Waiblingen. Beim virtuellen Training sägen, schweißen oder bohren Azubis – ohne Gefahr zu laufen, sich zu verletzen. Das spart Nerven und Geld.

Ein Nadelwald, wie man ihn vielerorts in Deutschland findet. Ein Holzfäller umklammert mit festem Griff eine Kettensäge. Die rotierenden Zähne schneiden einen schrägen Winkel in die Tanne. Schließlich beginnt sie gefährlich zu wanken. Als der Arbeiter zum letzten Schnitt ansetzt, ertönt aus dem Nichts: „Halt! Sie hätten jetzt ‚Baum fällt‘ rufen müssen!“ Marbod Lemke, Abteilungsleiter für internationale Trainingsservices bei der Firma Stihl, holt den Arbeiter zurück in die Wirklichkeit.

Weder Lemke noch der Holzfäller befinden sich gerade in einem Wald – stattdessen stehen sie im Konferenzraum in der Zentrale des Kettensägen-Herstellers Stihl im schwäbischen Waiblingen. Lediglich die Motorsäge war in der Szenerie real. Eine Virtual-Reality-Brille (VR) hat den beiden die Umgebung vorgegaukelt. Stihl setzt die Virtual-Reality-Simulationen zur Schulung und Ausbildung ihrer Mitarbeiter ein. Wie gut der Mitarbeiter arbeitet, verfolgt Lemke so über eine große Leinwand.

Virtual-Reality eignet sich für handwerkliche Berufe

Die Technik ist bislang vor allem aus der Videospiel-Branche bekannt. Die Gamer setzen die Brille mit integriertem Bildschirm auf, um sich in die virtuellen Spielewelten hineinzuversetzen. Mit den VR-Brillen wirkt die Umgebung dann so real, als wäre man ein Teil von ihr.

Auch Unternehmen haben mittlerweile die Vorteile von VR erkannt. Dank der Simulation können sie sich Ressourcen für die Fortbildung sparen – im Falle von Stihl sind das etwa Bäume und Holz, aber es geht auch um Reise- und Personalkosten. VR eignet sich daher besonders für handwerkliche Berufe. Arbeitsabläufe beim Schweißen lassen sich gefahrlos simulieren, ebenso Brandschutztrainings mit virtuellem Feuer und Feuerlöscher.

Medizinstudenten begehen virtuellen Darm

Der Maschinenhersteller Liebherr nutzt seit einigen Jahren VR-Simulatoren, um Kranführer auszubilden. Die Deutsche Bahn nutzt eine VR-Trainingsanwendung zur Bedienung des Hublifts für Passagiere im Rollstuhl. „In der virtuellen Realität können Auszubildende ohne gefährliche Konsequenzen Fehler machen“, erklärt Torsten Fell, Vorstand des Ersten Deutschen Fachverbands für Virtual Reality. Darüber hinaus kann der Nutzer Dinge erleben, die sonst gar nicht erlebbar wären: Medizinstudenten der Universität Ulm erkunden etwa im virtuellen Raum ein dreidimensionales Herz oder begehen einen virtuellen Darm. Versuchstiere werden so überflüssig.

Professor Thomas Bremer von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin nutzt VR, um antike Städte anhand abstrakter Daten virtuell zu rekonstruieren und so begehbar zu machen, bevor Archäologen überhaupt mit den ersten Grabungen beginnen. Durch virtuelle Realität lässt sich die Umgebung sehr groß oder umgekehrt sehr klein darstellen.

Virtual Reality kann echte Ausbildung nicht ersetzen

Bei Stihl in Waiblingen hat man erkannt, dass man dank dieser Technik die Ausbildung an der Säge weltweit verbessern kann. Stihl schult seine Mitarbeiter rund um den Globus im Umgang mit seinen Geräten. Der Motorsägen-Simulator kommt ohne Sprache und fast ganz ohne Text aus. So will das Unternehmen die Anwendung weltweit zugänglich machen. Die Simulation wird bereits in 95 Ländern von den Vertriebspartnern genutzt. Die Schüler trainieren heute per Simulation schon vorher verschiedene Sägetechniken und verinnerlichen so die Bewegungsabläufe. Das Gelernte wird besser abgespeichert, so Lemke. Für das Trainingsprogramm hat er bereits zahlreiche Preise gewonnen.

Lemke macht aber auch deutlich, dass VR niemals eine echte Ausbildung ersetzen könne. Die Simulation sei eine Ergänzung, die den Schülern mehr Sicherheit vor dem echten Einsatz geben soll. Auch die virtuelle Welt hat Grenzen. Wer einen simulierten Gegenstand berühren möchte, greift ins Leere. Bisher helfen spezielle Werkzeuge, die zum Beispiel vibrieren, wenn man damit simulierte Oberflächen berührt: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das mit einer einfachen Mechanik funktionieren soll“, sagt Professor Bernd Fröhlich von der Bauhaus-Universität Weimar, Spezialist für VR-Technologie. Die Technik beim sogenannten Forced Feedback, das virtuelle Gegenstände fühlbar machen soll, sei noch nicht ausgereift.

Künftig treffen sich Mitarbeiter in einem virtuellen Raum

Für viele Firmen bleibt VR als Schulungsmethode Zukunftsmusik: „Die finanzielle Hürde bei kleineren Betrieben ist extrem groß“, erklärt Fell. Nicht jede Firma kann sich eine Virtual-Reality-Ausrüstung leisten. Die ist zwar schon ab 2000 Euro zu haben. Aber die Unternehmen müssen sich entsprechende Trainingsanwendungen erst einmal programmieren lassen – das kostet viel Geld. Viele Firmen seien auch skeptisch gegenüber der Virtual-Reality-Technik. „Das ist eine Einstellungsfrage“, sagt Fell.

Die Technik aber verbessert sich rasant. Lange Zeit war VR meist nur für eine Person nutzbar. Der neueste Trend heißt nun „Social Virtual Reality“, also soziale virtuelle Realität. Nutzer, die sich an unterschiedlichen Orten aufhalten, können sich im gleichen virtuellen Raum treffen. Bei Volkswagen können Mitarbeiter so schon jetzt miteinander in Kontakt treten. Noch werden die Mitarbeiter im Comic-Stil dargestellt. Das wird sich in Zukunft ändern. „Wenn diese Technologie bald realisiert wird, dann hat das insbesondere fürs Lernen viel Potenzial“, sagt Fröhlich.

Marbod Lemke hat die VR-Brille aufgesetzt und steht nun wieder im virtuellen Wald. In weniger als 20 Sekunden fällt er die nächste Tanne – seine neue Bestzeit. Aber er muss zugeben: Holzfällen im realen Wald macht dann doch mehr Spaß.