Berlin. Die Reinigungsbranche hat durch die Corona-Pandemie einen Kahlschlag erlebt - hofft aber einen neuen Trend. Die Arbeit wird sichtbarer.

Sandy Hacker wischt über den Tisch der Kantine. Normalerweise wuseln um sie herum Kinder. Wenn nicht gerade Corona kursiert. An gewöhnlichen Schultagen tummeln sich hier 700 Schüler der Grundschule Regenbogen, einem gesichtslosen Plattenbau im Berliner Stadtteil Marzahn-Hellersdorf, der wie ohnehin die gesamte Hauptstadt ein Corona-Hotspot ist.

Seit einem Jahr arbeitet die gebürtige Berlinerin als Reinigungskraft, nachdem sie einen Job als Kommissioniererin an einer Tankstelle schmiss. Zu schlecht waren die dortigen Arbeitsbedingungen. Doch kaum hatte die junge Frau als Reinigungskraft angeheuert, kam die Pandemie. „Zu Beginn der Krise war die Unsicherheit groß“, erzählt Hacker.

Die Berlinerin Sandy Hacker arbeitet als Reinigungskraft.
Die Berlinerin Sandy Hacker arbeitet als Reinigungskraft.

Niemand wusste so wirklich, wie sich das Virus verbreitet. „Türgriffe, Klinken, Lichtschalter – ich habe alles mehrmals am Tag gereinigt“, berichtet die 31-Jährige. Auch ein Dreivierteljahr nach Pandemiebeginn ist Hacker damit beschäftigt, kontinuierlich alle Kontaktflächen wie etwa Aufzugknöpfe, Treppengeländer oder auch Kopiergeräte zu putzen. Lesen Sie auch: Schule und Corona: Präsenzunterricht um jeden Preis?

Systemrelevanter Job – aber nur 10,80 Euro pro Arbeitsstunde

Noch immer ist nicht klar, inwieweit Schulen Infektionsherde in der Pandemie sind. Mit Maske und dem regelmäßigen Einsatz von Desinfektionsmittel fühle sich Hacker relativ sicher. Ganze Klassen ihrer Schule wurden in Quarantäne geschickt, sie putzte weiter. Sie mache ihren Job gerne, sagt Hacker: „Ich mag es, wenn etwas sauber wird“. Wichtig sei ihr aber der Respekt für ihre Arbeit. „Ich habe es an anderen Arbeitsplätzen erlebt, dass man nicht gut behandelt wird. Man muss sich doofe Sprüche und Vorwürfe anhören, der Blick für das, was man leistet, ist nicht immer gegeben“, sagt sie.

Acht Stunden arbeitet sie am Tag, 10,80 Euro pro Stunde bekommt Hacker, so sieht es der Tarif vor. Ein harter, ein anstrengender Job. Und dennoch ist Wertschätzung für die Gebäudereiniger oftmals ein Fremdwort – was auch das Image beschädigt. „Der Ruf der Branche ist nicht der Beste, das macht es uns schwer, überhaupt Personal zu finden“, sagt Henri Harder, Betriebsleiter der Berliner Reinigungsfirma Schwarz-Weiss, bei der auch Sandy Hacker angestellt ist. Die Corona-Krise könne eine Chance sein, dass die Arbeit mehr wertgeschätzt wird, hofft Harder.

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Corona-Pandemie hatte ambivalente Wirkung auf Gebäudereiniger

In wohl kaum einer Branche hat die Pandemie eine derart ambivalente Wirkung entfaltet wie bei den Gebäudereinigern. Sie gelten als systemrelevant, wurden bei dem Applaus von den Balkonen aber meist vergessen. Laut einer Forsa-Umfrage findet jeder vierte Befragte die Arbeit der Gebäudereiniger wichtiger als zuvor. Ein moralischer Ritterschlag. Der viele Arbeitnehmer aber nicht davor bewahrte, auf die Straße gesetzt zu werden.

