Köln. Die Gamesbranche gilt als Innovationstreiber. Doch deutsche Firmen hängen hinterher. Dafür kommt erstmals die Kanzlerin zur Fachmesse.

Angelina Jolie absolvierte als Abenteurerin Lara Croft in zwei Hollywood-Filmen Verfolgungsjagden per Motorrad und entdeckte geheimnisvolle Tempel – die Vorlage zu beiden Blockbustern bildete ein Computerspiel. Was vor rund 15 Jahren begann, ist heute ein gängiges Muster. Mit „Silent Hill“ (2006), „Prince of Persia“ (2006) oder „Assassin’s Creed“ (2009) folgten weitere Filmadaptionen von Computerspielen. Die sind nicht nur gut darin, neue Filme zu inspirieren. Sie verhelfen auch neuen Technologien zum Durchbruch. Deutsche Anbieter spielen allerdings nicht unbedingt vorne mit.

Auf der Spielemesse Gamescom in Köln, der größten ihrer Art weltweit, will die Branche jedenfalls beweisen, was alles in ihr steckt. Rund 900 Aussteller haben sich angemeldet. Und eine prominente Person ist auch da: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie eröffnet die Messe erstmals. Zum einen ist Wahlkampf, zum anderen hat die Politik erkannt, dass digitale Spiele nicht mehr nur eine Nische zum Zeitvertreib sind.

„Kulturgut, Innovationsmotor, Wirtschaftsfaktor“

Sie seien „Kulturgut, Innovationsmotor und Wirtschaftsfaktor von allergrößter Bedeutung“, sagt die Kanzlerin. Die Branche sei ein starker Pfeiler der deutschen Wirtschaft. „Deshalb bin ich auch nach Köln gekommen, um der Branche meine Reverenz zu erweisen.“ Was für ein Wandel: Vor zehn Jahren ging es seitens der Politik gerne gegen „Ballerspiele“ und wie sie die Jugend verderben.

Alle Nachrichten zu neuen Produkten gibt es im News-Blog zur Gamescom 2017

„Die Games-Branche sorgt oft dafür, dass eine neue Technologie auch im Massenmarkt ankommt“, sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands BIU. Ein Beispiel seien Virtual-Reality-Brillen, die zuerst in Spielen und dann in Medizin, Bildung oder Automobilbau zum Einsatz kamen.

Microsoft und Sony stellen neue Spielekonsolen vor

Binnen eines Jahres ist nach BIU-Zahlen der Anteil der über 16-Jährigen, die Virtual-Reality-Brillen kennen, von 46 auf 60 Prozent gestiegen. Den Einwand, dass Virtual-Reality-Brillen vorrangig noch in der Spielewelt zu Hause sind, lässt Falk nicht gelten. „Da würde ich widersprechen. Die Deutsche Bahn etwa setzt sie bei der Ausbildung neuer Fahrgastbegleiter ein, Audi nutzt die Technologie bei der Konstruktion neuer Fahrzeuge.“

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und die Games-Industrie setzt wie die Fernsehhersteller auf visuelle High-End-Standards wie HDR und 4K, die deutlich schärfere Bilder ermöglichen als etwa das inzwischen weit verbreitete HD. Für Falk ein Beispiel dafür, dass die Games-Branche bei technischen Innovationen vorn mit dabei ist. Mit der PlayStation 4 Pro und der Xbox One X stellen Sony und Microsoft in Köln neue Konsolen vor. Spiele wie „Assassin’s Creed Origins“, „Forza Motorsport 7“ und „Mittelerde: Schatten des Krieges“ profitieren bereits von dieser Technik.

„Die Games-Entwickler produzieren zu wenig“

Die Frage ist nur, ob das menschliche Auge höhere Auflösung und Kontrast überhaupt wahrnimmt, und wenn ja, ob es den hohen Preis rechtfertigt. „Letztlich muss das jeder Kunde selbst entscheiden“, sagt Games-Lobbyist Falk. „Allerdings hat man auch bei der Einführung des Fernsehens geglaubt, das sieht schon so gut aus, besser kann es nicht werden.“

Besser zu werden, davon träumt die Branche am Produktionsstandort Deutschland. „Wir sind gut im Konsumieren von Spielen, aber die Games-Entwickler produzieren zu wenig“, gibt Falk zu. Als größtes Problem hat die Branche die fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten erkannt. Länder wie Kanada, Frankreich und Polen unterstützen die Entwicklung vor Ort mit Förderprogrammen. „Kanada übernimmt teilweise bis zu 30 Prozent der Lohnkosten eines Entwicklers. Da verwundert es nicht, dass es in Kanada etwa doppelt so viele Games-Entwickler gibt wie in Deutschland bei nicht mal der Hälfte der Einwohner“, klagt Falk.

