Berlin. IW-Studie zum Home-Office: Mobiles Arbeiten sorgt oft für Konflikte mit der Familie – weil auch in der Freizeit noch gearbeitet wird.

Es klingt wunderbar: Zuhause arbeiten, damit man Beruf und Familie besser vereinbaren kann. Am Computer tippen, digital mit dem Büro verbunden sein, während das Baby schläft, Spül- und Waschmaschine laufen. Spart das Geld für die Kinderbetreuung, selbstbestimmte Pausen sind inklusive.

Doch die Realität sieht vielfach anders aus, das vernetzte und digitale Arbeiten birgt auch Gefahren: Für viele ist mobiles Arbeiten gar nicht so erstrebenswert, weil sich Freizeit und Arbeitszeit miteinander vermengen – und damit die Familie doch zu kurz kommt. Wissenschaftlich ausgedrückt: „Mobil arbeitende Menschen müssen häufiger als andere Beschäftigtengruppen in Kauf nehmen, dass sich private und berufliche Sphäre gegenseitig stören können. Nicht für jeden ist dies erstrebenswert“, heißt es in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

Wegfallende Fahrzeiten zum Büro und flexibleres Zeitmanagement

Der Autor der Studie, Arbeitsmarktforscher Oliver Stettes, betont, dass viele Unternehmen und Beschäftigte davon überzeugt seien, dass der digitale Wandel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern könne, etwa durch wegfallende Fahrzeiten zum Büro und wegen eines flexibleren Zeitmanagements.

Doch: Egal ob Homeoffice oder sonstige Formen des mobilen Arbeitens – „wer internetgestützt räumlich und zeitlich flexibel arbeitet, hat zwar mehr Zeitsouveränität im beruflichen Alltag“, erfülle im Gegenzug während der Freizeit (beziehungsweise in den Tageszeiten, die ansonsten üblicherweise für private Aktivitäten reserviert sind, etwa am Abend) „signifikant häufiger berufliche Aufgaben“, schreiben die Autoren der Studie. Danach berichten mobile Computerarbeiter – das sind Arbeitnehmer, die mehrmals im Monat oder häufiger außerhalb des Betriebes arbeiten und mindestens 25 Prozent ihrer Arbeitszeit am PC, Laptop oder Smartphone verbringen – in Deutschland deutlich häufiger von Stresssituationen.

Mobiles Arbeiten zieht oft Stress in der Familie nach sich

„Flexibles Arbeiten erhöht die Wahrscheinlichkeit von Beruf-Familie-Konflikten“, heißt es in der Untersuchung. Der Studie zufolge haben zwei Drittel der mobilen Computerarbeiter in Deutschland und sogar drei Viertel dieser Beschäftigten in der Europäischen Union (EU) „meistens oder immer das Gefühl, dass ihre Arbeit sie davon abhält, ihrer Familie so viel Zeit zu widmen, wie sie es wollten“, lautet das Fazit der Untersuchung. Dieses Gefühl trete zwar auch bei anderen Beschäftigtengruppen auf, aber zum Teil deutlich seltener.

Arbeiten in den eigenen vier Wänden birgt die Gefahr von Streitereien mit der Familie.
Arbeiten in den eigenen vier Wänden birgt die Gefahr von Streitereien mit der Familie. © imago/Westend61 | imago stock&people

Rund die Hälfte der mobilen Computerarbeiter in Deutschland und der EU empfindet es als schwierig, sich angesichts vorhandener familiärer Verpflichtungen auf die Arbeit zu konzen­trieren, oder sieht sich gezwungen, das zeitliche Engagement im Beruf zu verringern. Diese „Störungen“, die aus dem familiären Umfeld auf den beruflichen Alltag ausstrahlen, kommen in den anderen Beschäftigtengruppen deutlich seltener vor. Nun seien Beruf-Familie- oder Familie-Beruf-Konflikte per se nicht schlimm, weil sie nicht für jede Person problematisch sind, so der IW-Forscher. Man muss sich nur bewusst sein, dass der Wunsch nach mehr räumlicher und zeitlicher Flexibilität die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben durchlässiger macht und diese Konflikte eher auftreten können, betont der Autor.

DGB sieht sich in seiner vorsichtigen Bewertung bestätigt

Beispielsweise geben knapp zwei Drittel der Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiten, als Grund an, sie wünschten sich die Trennung von Beruf und Privatem. Im DGB-Index „Gute Arbeit“ wurde vor zwei Jahren schwerpunktmäßig nach der Digitalisierung und der mobilen Arbeit gefragt. Auch dort gaben Arbeitnehmer, die vermehrt mobil arbeiten, an, beim Kriterium der Arbeitsintensität insgesamt sehr schlechte Arbeitsbedingungen zu haben: 70 Prozent gaben an, bei der Arbeit sehr häufig oder oft zu hetzen, 31 Prozent leisteten sehr häufig oder oft unbezahlte Arbeit, 44 Prozent mussten ständig erreichbar sein.

Demgegenüber standen bessere Arbeitsbedingungen unter dem Aspekt der Wertschätzung und unter dem Kriterium der Gestaltungsmöglichkeiten. Der DGB sieht sich daher in seiner vorsichtigen Bewertung des mobilen Arbeitens bestätigt. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte dieser Redaktion, der Bericht zeige einmal mehr, „dass Digitalisierung nicht automatisch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führt, sondern klare Regeln für mobiles Arbeiten geschaffen werden müssen“.

Steigende Erwartungen an Erreichbarkeit von Beschäftigten

Um Stress zu vermeiden und Flexibilität tatsächlich für mehr Selbstbestimmung nutzen zu können, müssten Arbeitszeiten erfasst werden und „Zeiten für Nicht-Erreichbarkeit vereinbart – und auch eingehalten – werden“. Buntenbach betont, die Aufgaben müssten zu den vereinbarten Arbeitszeiten passen, um „unsichtbare“ Mehrarbeit und zusätzlichen Arbeitsdruck zu vermeiden. Laut Zahlen des Bundesfamilienministeriums spart ein Beschäftigter immerhin 4,4 Stunden im Durchschnitt pro Woche, wenn er mobile Arbeitsformen nutzt. Das Ministerium beschäftigt sich schon länger mit Regeln für die digitale Vereinbarkeit. Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, so heißt es dort, könne zu steigenden Erwartungen an die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Beschäftigten führen.

Aber: „Wenn Unternehmen die Möglichkeiten der Digitalisierung jedoch verantwortungsbewusst und geplant nutzen, können diese Risiken vermieden werden – mit der Folge, dass sich die Vereinbarkeit der Beschäftigten verbessert.“