Seefestigkeit, Tempo, Kabinen und Fitnessräume: Das Abendblatt ging an Bord eines Kreuzfahrers zu einer ganz besonderen Seereise.

Langsam, scheinbar unaufhaltsam kippt der Boden unter den Füßen weg. Erst nach rechts, dann nach links. Die "Aidablu", das modernste deutsche Kreuzfahrtschiff, bekommt Schlagseite. Auf der Brücke Halt zu finden, wird von Sekunde zu Sekunde schwerer. Im Hintergrund des nur von Instrumenten spärlich erleuchteten Raumes zählt die Stimme eines Offiziers leise die Werte für die Schieflage auf. "4,5 Grad, sechs, 6,5, sieben Grad" hören Kapitän Thomas Teitge, seine Crew und die Schiffbauexperten, deren Silhouetten sich nur schemenhaft auf der über die gesamte Schiffsbreite verglasten Kommandozentrale abzeichnen. Wie in einem schweren Sturm schwankt die "Aidablu" und schaukelt sich immer stärker auf.

Es ist zwei Uhr nachts, bitterkalt, und der Wind bläst mit fünf bis sechs Stärken südlich des Oslo-Fjords - kein Sturm, der ein Schiff wie die "Aidablu" aus dem Gleichgewicht bringt. Doch der Neubau der Rostocker Reederei Aida Cruises ist auf Probefahrt. Ein Test folgt auf den nächsten.

Jetzt ist Hans Hermann Jungeblut, Ingenieur der Bauwerft Meyer in Papenburg, dran. Sein Ziel: Er will zeigen, dass die von ihm ausgewählte Anlage zur Stabilisation des Schiffes künftig mehr als 2000 Passagieren auch bei schwerem Wetter eine ruhige Fahrt garantieren kann. Haben die 16 Quadratmeter großen, außen am Rumpf des Neubaus angebrachte Stahlflügel die "Aidablu" zunächst für den Test ins Schwanken gebracht, so kommt der 45 000 Tonnen schwere Rumpf nun durch einen vom Computer gesteuerten Schwenk der Konstruktion in wenigen Sekunden wieder zur Ruhe.

Nach sechs Versuchen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist Kapitän Teitge mehr als zufrieden: Er hatte trotz der ähnlich wie Stützräder wirkenden Flossen mit über acht Grad Schlagseite gerechnet. "Künftig" schmunzelt Teitge, "fahre ich nur noch mit der ,Aidablu'".

Das Urteil eines Experten. Kaum jemand bundesweit dürfte wie Teitge in den vergangenen 15 Jahren 26 Kreuzfahrtschiffe, davon 21 als Kapitän, eingefahren haben. Drei Fähren für Indonesien noch gar nicht mitgezählt. Alle Schiffe stammen von der Meyer Werft, die sich für ihre Probefahrten Hafenlotsen aus Emden ausleiht. Teitge rutschte gleich nach seinem Wechsel vom Kapitän zum Lotsen in das Team und ist jetzt an Bord der Kopf von fünf ausgebildeten Schiffsführern. Das Erproben neuer und über die Jahre immer größerer Schiffe und die damit verbundenen Herausforderungen haben für den 50-Jährigen dabei stets den Reiz eines eigenen Kommandos auf einem Traumschiff überwogen. "Bei Probefahrten habe ich bei Problemen immer gleich mehrere Experten um mich herum, die helfen und nicht Schuldzuweisungen verteilen wollen", sagt Teitge. "Ich mag diese Aufbruchstimmung."

Die gute Stimmung an Bord zählt auch Jochen Busch zu den Voraussetzungen, die "unzählbar vielen Abnahmen" fristgerecht schaffen zu können. Für 300 der mehr als 800 Menschen an Bord - die Meyer-Mitarbeiter und die von der Werft eingesetzten Beschäftigten von Zulieferfirmen - laufen bei dem Projektleiter alle Fäden zusammen. Abends um zehn Uhr und wieder morgens um sieben sitzt er in seinem improvisierten Büro an Bord. Bis zur Ablieferung wird es für ihn "nichts Wichtigeres geben" als die "Aidablu".

Noch aber sind fast überall an Bord die Böden mit Pappkartons abgedeckt oder mit Plastikplanen verklebt. Roh zusammengeschraubte Bretter schützen die Fahrstühle, wenn sie überhaupt schon betreten werden dürfen. Die Restaurants sind geschlossen, die Bäckerei außer Betrieb und Spa-Manager Bernd Leiendecker ist während der Fahrt nur einer von vielen, deren Geräte erst noch geliefert werden.

Abends, nach dem Essen in der Besatzungskantine, leeren sich die Gänge und nur in einigen Büros brennt noch Licht. Statt Kreuzfahrer ist die "Aidablu" ein Arbeitsschiff, auf dem auch 500 künftige Besatzungsmitglieder, unter ihnen mehr als 100 Filipinos, trainieren. Und wenn abends die Töne von einem Klavier und mehreren Geigen aus dem Theater erklingen, ist das nicht ein Pianist mit seinem Programm, sondern zwei Tontechniker mischen eine für das Schiff komponierte Melodie.

Immerhin zwei der an Bord geplanten sechs Shows sind Welturaufführungen, die nach der Taufe am 9. Februar in Hamburg nur auf der "Aidablu" zu sehen sein werden. Managerin Ursula Maile von der Hamburger Showproduktionsfirma Seelive, an der Aida Cruises beteiligt ist, übt mit ihrem 19-köpfigen Ensemble die Stücke ein. "In Hamburg haben wir während der siebenwöchigen Vorbereitung die Größe der Schiffsbühne am Boden abgeklebt. Jetzt können wir im Bordtheater die beiden Podien, die sich um ein Deck versenken lassen, und die Seile des Flugwerks zum Heben von Artisten einsetzen", sagt sie.

