Berlin. Der Präsident der Metallarbeitgeber Rainer Dulger spricht über die Energiewende, die Zukunft der Autoindustrie und auch den Brexit.

Rainer Dulger kommt zum Interview im schwarzen Mercedes mit Hybridantrieb und redet sich bei zwei Themen in Fahrt: bei der Dieseldebatte und beim Management der Energiewende durch die Bundesregierung. Das geht besser, meint der Arbeitgeberchef einer der wichtigsten deutschen Branchen.

Herr Dulger, fahren Sie gern schnell auf der Autobahn?

Rainer Dulger: Ja, schon. Aber nicht mehr so schnell wie früher. Haben Sie etwa mein Punktekonto in Flensburg gehackt?

Nein! Wir fragen wegen der Debatte um das Tempolimit, das ein Beitrag zum Klimaschutz sein soll. Ist das sinnvoll?

Dulger: Ich bin kein sogenannter Umweltexperte. Aber ich höre, dass der Straßenverkehr gar nicht so stark für den Klimawandel verantwortlich ist. Demnach würde ein Tempolimit keine große Wirkung haben. Ich glaube, dass es höchstens die Verdrossenheit der Bürger befördern würde.

Die Branche, deren Arbeitgeber Sie vertreten, ist durch den selbst verschuldeten Dieselskandal schon angeschlagen ...

Dulger: ... weshalb Arbeitgeber und Beschäftigte sagen würden: Das hat gerade noch gefehlt. Die Autobranche ist die Schlüsselbranche unserer Wirtschaft und ist durch hanebüchenes Verhalten der Politik genug geschädigt. Was wird der Autobranche noch alles aufgeladen! Es heißt immer: Sie tun zu wenig für die Elektromobilität. Dabei ist doch klar, dass ein Hersteller, dessen Entwicklungsabteilung damit beschäftigt ist, ­immer schärfere Schadstoffgrenzwerte einzuhalten, immer weniger Kapazitäten für Zukunftstechnologien hat.

Sollten die diskutierten Grenzwerte für Stickoxid ausgesetzt werden?

Dulger: Wenn selbst Lungenfachärzte den Grenzwert im Straßenverkehr für zu niedrig halten, muss zeitnah eine neue Entscheidung her. Die Bundesregierung muss das in Brüssel sofort einfordern.

Wir reden immer vom Diesel. Aber gehört Elektrofahrzeugen nicht die Zukunft?

 Rainer Dulger, Präsident von Gesamtmetall.
Rainer Dulger, Präsident von Gesamtmetall. © dpa | Sebastian Gollnow

Dulger: Wir werden noch mindestens 20 Jahre den Verbrennungsmotor brauchen. Es ist für mich unerklärlich, wie die Umweltministerin von einer Klimakonferenz kommen kann und dort Dinge akzeptiert, die vorher in der Bundesregierung ganz anders vereinbart waren. Jetzt gibt es Grenzwerte, die technisch nicht zu machen sind. Das ist unglaublich. Wenn Deutschland mehr als 30 Prozent des Klimagases CO2 einsparen muss, dann kostet das Arbeitsplätze.

Wie verändert die Produktion von Elektroautos die Branche? Die IG Metall schätzt, dass gut 100.000 Jobs wegfallen könnten.

Dulger: Klar ist, dass Elektromobilität Arbeitsplätze kosten wird. E-Autos haben keinen Benzintank, keinen Auspuff, kein Getriebe. Der Umfang des Jobverlusts hängt davon ab, wie die neue Technik angenommen wird – und ob wir die notwendige Technik an den deutschen Standorten zu wettbewerbsfähigen Kosten herstellen können. Noch fährt ja kaum jemand mit Elektroautos. Das liegt an fehlenden Ladesäulen. Fahrzeuge, bei denen man die Batterie lange aufladen muss, werden auch nie populär werden. Für Brennstoffzellen, die während der Fahrt Wasserstoff oder auch Erdgas in Strom umwandeln, haben wir dagegen mit den Tankstellen eine super Infrastruktur.

Hilft die Bundesregierung der Wirtschaft ausreichend bei dieser Transformation?

Dulger: Sie könnte mehr tun. Die Unternehmen wünschen sich eine steuerliche Förderung der Forschung und Entwicklung von neuen Technologien. Vor allem aber: Wenn wir die Weiterentwicklung zur Industrie 4.0 und Mobilität 4.0 wollen, dann brauchen wir Strom. Und zwar in jeder Millisekunde. Doch die Wahrheit ist: Der Wirtschaftsminister hat kein Konzept für die Energiewende. Niemand weiß, wo die Energiewende herkommt und wo sie hingeht. Beim wichtigsten Thema in unserer Indus­trienation ­– Energie – handelt die Regierung einfach nicht. Es ist verantwortungslos, wie da mit der Zukunft unseres Industriestandortes umgegangen wird. Wir reden alle von Technologie, die ohne Strom gar nicht auskommt.

