Berlin. Der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer übt Kritik am Minister. Der verweigere sich einer sachlichen Debatte im Tempo-130-Streit.

Tempo 130 auf Autobahnen? In Deutschland? Es ist eine emotional geführte, ideologisch hochaufgeladene Debatte, die immer wieder aufflammt. Für die Befürworter sind Menschen, die 200 Kilometer pro Stunde fahren, egoistische Raser, die der Umwelt schaden und Menschenleben riskieren. Für die Gegner hat die freie Fahrt nicht nur mit Schnelligkeit zu tun, sondern auch mit ihrem individuellen Freiheitsgefühl.

Der Debattenanstoß kam diesmal aus einer Arbeitsgruppe der Regierungskommission zur Zukunft der Mobilität, begründet mit den Klimaschutzzielen der Regierung. Doch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat sich klar gegen Tempo 130 gestellt.

Realitätsferne Gedankenspiele seien „gegen jeden Menschenverstand“, kommentierte der CSU-Politiker die Vorschläge. Er stellte sich gegen Forderungen, die „unseren Wohlstand gefährden“ oder Zorn auslösen könnten. Die FDP spricht von einem „

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“.

Auf 70 Prozent der Autobahnstrecke keine Höchstgeschwindigkeit

Die SPD will eine Geschwindigkeitsbegrenzung prüfen, die Grünen sind seit Jahren dafür. „Es ist wichtig, dass jetzt über Klimaschutz-Maßnahmen im Verkehr gesprochen wird“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer unserer Redaktion. „Der Verkehrsminister macht auf Fundi-Opposition und verweigert sich einer sachlichen Auseinandersetzung.“

13.000 Kilometer Autobahn gibt es laut Bundesverkehrsministerium in Deutschland, auf etwa 70 Prozent gilt keine Höchstgeschwindigkeit. Deutschland ist das einzige westliche Industrieland ohne Tempolimit auf Autobahnen. In den meisten EU-Staaten gilt 130, in manchen auch nur 120, etwa in Spanien oder Belgien. Sogar im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den USA, gibt es ein Tempolimit auf der Interstate.

Ein Überblick über die Debatte:

Umwelt Das Ziel heißt: weniger CO2. Deutschland muss den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid senken, um die vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen. Das Argument der Tempolimit-Befürworter: weniger Geschwindigkeit, weniger Kraftstoffverbrauch. Mit Tempo 130 werden zwei bis drei Millionen Tonnen CO2 eingespart, nicht viel im Vergleich zu 115 Millionen Tonnen im gesamten Autoverkehr, aber die Maßnahme ist einfach und weitgehend kostenlos zu haben.

Auf 70 Prozent der Autobahnstrecken gibt es keine Höchstgeschwindigkeit
Auf 70 Prozent der Autobahnstrecken gibt es keine Höchstgeschwindigkeit © dpa | Patrick Seeger

Weitere Umwelt-Argumente der Befürworter: Eine Begrenzung verringert den Verkehrslärm. Gegenargument: Für Lautstärke sorgen vor allem die Lastkraftwagen. Der Verband der Automobilindustrie lehnt ein generelles Tempolimit ab: Dies wäre reine Symbolpolitik ohne einen signifikanten Effekt für die Verkehrssicherheit oder den Klimaschutz.

In Österreich dürfen Fahrer eines Elektroautos an manchen besonders mit Abgasen belasteten Autobahnabschnitten, auf denen für Benziner und Diesel nur Tempo 100 erlaubt ist, 130 fahren.

Sicherheit Laut Statistischem Bundesamt starben 2017 insgesamt 3180 Menschen im Straßenverkehr, davon 409 auf Autobahnen, auf Landstraßen 1795. Hauptunfallursache ist auf Autobahnen und Landstraßen zu schnelles Fahren. Die Autobahnen sind, so das Fazit des Statistischen Bundesamtes, bezogen auf die gefahrenen Kilometer die sichersten Straßen. Auch EU-weit, so eine Statistik der Europäischen Union für Verkehrssicherheit, sind nur acht Prozent der Verkehrstoten auf Autobahnen zu verzeichnen.

Der ADAC spricht sich deshalb gegen Tempo 130 aus: „Der Beitrag zur Verkehrssicherheit und zum Klimaschutz wäre gering.“ Auf Abschnitten ohne Tempolimit ereignen sich nach ADAC-Angaben nicht mehr Unfälle als auf Strecken mit Geschwindigkeitsbegrenzung. Die eigentliche Schwachstelle in der Verkehrssicherheit seien nach wie vor die Landstraßen.

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Grünen-Politiker Krischer hält dagegen: Die Gründe für ein Tempolimit auf Autobahnen seien vielfältig: „Weniger Stress beim Fahren, die Unfallzahlen sinken um rund 30 Prozent und die Zahl der Verkehrstoten verringert sich deutlich“.

Wirtschaft Tempolimit-Gegner fragen sich: Warum sollte ich mir ein Auto mit einem starken Motor kaufen, wenn ich dieses nicht einmal ansatzweise ausfahren kann? Freie Fahrt sei wichtig für den Industriestandort Deutschland. Diesen Argumenten halten die Befürworter entgegen: In Ländern mit Geschwindigkeitsbegrenzung, etwa USA und China, sind seit Jahren deutsche Autos mit starken Motoren beliebt.

Der ADAC verweist auf einen Vergleich mit Österreich (Tempo 130) und der Schweiz (Tempo 120): Die Annahme, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung den Kauf von Autos mit kleinen Motoren bewirke, habe sich als falsch erwiesen.

Umfragen ergeben kein klares Bild. 52 Prozent der Autofahrer in Deutschland sind für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, so eine Ipsos-Studie im Auftrag des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. Vor allem Frauen (67 Prozent der Befragten) sprechen sich für eine Obergrenze aus. Fast ein Drittel der Autofahrer (32 Prozent) sind verunsichert, wenn sie schnell überholt werden oder das Auto hinter ihnen zu nah auffährt.