Ziel für den Sommer, deswegen kann ich jetzt das Frühjahr auch noch durchhalten. Außerdem ist Atmung wichtig. Wenn mich Gefühle zu übermannen drohen, dann sollte ich tief und gleichmäßig atmen. Das ist etwas sehr Stabilisierendes.

Klingt schwierig umzusetzen. Wenn der Chef einen runterputzt und man gekränkt und wütend ist ...

Wenger:

Das mag im Einzelfall auch so sein. Dennoch: Wenn ich gerade so ein schwieriges Gespräch hatte, kann ich erst einmal auf die Toilette gehen, in einen Raum, wo ich ganz für mich alleine bin. Dann frage ich mich: Ist das wirklich wahr, was er gesagt hat? Dann kann ich anfangen zu analysieren und reflektieren. Wenn mir das nicht sofort gelingt, kann ich auch mit einem Kollegen oder einer Kollegin sprechen. Um mich zu hinterfragen, ob an der Kritik etwas dran ist oder sie einfach aus der Emotionalität heraus kam. Aus einer gekränkten Haltung heraus werde ich nie förderliche Entscheidungen treffen.