Frankfurt/Main. Lebensversicherer greifen wegen niedriger Zinsen zu ungewohnten Mitteln. Sie verkaufen Altverträge. Verbraucherschützer sind in Sorge.

In der Vergangenheit hatten es Lebensversicherer leicht: Sie legten einen Großteil der Kundengelder an den Märkten für Staatsanleihen an, denn diese Papiere gelten im Normalfall als wenig riskant, also wenig ausfallgefährdet. Im Gegenzug versprach eine Lebensversicherung den Kunden erquickliche Erträge durch einen garantierten Zinssatz über die Laufzeit einer Police. Diese Zeiten sind allerdings seit einigen Jahren vorbei.

Wie Sparer leiden auch Lebensversicherer unter den aktuell niedrigen Zinsen. Die sind Folge der Nullzinspolitik von Notenbanken wie der Europäischen Zentralbank. In der Folge sind die Zinsen für die festverzinsten Staatspapiere ebenso gesunken, die Anleihen werfen also weniger Geld ab. Das bringt Lebensversicherer in Bedrängnis, weil sie den garantierten Zins für Altverträge nur mühsam erwirtschaften können.

Generali verkauft Lebensversicherungsgeschaft an Abwickler

Angesichts dieser Herausforderungen greifen einige Lebensversicherer zu ungewöhnlichen Mitteln. Sie lagern Altverträge aus, sprich: Sie verkaufen sie. Abnehmer sind sogenannte Run-off-Gesellschaften. Das sind Unternehmen wie die Frankfurter Leben oder auch Viridium aus NeuIsenburg bei Frankfurt. In die Schlagzeilen hat es Viridium erst kürzlich geschafft. Da hat das Unternehmen zusammen mit der italienischen Generali-Versicherung bekannt gegeben, das deutsche Lebensversicherungsgeschäft von Generali quasi komplett zu übernehmen.

Die Übernahme ist der bislang mit Abstand größte Verkauf von Lebensversicherungen an eine solche Abwicklungsgesellschaft: Unternehmensteile und Versicherungspolicen im Wert von fast zwei Milliarden Euro wechseln den Besitzer. Betroffen sind rund vier Millionen Verträge von (ehemaligen) Generali-Kunden.

Nach Generali-Verkauf könnten andere nachziehen

Der geplante Verkauf der deutschen Generali-Lebensversicherung an Viridium ist zwar die bislang größte, aber nicht die einzige Transaktion dieser Art. Allerdings waren es bislang eher kleinere Versicherer und kleinere Bestände, die den Besitzer gewechselt haben. So kümmert sich die Frankfurter Leben um die ehemaligen Bestände der Basler (knapp 130.000 Verträge) und der Arag Lebensversicherungs AG (gut 320.000 Verträge).

Geprüft wird von der Finanzaufsicht derzeit noch die Übertragung von Beständen der PRO baV Pensionskasse des Axa-Konzerns; und der Prudentia-Pensionskasse, die die betriebliche Altersversorgungsleistungen der Cofra-Gruppe erbringt, zu der auch das Modeunternehmen C&A gehört.

Auch die Ergo-Versicherung hatte einen Verkauf ihrer Bestände geprüft, sich aber dagegen entschieden. Sie bastelt nun mit dem IT-Spezialisten IBM an einer eigenen Lösung. Branchenbeobachter erwarten, dass nach dem Generali-Verkauf auch andere Versicherer nachziehen könnten.

Geschäft mit „Altlasten“ kann profitabel sein

Die Versicherungswirtschaft jedenfalls sieht in den Verkäufen von Lebensversicherungen einen Ausweg aus dem Nullzinstal. Sie argumentiert, dass Run-off-Unternehmen profitabler wirtschaften können. Zum einen verwalteten sie die angehäuften Verträge mit moderner IT, was die Kosten senke. Zudem fällt ein anderer Kostenblock weg: Marketing und das Einwerben neuer Verträge.

Die Run-off-Gesellschaften betreiben kein Neugeschäft, sondern verwalten lediglich die „Altlasten“. Dass hinter Viridium ein potenter Investor steckt, zeigt, dass dieses Geschäft dennoch profitabel sein kann. Die Hannover Rück hat Viridium gemeinsam mit dem Investor Cinven ins Leben gerufen. Cinven hält 80 Prozent der Anteile. Offenbar verspricht sich die Beteiligungsgesellschaft ordentliche Gewinne in dem neuen Geschäftsfeld.

Finanzaufsicht setzt hohe Hürden für Verkauf

Die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin wird den geplanten Verkauf natürlich unter die Lupe nehmen. „Durch einen Unternehmensverkauf darf kein Versicherungsnehmer schlechter gestellt werden“, stellte deren Chef, Frank Grund, klar. Vertragliche Garantien müssten unverändert bestehen bleiben.

Das sei bei den meisten dieser Geschäfte schon dadurch gewährleistet, dass die Hürden für die Verkäufe hoch seien. Denn in der Regel wechseln nur ganze Unternehmen oder Unternehmensteile den Besitzer. „Der Rechtsträger, die Lebensversicherungsgesellschaft, bleibt also Vertragspartner des Kunden.“ Auch in diesem Fall prüft die Bafin, ob dem auch wirklich so ist.

Verbraucherschützer wollen notfalls vor Gericht ziehen

Der Bund der Versicherten sieht die Verkäufe dagegen kritisch. „Wir befürchten, dass die Versicherten künftig schlechter gestellt sind. Alle Generali-Kunden müssen damit rechnen, zukünftig noch spärlicher mit Überschüssen bedient zu werden.“ Deswegen wollen die Verbraucherschützer diesen und andere Deals dieser Art genau beobachten und gegebenenfalls vor Gericht für die Rechte der Betroffenen kämpfen.