Berlin. Nachfolger von Jens Weidmann ist gefunden: Joachim Nagel soll die deutsche Zentralbank führen – er kennt das Institut bestens.

Mehr als zehn Jahre lang leitete Jens Weidmann die Geschicke der Deutschen Bundesbank – nun steht sein Nachfolger fest: Joachim Nagel soll neuer Präsident der deutschen Zentralbank werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben den 55-Jährigen als neuen Chef der Bundesbank vorgeschlagen. Das Kabinett muss die Entscheidung noch billigen.

Bundesbank: Nagel folgt auf Weidmann

Der bisherige Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte im Oktober überraschend um seine Entlassung bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gebeten.

Eigentlich wäre Weidmanns Vertrag noch bis 2027 gelaufen. Weidmann, 2011 als jüngster Bundesbank-Präsident der deutschen Geschichte angetreten, galt als ewiger Mahner. Zuletzt hatte er immer wieder vor der hohen Inflation gewarnt und damit einen anderen Kurs als die Europäische Zentralbank (EZB) eingeschlagen, in deren Rat der Bundesbank-Präsident Mitglied ist. Mit dem politischen Machtwechsel kündigte Weidmann, der ein enger Berater der vorigen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war, seinen Rückzug an.

Der designierte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel (links) und der bisherige Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.
Der designierte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel (links) und der bisherige Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. © AP | Michael Probst

Nagel hat ein SPD-Parteibuch

Kanzler Olaf Scholz hatte keinen Hehl daraus gemacht, bei der Weidmanns-Nachfolge mitreden zu wollen. Als Kandidaten waren unter anderem der Scholz-Vertraute und neue Kanzlerberater Jörg Kukies, aber auch EZB-Direktorin Isabel Schnabel gehandelt worden.

Dass die Wahl nun auf Joachim Nagel fiel, dürfte auch daran liegen, dass er sowohl für den Sozialdemokraten Scholz als auch für den Liberalen Christian Lindner eine zufriedenstellende Lösung ist. Denn Nagel kombiniert zwei Eigenschaften: Einerseits hat er ein SPD-Parteibuch, arbeitete im Jahr 1994 sogar einmal kurzzeitig als Referent für Wirtschaft- und Finanzpolitik beim SPD-Parteivorstand. Andererseits steht er für Stabilität, gilt als ordoliberal.

Neuer Präsident kennt die Bundesbank bereits

17 Jahre lang war der Vater zweier Kinder bereits für die Bundesbank tätig, sechs Jahre davon im Vorstand. In der weltweiten Finanzkrise 2008/2009 leitete Nagel den Krisenstab der Bundesbank.

2017 wechselte er zur staatlichen Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), wo er dem Vorstand angehörte. Im vergangenen Jahr folgte der nächste Schritt zur renommierten Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), bei der er als stellvertretender Leiter der Bankabteilung tätig war. Finanzminister Lindner bezeichnete Nagel als eine „erfahrene Persönlichkeit“, die weiter für die geldpolitische Kontinuität stehen werde. Diese Stabilität in der Tradition der Bundesbank sei in Zeiten der Inflation wichtig, betonte Lindner am Montag in Berlin.

Inflation als wichtiges Thema

Tatsächlich dürfte die Teuerung der Verbraucherpreise Nagel umtreiben. Der Ökonom, der in seiner Geburtsstadt Karlsruhe Volkswirtschaft studierte, tritt in einer Zeit das Amt an, in der die Inflation so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr ist. In Deutschland kletterte die Teuerungsrate im November auf 5,2 Prozent, im Euroraum auf 4,9 Prozent.

Die EZB aber hält an ihrem Kurs des billigen Geldes fest, auch um hoch verschuldete Staaten wie beispielsweise Griechenland oder Italien nicht in die Krise zu stürzen. Weidmann war mit seinen Forderungen nach einer Straffung der Geldpolitik häufig abgeprallt.

Der Volkswirt Joachim Nagel soll neuer Präsident der Bundesbank werden.
Der Volkswirt Joachim Nagel soll neuer Präsident der Bundesbank werden. © dpa

Positive Reaktionen auf Nagel-Wahl

Auch Nagel gilt als Kritiker des billigen Geldes, wird sich damit innerhalb der EZB also in der Minderheit wiederfinden. Trotzdem halten ihn Kollegen und Beobachter für eine gute Wahl. Der Ökonom Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und selbst gehandelter Kandidat für die Bundesbank-Spitze, gratulierte Nagel. „Joachim Nagel ist ein sehr guter Ökonom und ein kluger Kopf, der Deutschland hervorragend repräsentieren und seine Stimme in die EZB einbringen wird“, sagte Fratzscher unserer Redaktion.

Der Präsident des Bundesverbands deutscher Banken und Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, nannte Nagel „einen Experten mit langjähriger Notenbankerfahrung und ausgezeichneter Kenntnis der Finanzmärkte“. Seine Ernennung passe zur Rolle Deutschlands als „Stabilitätsanker in Europa“.

Bartsch fordert Engagement für sinkende Preise

Nagel, der in seiner Promotion die Wirtschaftspolitik des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan analysierte, erhielt 1998 den Klaus-Tschira-Preis, eine Auszeichnung für verständliche Kommunikation. Verständlich die Positionen der deutschen Geldpolitik zu erklären, wird eine seiner Aufgaben sein. Zwar hat er im EZB-Rat lediglich dasselbe Stimmrecht wie die anderen 18 Euroländer, doch der Kurs der größten Volkswirtschaft Europas hat Gewicht.

Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, erwartet aber nicht nur Worte, sondern auch Taten. „Angesichts der galoppierenden Inflation erwarte ich vom neuen Bundesbank-Präsidenten auch ein Engagement für sinkende Preise“, sagte Bartsch unserer Redaktion.

Schon am Mittwoch könnte Nagel offiziell der Weidmann-Nachfolger ­werden. Dann tagt das Bundeskabinett zum letzten Mal in diesem Jahr. Die ­Zustimmung zu Nagel gilt als Formsache.