Paradestück auf dem neuen Schiff wird die Show "Sezono" sein. Der Begriff steht in Esperanto für "Jahreszeiten". "Das Stück wird Akrobatik, Gesang und Tanz vereinen und natürlich von der Liebe handeln", verrät Maile.

Auf der Probefahrt trainieren die Künstler noch ohne Kostüme. Das wird am 9. Februar anders sein, wenn das Stück erstmals bei der Taufe aufgeführt wird. Auch Spa-Chef Leiendecker nutzt die Zeit auf See. Angelieferte Ware von Ölen über Fitnessgetränke bis hin zu Haarpflegemitteln, die jetzt noch in den Kabinen stehen, müssen sortiert und eingeordnet werden. Gleichzeitig hat er für sein Wellness- und Fitnessteam für vier Tage eine Lehrerin an Bord geholt.

Für Menschen, die eine Auszeit vom hektischen Alltag suchen, hat die Reederei den Bereich für Gymnastik, Sport und Massagen gegenüber den Vorgängerschiffen noch einmal um 300 auf 2600 Quadratmeter ausgebaut - damit hat die "Aidablu" auf vier Decks den größten Spa-Bereich auf Kreuzfahrtschiffen weltweit. Das Team, zu dem auch zwei indische Yoga-Lehrer zählen, besteht nun aus 21 statt wie auf den bisherigen Schiffen aus 19 Mitarbeitern. Dazu kommt: Um Behandlungskabinen, einen Frisiersalon, Saunen und den großen Whirlpool unter einem aufschiebbarem Glasdach sind 35 Kabinen und fünf Suiten angeordnet, deren Bewohner nur wenige Meter bis zur zentralen Spa-Rezeption haben. "Gäste, die ihren Aufenthalt mit Wellness verbringen wollen, erhalten hier schon beim Buchen ein Paket von Anwendungen und werden von einem Spa-Butler beraten", sagt Leiendecker. Allerdings ist für die Jungfernfahrt keiner der 80 Plätze mehr frei.

Das gilt für die gesamte Jungfernfahrt, die noch am 9. Februar von Hamburg aus in Richtung Mallorca startet. "Die gute Buchungslage reicht bis zum Sommer", sagt Michael Strauss, der Hotelmanager des Kreuzfahrers. Im Herbst kostet dann eine siebentägige Reise auf dem Vier-Sterne-Plus-Schiff zu den Kanarischen Inseln ohne Flug 695 Euro in einer Innen- und knapp 1000 Euro in einer Balkonkabine. Mit wie viel die größte Suite mit 87 Quadratmetern zu Buche schlägt, will die Reederei nicht verraten. Klar scheint: Nach einem Plus um 23,2 Prozent auf 414 000 Gäste 2009 wird der deutsche Marktführer Aida Cruises auch in diesem Jahr bei den Passagieren zulegen.

Weitgehend startklar für sie ist Bettina Bauer, die Schiffsärztin. Drei große Lieferungen von Medikamenten und Geräten sind bereits an Bord. "Nein", lacht sie, "wir müssen uns nicht vor allem um Seekranke kümmern. Die Beschwerden sind ähnlich wie in einer Hausarztpraxis." Schnupfen, Heiserkeit im Winter oder leichte Verletzungen. Im Notfall kann Bauer, die zusammen mit einem Anästhesisten und drei Krankenschwestern fahren wird, auch operieren. "Was mich vor allem reizt, ist das breite Aufgabenfeld", sagt die 36-Jährige.

Während Bauer von ihrem "Traumberuf" schwärmt, wartet die nächste Aufgabe auf die "Aidablu". Jeweils zehn Minuten muss das Schiff, einmal mit dem und einmal gegen den Wind, durch die Nordsee pflügen. Die Reederei besteht auf Höchstgeschwindigkeiten bei 65 und 90 Prozent der Maschinenleistung, die aber nach außen nicht bekannt gegeben werden. "Achtung, null", ruft Meyer-Ingenieur Philipp Nehring, zuständig für Schiffstheorie, zu Beginn jeder Messung. Die Gespräche auf der Kommandobrücke verstummen. An einem Tisch auf der Seite nehmen Laptops die Fahrtdaten auf. Einen Tag lang muss der Einfluss von Wellen, Strömung und Wind noch herausgerechnet werden. "Mit den vorläufigen Ergebnissen sind wir zufrieden", erklärt am kommenden Tag Projektleiter Andreas Bartz, der Chef von Nehring. Heißt so viel wie: Aida Cruises braucht sich wohl auch bei auffrischenden Winden wie jetzt vor Norwegens Küste keine Sorgen um die Dienstgeschwindigkeit von 22 Knoten zu machen.

Trotzdem spielt der Wind noch eine entscheidende Rolle. Nachdem der Fahrplan der Tests ohnehin wegen der Böen bis Stärke sieben immer wieder geändert werden muss und das Schiff schon einen Tag länger draußen ist als geplant, fällt Meyer-Projektleiter Busch eine Entscheidung. Der Bremstest, bei dem die "Aidablu" von der Höchstgeschwindigkeit mit rückwärts drehenden Schrauben zum Stillstand gebracht werden muss, wird verschoben.

Bleiben noch 140 Seemeilen oder sieben bis zehn Stunden Fahrt bis zum Einlaufen. Morgens gegen vier Uhr macht das Schiff in Emden fest.

"Es wird nicht alles klappen", hatte Kapitän Teitge schon kurz nach dem Auslaufen aus Erfahrung vorausgesagt und dann gleich angefügt: "Dafür sind solche Fahrten ja da."