Berlin. Der Bundesgerichtshof hält Kürzungen der Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen für rechtmäßig. Wichtige Fragen und Antworten.

Verbraucher, deren Lebensversicherung in der aktuellen Niedrigzinsphase endet, müssen sich mit weniger Geld zufriedengeben – damit für die übrigen Kunden genug übrig bleibt. Eine entsprechende gesetzliche Neuregelung von 2014 ist verfassungsgemäß. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch entschieden und damit den Lebensversicherern den Rücken gestärkt. (Az. IV ZR 201/17)

Danach dürfen Versicherer in wirtschaftlich schwieriger Lage ausscheidende Kunden nicht mehr so üppig wie früher an ihren Kursgewinnen aus festverzinslichen Wertpapieren beteiligen. Wie viele Kunden die Kürzungen treffen, lässt sich nicht verlässlich sagen. Laut Bundesfinanzministerium enden pro Jahr etwa sieben Prozent aller Verträge. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Urteil:

Was erwartet Kunden bei der Auszahlung der Lebensversicherung?

Wer mit einer Kapitallebensversicherung oder einer privaten Rentenversicherung vorsorgt, muss beim Ablauf seines Vertrages mit einer Kürzung bei der Beteiligung an den Bewertungsreserven der Versicherung rechnen. Seit 2014 ist dies gesetzlich erlaubt. Der Bundesgerichtshof hält die damalige Änderung des Rechts für verfassungsgemäß. Es bleibt also bei der aktuellen Praxis.

Wie entstehen Bewertungsreserven?

Angenommen, eine Versicherung hat das Geld der Kunden vor Jahren zu hohen Zinsen von fünf Prozent in lange laufenden Staatsanleihen angelegt. Danach sind die Zinsen am Kapitalmarkt gefallen – und liegen derzeit fast bei null Prozent. Bei sinkenden Zinsen steigt zugleich Verkaufswert der Anleihe. Die Differenz zwischen dem ursprünglichen Kaufpreis und dem aktuellen Wert ist die Bewertungsreserve.

Ist dies nicht ein Gewinn, der den Anlegern zusteht?

Grundsätzlich werden die Kunden an diesem Buchgewinn beteiligt. Bis 2014 bekamen sie die Hälfte davon zugewiesen. Diese Praxis hat jedoch in Niedrigzinsphasen einen gefährlichen Haken. Die Versicherungen müssten die lukrativen Wertpapiere womöglich verkaufen, um jene Versicherten daran beteiligen zu können, deren Verträge gerade auslaufen.

Für die Kunden, deren Policen später enden, blieben dann nur die geringeren Erträge aus schlechter verzinsten Anlagen übrig. Insofern werden nun die Probleme aus der Niedrigzinsphase auf alle Generationen von Versicherten verteilt.

Um welchen Fall ging es in Karlsruhe?

Geklagt hatte der Bund der Versicherten (BdV) stellvertretend für einen Kunden der Victoria Lebensversicherung, die zum Ergo-Konzern gehört. Vor der Gesetzesänderung stellte das Unternehmen dem Kunden eine Beteiligung in Höhe von 2821,35 Euro an den Bewertungsreserven in Aussicht, mit dem Hinweis auf Schwankungen bei dieser Summe. Als der Vertrag ausgezahlt wurde, war nur noch von 148,95 Euro die Rede. Dagegen klagte der Verband für ihn.

Warum hat der BGH dagegen entschieden?

Der Chef des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein, ist überzeugt, dass die Kürzungen einer Enteignung gleichkommen und deshalb gegen das Grundgesetz verstoßen. Dagegen hält der BGH das Verfahren für rechtmäßig. Ansonsten wäre in der Niedrigzinsphase womöglich die Auszahlung der von den Versicherungen garantierten Ablaufleistungen nicht mehr gesichert. „Im Einzelfall auftretende Härten führen nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt“, entschieden die Richter.

Ist mit dem Urteil das letzte Wort gesprochen?

„Es ist ein unentschieden“, sagte Kleinlein nach der Urteilsverkündung. Denn das Verfahren hat noch eine zweite wichtige Facette. Der BdV will mehr Transparenz beim Umgang mit den Bewertungsreserven erzwingen. Denn in der Regel können die Kunden nicht nachvollziehen, ob eine Kürzung zum Erhalt der finanziellen Stabilität des Unternehmens angemessen ist. Da der BGH den auf bessere Begründungen abzielenden Teil der Klage an das Düsseldorfer Landgericht zurückverwiesen hat, sieht sich der BdV diesbezüglich chancenreich. Kleinlein will danach wieder vor den BGH und anschließend vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Erst dann würde das letzte Wort gesprochen.

Kann das Verfahren den Verbrauchern noch etwas Positives bringen?

Sollten das Düsseldorfer Landgericht den Nachweis zur Notwendigkeit einer gekürzten Bewertungsreserve nicht ausreichend finden, könnten diesbezüglich noch neue Maßstäbe in der Branche Einzug halten. Die Versicherungen wären gezwungen, ihre Berechnungsgrundlagen nachvollziehbar darzustellen. „Das hätte Signalwirkung“, glaubt Kleinlein. Eine einseitige Auslegung der gesetzlichen Regeln zu Gunsten des Anbieters würde erschwert.

Indirekt profitiert vermutlich sogar eine große Mehrheit der Kunden vom BGH-Spruch. Denn sie werden weiter an den Erträgen besser verzinster Anlagen beteiligt, und sie haben mehr Sicherheit, dass ihre Versicherung am Ende auch ihre Zusagen halten kann.