Hamburg. Der Facebook-Skandal ist viel größer als angenommen. Ein Datenschützer fordert die Zerschlagung des Konzerns. Zuckerberg will bleiben.

Bei der Bundesjustizministerin hat sich offenbar einiges aufgestaut: „Facebook ist ein Netzwerk der Intransparenz“, sagte Katarina Barley (SPD) am Donnerstag. „Ethische Überzeugungen fallen kommerziellen Interessen zum Opfer.“ Es sei „an der Zeit für eine deutliche Reaktion der europäischen Staaten“. Für soziale Netzwerke bräuchte es klare Regeln: „Wir werden überprüfen, ob die Möglichkeiten der neuen europäischen Datenschutzverordnung ausreichen. Wir müssen klare Anforderungen an die Betreiber sozialer Netzwerke auf europäischer Ebene gesetzlich festschreiben.“

Das sind völlig neue Töne. Vor gut einer Woche hatte die Ministerin Facebook-Abgesandte in Berlin empfangen. Damals hielt sie die neue EU-Datenschutzverordnung noch für völlig ausreichend. Nach dem Treffen äußerte sie sich eher unaufgeregt über das, was ihr ihre Gesprächspartner erzählt hatten.

Die Facebook-Vertreter hatten ihr beispielsweise versprochen, sich bei allen vom Facebook-Datenskandal betroffenen Nutzern zu melden. „Ich erwarte, dass das Unternehmen diesem Versprechen umgehend und gewissenhaft nachkommt“, sagt Barley, denn geschehen ist bisher nichts.

Barley fordert Schutz von Userdaten auf europäischer Ebene

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    Datenschutzbeauftragter will Facebook zerschlagen

    Ganz besonders verärgert haben dürfte die Ministerin aber, dass ihr die Emissäre des sozialen Netzwerks offenbar nicht verrieten, dass der Skandal viel größer ist, als bisher vermutet. Damals ging man noch davon aus, dass die britische Analysefirma Cambridge Analytica rund 50 Millionen Profile von Facebook-Nutzern unrechtmäßig abgegriffen hatte. Seit Mittwochabend weiß man, dass es bis zu 87 Millionen waren. Und auch deutsche Nutzer sind betroffen: Laut Facebook sind es fast 310.000.

    Angesichts dieser Zahlen fordert der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar sogar eine Zerschlagung des Konzerns, zu dem auch WhatsApp und Instagram gehören. „Unter dem Aspekt der Wechselwirkung zwischen Datenmissbrauch und Ausnutzung der Monopolstellung“ stelle sich diese Frage „tatsächlich“, sagte Caspar.

    Datenskandal: Hunderttausende deutsche Facebook-Nutzer betroffen

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      Facebook verschärft Datenschutzbestimmungen

      Was Cambridge Analytica mit den Profilen angestellt hat, ist nicht klar. Die Firma machte zwar Wahlkampf für US-Präsident Donald Trump bestreitet aber, die Facebook-Daten für dessen Kampagne genutzt zu haben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, die Profile seien für die Brexit-Kampagne der EU-Gegner verwendet worden. Auch das bestreitet Cambridge Analytica.

      Facebook hatte als Reaktion auf den Skandal seine Datenschutzbestimmungen verschärft. Am Mittwoch kündigte das Netzwerk zudem an, dass Nutzerprofile künftig nicht mehr mithilfe von Telefonnummern oder E-Mail-Adressen gesucht werden können. Zugleich machte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg aber deutlich, dass nicht alle Nutzer von der neuen europäischen Datenschutzverordnung profitieren werden, die bis Mitte Mai umgesetzt werden muss.

      Facebook-Chef Zuckerberg: Müssen aus Fehlern lernen

      Eine weltweite Anwendung der EU-Regeln sei nicht geplant. Zuckerberg selbst rückt derweil immer mehr in das Zentrum des Skandals. Zwar zeigte er sich in einer rund einstündigen Telefonkonferenz mit Journalisten reumütig: „Das war unser Fehler, das war mein Fehler“, sagte er. Zuckerberg räumte ein, es sei falsch gewesen, nach der US-Präsidentenwahl den möglichen Einfluss gefälschter Nachrichten bei Facebook auf den Wahlausgang herunterzuspielen.

      Doch trotz aller Reue will Zuckerberg als Vorstandsvorsitzender von Facebook nicht zurücktreten. Er glaube, auch nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen und Monate, die richtige Person für die Facebook-Spitze zu sein. Es gehe darum, aus den Fehlern zu lernen, die unweigerlich passierten.

      Zuckerberg muss vor dem US-Kongress aussagen

      Es spricht einiges dafür, dass der 33-Jährige damit durchkommt. Sollte er gehen, müsste dies wohl auch seine engste Vertraute im Facebook-Vorstand Sheryl Sandberg tun. Abgesehen von den beiden gibt es aber kaum jemanden, der den Konzern in der schwersten Krise seiner Geschichte führen könnte.

      Der Druck ist noch nicht so groß, dass ein Rücktritt Zuckerbergs alternativlos wäre. Zwar befindet sich der Aktienkurs von Facebook im freien Fall. Politiker – und zwar nicht nur in Deutschland und Europa – nehmen Facebook immer mehr in die Pflicht. So muss Zuckerberg, entgegen seiner ursprünglichen Pläne, am 11. April vor dem US-Kongress aussagen. Doch ausgerechnet die Nutzer halten Facebook die Treue.

      Zuckerberg will im US-Kongress aussagen

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        Eine Kampagne, die dazu aufruft, die Plattform nicht mehr zu nutzen, hat offenbar bisher kaum Wirkung hinterlassen. Zudem hält Zuckerberg 87 Prozent des stimmberechtigten Kapitals von Facebook. Er müsste seiner Ablösung schon selbst zustimmen.

        Linke-Chef will Algorithmen überprüfen lassen

        Allerdings dürfte der politische Druck weiter zunehmen. In Deutschland schießt sich nun die Opposition in Sachen Facebook auf die Bundesregierung ein. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast sagte unserer Redaktion: „Die Bundesregierung duckt sich weiter weg.“ Sie forderte eine kartellrechtliche Entflechtung von Facebook.

        Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, will Facebooks „Algorithmen unabhängig überprüfen“ lassen. Das will mittlerweile auch Justizministerin Barley. Nach dem Besuch der Facebook-Delegation hatte sie sich noch mit deren Versicherung zufriedengegeben, eine Offenlegung der Algorithmen „wohlwollend prüfen“ zu wollen. (mit JMW, les)