Prüfung misslungen? Den Job verloren? Wer “resilient“ ist, verkraftet auch das. Coach Barbara Stieghan über die Fähigkeit, mit Krisen klarzukommen

Abendblatt: Frau Stieghan, was genau ist eigentlich Resilienz?

Barbara Stieghan: Man übersetzt den Begriff mit Widerstandskraft. Der Wortursprung ist das lateinische "resilire" - das heißt abprallen, zurückspringen. Ein Stehaufmännchen symbolisiert den Begriff sehr gut: Man kommt aus dem Gleichgewicht, weil man in einer Krise steckt oder einen Rückschlag hinnehmen muss. Aber wenn man widerstandskräftig ist, kommt man wieder in die Balance zurück. Resilienz ist ein psychologisches Konzept, das aus der Forschung mit Kindern aus sozial schwierigen Familien stammt. Man hat festgestellt, dass einige der Kinder trotzdem ein erfolgreiches, gesundes Leben führen, während andere große Schwierigkeiten haben.

Abendblatt: Warum ist das so?

Stieghan: Es gibt spezielle Fähigkeiten und Einstellungen, die Menschen resilient machen. Das sind die sieben Säulen Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Selbstwirksamkeit, Verantwortung, Networking und Zukunftsplanung.

Abendblatt: Was genau ist hier mit "Akzeptanz" gemeint?

Stieghan: Sich selbst zu akzeptieren, aber auch das Unabänderliche. Möglicherweise hat man seinen Arbeitsplatz verloren oder der Partner hat sich von einem getrennt oder man ist durch eine Prüfung gefallen. Man muss akzeptieren: Das ist so, aber deshalb bin ich kein "schlechter Mensch". Ich weiß, was ich kann, und beim nächsten Mal wird es klappen. Da kommt gleich auch der Optimismus ins Spiel, den ich ebenfalls brauche, um Rückschläge zu meistern.

Abendblatt: Kann man Resilienz lernen?

Stieghan: Ja. Jeder Mensch verfügt bereits über eine gewisse Resilienz. Aber das Schöne ist: Man kann sie weiterentwickeln, um in Zukunft mit Krisen noch besser umgehen zu können.

Abendblatt: Wie wird man denn zum Beispiel optimistischer ?

Stieghan: Optimismus hat sehr viel mit meinem Erklärungsstil zu tun. Wenn etwas nicht klappt, kann ich sagen: Bei mir geht immer alles schief! Oder ich sage: Na gut, diesmal hat es nicht geklappt. Für mehr Resilienz arbeitet man daran, seinen Blickwinkel zu ändern.

Abendblatt: Sie haben auch von der Säule Lösungsorientierung gesprochen.

Stieghan: Dabei geht es darum, kreativ zu denken und Optionen zu entwickeln. Kreativität ist ja die Suche nach neuen Lösungen für alte Probleme. Man verlässt die üblichen Denkbahnen und überlegt, was man anders machen kann. Die Säulen der Resilienz bauen alle aufeinander auf. Wenn ich nicht optimistisch bin und mich selbst nicht akzeptiere, kann ich nicht kreativ sein. Lösungsorientierung hängt andererseits auch mit der Selbstwirksamkeit zusammen, bei der es um Selbstkontrolle und Fähigkeiten zur Stressbewältigung geht. Selbstkontrolle heißt hier, dass ich meinen Verstand und meine Gefühle in Übereinstimmung bringe. Es ist wichtig, gerade wenn man Probleme hat, auch zu schauen, wie sehen meine Gefühle aus? Wie kann ich sie beeinflussen? Wenn man sich seiner Gefühle bewusst ist, zum Beispiel weiß, dass man wütend ist, weil man grad einen Rüffel vom Chef bekommen oder lange im Stau gestanden hat, dann kann man sie besser managen. Und das führt dazu, dass man anders handelt. Dazu muss man kurz innehalten und sich fragen: Wie fühle ich mich? Was macht das mit mir? Und wie kann ich meine negativen Gefühle verändern?

Abendblatt: Gibt es da Übungen?

Stieghan: Ja. Man fragt sich, ob die Gefühle gerechtfertigt sind. Beispiel: Die 50. Bewerbungsmappe kommt zurück, und ich höre in mich hinein und bin völlig verzweifelt. Ist dieses Gefühl wirklich gerechtfertigt? Es ist natürlich sehr ärgerlich, aber muss man deshalb verzweifelt sein? An dieser Stelle kann ich zum Beispiel eine Übung aus dem Bereich des Optimismus machen: mich an Glücksmomente in meinem Leben erinnern, um wieder ein positiveres Welt- und Selbstbild zu bekommen.

Abendblatt: Über 50 Absagen nicht verzweifelt zu sein, wird aber immer schwieriger, je drängender, womöglich auch finanziell enger, die Situation wird ...

Stieghan: Es reicht natürlich nicht, sich nur an Glücksmomente zu erinnern. Man muss an alle sieben Säulen herangehen. Nehmen wir das Networking: Jetzt könnte ich mir genau angucken, welche Kontakte ich habe. Gibt es jemanden, den ich auf meine Jobsuche hin ansprechen kann? Der jemanden kennt, der jemanden wie mich braucht? Was kann ich tun, um mein Netzwerk besser zu nutzen oder auszubauen? Und man sollte an der Säule Verantwortung arbeiten, das heißt, die Opferrolle verlassen. Es nützt mir nichts, wenn ich mich zurückziehe und immer nur sage: Die anderen sind schuld. So komme ich keinen Schritt weiter. Besser ist es, die Rückschläge als Quelle von Lernen und Verbesserung anzunehmen.

Abendblatt: Hilft Resilienz auch im normalen Berufsalltag, abseits von großen Krisen?

Stieghan: Ja, zum Beispiel beim "ganz normalen" Alltagsstress, den man sich manchmal selber macht. Ist das der Fall, kann man Strategien gegen den Stress finden - zum Beispiel, indem man seine Einstellung gegenüber dem, was einem Stress macht, verändert. Das Schöne: Mit dem richtigen Training kann jeder viel resilienter werden, als er jetzt schon ist. Max Frisch hatte recht, als er sagte: "Krise kann ein produktiver Zustand sein, man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.