Schwach im internationalen Vergleich

International punkten können die wenigsten der etwa 650 Spielefirmen mit ihren rund 14.000 Mitarbeitern. 2016 setzte die Games-Branche nach Angaben des Marktforschers DFC Intelligence weltweit 79 Milliarden Dollar (67 Milliarden Euro) mit Software um. In Deutschland waren es dem BIU zufolge etwa 2,9 Milliarden Euro. Geräte werden nicht erfasst, weil Spieler nicht nur Konsolen benutzen, sondern auch klassische Computer oder ihr Smartphone. Ganz selten landen deutsche Entwickler einmal einen internationalen Erfolg wie etwa das Berliner Büro Yager mit „Spec ops: The Line“, Crytech aus Frankfurt mit Crysis 3 oder Goodgame Studios aus Hamburg mit „Empire“.

Das Spiel „Anno 1800“ kommt von Blue Byte aus Düsseldorf.
Das Spiel „Anno 1800“ kommt von Blue Byte aus Düsseldorf. © dpa

Das Düsseldorfer Studio Blue Byte stellte jetzt auf der Gamescom einen weiteren Teil der „Anno“-Serie vor: „Anno 1800“. Die Serie gehört zu den Wirtschaftssimulationen: Im Zuge des Spiels muss eine wohlhabende Stadt aufgebaut und gegen Konkurrenten verteidigt werden. Blue Byte ist renommiert, aber nicht eigenständig, sondern gehört zu Ubisoft. Das französische Unternehmen ist neben den US-Konkurrenten Electronic Arts und Activision einer der größten Anbieter der Branche.

Marktanteil deutscher Firmen liegt unter sieben Prozent

Von 100 Euro, die hierzulande für Computer- und Videospiele ausgegeben werden, landen weniger als sieben in Deutschland. Der Anteil deutscher Spiele am hiesigen Absatzmarkt lag 2015 bei lediglich 6,5 Prozent. So hat die heimische, oft mittelständisch geprägte Spieleindustrie wenig davon, dass im ersten Halbjahr der Umsatz mit Spielen in Deutschland um elf Prozent auf 1,08 Milliarden Euro wuchs. Mit 509 Millionen Euro entfiel dabei rund die Hälfte auf den Verkauf von Software per Datenträger oder Download.

Besonders gut verkauften sich virtuelle Güter und Zusatzinhalte, die über Apps und Online-Spiele angeboten werden. Etwa zum Aufbau von Inseln benötigte Diamanten bei „Boom Beach“, einem Strategiespiel des finnischen Spieleproduzenten Supercell für Mobilgeräte. „Das ist ein starker Wachstumstreiber“, sagt Falk. „Die Unternehmen erwirtschafteten damit von Januar bis Juli 400 Millionen Euro, was einem Plus von 26 Prozent entspricht.“

Weniger Selbstdarsteller, mehr miteinander

Rasant auf 168 Millionen Euro wuchs auch der Umsatz mit Abonnements und Gebühren für kostenpflichtige Online-Netzwerke wie „World of Warcraft“ oder „Final Fantasy XIV“. Dienste bei Playstation Plus und Xbox Live Gold sind gebührenpflichtig – wer online in „Battlefield 1“ andere Mitspieler im Dreidecker des Roten Barons mit seinen Flugkünsten beeindrucken will, muss zahlen.

Die Ära des auf Selbstdarstellung bedachten, aber einsamen Konsolen-Zockers endet nach Auffassung der Branche. „Gemeinsames Spielen ist auf jeden Fall ein Trend, deshalb stellt die Gamescom das Spielen mit Freunden in den Mittelpunkt“, sagt Falk. Das zeige sich auch am Erfolg der Nintendo-Konsole Switch, die besonders stark auf das Gemeinschaftserlebnis setze. Es gilt auch als ein Treiber des eSports-Phänomens, bei dem Computerspieler vor Publikum in Hallen oder via Internet vor Millionen Zuschauern antreten.