Sandy Hacker bei der Arbeit. Ihr Job bedeutet harte körperliche Arbeit, Wertschätzung wird Gebäudereinigern nur selten entgegengebracht.
Sandy Hacker bei der Arbeit. Ihr Job bedeutet harte körperliche Arbeit, Wertschätzung wird Gebäudereinigern nur selten entgegengebracht.

Laut einer Umfrage des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) unter seinen Mitgliedsunternehmen musste jede vierte Firma Mitarbeiter entlassen, zwei Drittel der Firmen meldeten Umsatzeinbußen. Wenn Hotels und Fitnessstudios geschlossen, Büroflächen verwaist und Industriebetriebe kaum ausgelastet sind, gibt es eben auch weniger zu reinigen. „Die Corona-Pandemie hat schmerzhafte Spuren in unserem industrienahen Dienstleistungshandwerk hinterlassen“, sagte BIV-Bundesinnungsmeister Thomas Dietrich unserer Redaktion. In Krankenhäusern und Schulen herrschte dagegen Hochkonjunktur.

Beschäftigte möchten lieber tagsüber statt nachts arbeiten

In diesem schwierigen Umfeld einigten sich die Gewerkschaft IG BAU und der Bundesinnungsverband Anfang November auf einen neuen Tarifvertrag. Bis 2023 soll der Branchenmindestlohn für die rund 700.000 Beschäftigten stufenweise auf zwölf Euro ansteigen. Auch interessant: Corona-Lockdown: Durch Ladenschließungen droht Pleitewelle

Doch die Branche will mehr. Sie will sichtbar werden. Denn bisher bekommen viele die Arbeit der Reinigungskräfte nicht mit, oft wird frühmorgens oder spätabends gearbeitet. Vom „Heinzelmännchen-Image“ spricht Thomas Dietrich. Von diesem Schattendasein müsse man wegkommen, hin zur Reinigung am Tag. Davon würden alle profitieren: „Beschäftigte freuen sich über familienfreundliche Arbeitszeiten, Unternehmen hilft es beim Recruiting, und Auftraggeber können direkt und kurzfristig vor Ort mit uns kommunizieren“, sagt Dietrich.

Die Resonanz aus den Betrieben sei bisher aber verhalten, berichtet Betriebsleiter Harder. Häufig sei es so, dass die Arbeitnehmer in den Büros nicht gestört werden sollten. „Es ist traurig für uns, zu hören, dass wir als störend wahrgenommen werden. Das sind wir nicht. Im Gegenteil. Wenn wir am Tag reinigen, können wir auf die Wünsche der Beschäftigten viel besser eingehen“, sagt Harder.

Tagesreinigung erhöht auch das Ansehen der Reinigungskräfte

Die Grundschule Regenbogen setzt seit Februar auf Tagesreinigung setzt. „Die Kinder sehen die Reinigungskräfte, ihre Achtung ist gestiegen, die Überheblichkeit gesunken“, sagt Schulleiterin Christiane Knoppick. Sie habe in der Vergangenheit viele Diskussionen mit Schülern geführt, weil die Kinder Müll auf dem Boden nicht aufheben wollten. „Das ist mit der Tagesreinigung sehr viel besser geworden. Die Schüler begreifen, dass jemand im Haus ist, der schwer und hart arbeitet. Also helfen sie selbst mit“, berichtet Knoppick.

Das erlebt auch Sandy Hacker mit. Als sie gerade im ersten Stock an ihrer Schule putzte, wurde sie von einem Lehrer in den Unterricht geholt. Alle Schüler bedankten sich bei ihr. Auch ein kleines Präsent erhielt sie, an dem sich die Angestellten und Schüler der Schule beteiligten – als Dank für ihre Leistung in dieser Zeit, so Hacker: „Das war ein Erlebnis, das mich zutiefst gerührt hat.“