Was heißt das für die Unternehmen?

Dulger: Sie können nicht planen. Große Stromverbraucher wie Aluminiumhütten wird jetzt schon der Strom abgedreht, wenn der Wind schwach ist und die Sonne nicht scheint. Das ist unglaublich. Alles, was sich die Politik von uns wünscht, geht nur, wenn wir genügend Strom haben. Aber 2022 werden die ersten Atomkraftwerke abgestellt. Bald wird keine Kohle mehr verstromt. Aber die Stromleitungen für die erneuerbaren Energien werden nicht fertig. Wie stellt die Politik sich das vor? Es herrscht energiepolitisches Chaos. Der Wirtschaftsminister hat die Lage nicht im Griff.

Am Arbeitsmarkt herrscht Rekordbeschäftigung. Ist das eine gute Zeit, gegen befristete Beschäftigung vorzugehen? Der Arbeitsminister will nur noch eine begrenzte Zahl von Stellen ohne Grund befristen lassen.

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    Dulger: Das geht gar nicht, das tut uns richtig weh. Die Konjunktur kühlt sich ab. Es gibt viele Unsicherheiten. Genau jetzt brauchen Unternehmer maximale Flexibilität für ihre Mitarbeiter. Wir haben in Deutschland ein so rigides Kündigungsrecht, dass ich mir dreimal überlege, ob ich jemanden einstelle. Die Befristung hilft uns. Bei einem oder zwei Jahren Befristung können beide Seiten sehen, ob es passt. In der Metall- und Elektro-Industrie werden rund zwei Drittel aller zunächst befristet eingestellten Mitarbeiter anschließend unbefristet übernommen.

    Fürs gegenseitige Kennenlernen gibt es doch die Probezeit …

    Dulger: Die ist viel zu kurz. Sechs Monate für hoch qualifizierte Tätigkeiten – da kann ich noch nicht sehen, ob jemand etwas kann. Wir brauchen Flexibilisierung, aber die Bundesregierung nimmt uns das letzte Instrument. Die Zeitarbeit ist schon eingeschränkt. Wir sollen gleichzeitig alle Teilzeit- und Vollzeitwünsche möglichst sofort erfüllen. Die Bundes­regierung muss die Befristung erhalten. Ohne diese Möglichkeit wird der Arbeitsmarkt unflexibler.

    Vor einem Jahr haben Sie mit der IG Metall bei den Tarifverhandlungen vereinbart, dass Beschäftigte unter bestimmten Voraussetzungen eine zusätzliche Auszeit von acht Tagen nehmen können. Wie wird das angenommen?

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    Dulger: Die Inanspruchnahme ist viel höher, als beide Seiten erwartet haben. Das liegt auch daran, dass die IG Metall ihren Mitgliedern nicht gesagt hat, dass der Arbeitgeber den Wunsch unter bestimmten Bedingungen ablehnen kann. Jetzt ist die Enttäuschung in vielen Belegschaften groß.

    Welche Schlüsse ziehen Sie daraus, dass die Inanspruchnahme deutlich größer war als erwartet?

    Dulger: Wir befinden uns im neunten Jahr des Aufschwungs. Einen so langen Wirtschaftsboom gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. In dieser Situation ist die Lohnhöhe offenbar nicht mehr der entscheidende Punkt – zumal wir ja parallel eine 4,3 Prozent Tabellenerhöhung vereinbart haben. Da wünschen sich Arbeitnehmer mehr Freizeit. Wir werden das jetzt mal ausprobieren. Bis zur nächsten Tarifrunde wissen wir, ob das die Zukunft ist oder nicht.

    Eine der Unsicherheiten ist der Brexit. Auf was stellen sich die Unternehmen ein?

    Dulger: Unsere Befürchtung ist, dass bei einem ungeregelten Brexit ganze Industrien nicht mehr funktionieren werden. Lieferketten könnten abreißen. Zur Abfertigung der Schiffe und Lkw wird eine solche Menge Zollbeamte benötigt, die es auf beiden Seiten gar nicht gibt. Lkw und Güterzüge müssen unter Umständen Tage an den Grenzen stehen bleiben. Der Grenzverkehr wird zum Erliegen kommen. Für beide Volkswirtschaften wird das ein Desaster. Das Geschäftsjahr, in dem ein harter Brexit kommt, können Sie vergessen.

    Sind die Firmen denn gar nicht vorbereitet?

    Dulger: Viele Unternehmen haben schon Konsequenzen gezogen. Ich kenne Mittelständler, die ihr Werk in Großbritannien geschlossen haben. Die warten nicht ab, wie der Brexit aussieht, das Risiko ist einfach zu hoch. Banken haben ihre Geschäfte nach Frankfurt verlegt. Die Situation der Briten ist düster. Sie sind wirtschaftlich in einer schlechten Situation und jetzt gehen noch wichtige Unternehmen weg, die Beschäftigung und Industrie gebracht haben.