Berlin. 25,8 Prozent der Ausbildungsverträge werden vorzeitig aufgelöst. Die Gewerkschaften fordern nun einen Mindestlohn auch für Lehrlinge.

Weil immer mehr Lehrlinge ihren Ausbildungsvertrag vorzeitig auflösen, fordern Gewerkschaften und Opposition die schnelle Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für Auszubildende. Die Wirtschaft lehnt eine solche staatliche Lohnuntergrenze ausdrücklich ab. Obwohl Union und SPD im Koalitionsvertrag die Einführung einer „Mindestausbildungsvergütung“ ab dem Jahr 2020 vereinbart haben, verweigerte das zuständige Bundesbildungsministerium am Mittwoch jede Stellungnahme zum Thema.

Anlass für die Debatte ist der neueste Berufsbildungsbericht, der auf eine sehr hohe Zahl an vorzeitig beendeten Ausbildungsverträgen hinweist. Danach wurde im Jahr 2016 mehr als jeder vierte Vertrag vorzeitig aufgelöst. Konkret lag die Vertragslösungsquote bei 25,8 Prozent. Dieser Wert liegt erstmals deutlich über den Quoten der vergangenen Jahre. Diese betrugen bisher höchstens 25 Prozent (2013) und lagen bei schlecht laufendem Arbeitsmarkt sogar oftmals in der Nähe von 20 Prozent.

Das sind die Gründe für vorzeitige Ausbildungsabbrüche

Die aktuell gute Lage auf dem Ausbildungsmarkt wird in dem Bericht, der vom Bundesbildungsministerium herausgegeben wird, als ein Grund für die vielen Vertragsauflösungen genannt. Junge Menschen würden „bei einem größeren Angebot an Ausbildungsstellen eher den Ausbildungsvertrag lösen und in ein anderes Ausbildungsverhältnis wechseln“, heißt es in dem Bericht. Eine Vertragsauflösung bedeute deshalb keinesfalls den Abbruch der gesamten Berufsausbildung.

Als weitere Gründe für eine Auflösung des Vertrags werden Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten genannt, außerdem ungünstige Arbeitsbedingungen oder eine falsche Vorstellung von dem gewählten Ausbildungsberuf. Aus Sicht der Betriebe zeigen viele Azubis zu wenig Leistung, sind nicht genügend motiviert oder haben falsche Vorstellungen von ihrer Arbeit. „Die Vertragslösungsquote fällt umso höher aus, je niedriger der allgemeinbildende Schulabschluss der Auszubildenden ist“, heißt es in dem Bericht. So beenden Lehrlinge, die keinen Hauptschulabschluss haben, ihren Vertrag mehr als doppelt so häufig wie Abiturienten.

Linke-Chef Riexinger: Lehre zu schlecht bezahlt

Eine zu geringe Bezahlung wird in dem Bericht nicht explizit als Grund für die Beendigung von Ausbildungsverträgen genannt. Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linken, hält die berufliche Ausbildung dennoch für zu schlecht bezahlt und zu unattraktiv. Von Ausbildungsvergütungen könne man oft nicht einmal eine „Besenkammer in einer Wohngemeinschaft“ bezahlen, sagte Riexinger dieser Redaktion. Er fordert: „Damit alle Auszubildenden von ihrer Ausbildungsvergütung leben können, muss eine gesetzliche Mindestausbildungsvergütung festgelegt werden.“ Diese solle unabhängig von Tarifverträgen gelten.

Tatsächlich haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag bereits vereinbart, eine gesetzliche Mindestausbildungsvergütung einzuführen. Sie soll in einer überarbeiteten Fassung des Berufsbildungsgesetzes enthalten sein, die bis 2020 in Kraft treten soll. Details dazu gibt es noch nicht. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) äußerte sich weder zum Bildungsbericht noch zum Azubi-Mindestlohn.

DGB fordert mindestens 635 Euro im ersten Jahr

Die Gewerkschaften wollen erreichen, dass der Mindestlohn bereits 2019 Wirklichkeit wird. Der DGB hat bereits Eckpunkte für eine Umsetzung entwickelt. Danach soll der Staat festlegen, dass Lehrlinge mindestens 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung bekommen sollen.

Nach dieser Rechnung müssten Betriebe im ersten Ausbildungsjahr aktuell mindestens 635 Euro zahlen. Azubis im zweiten Jahr bekämen 696 Euro, im dritten wären es 768 Euro und im vierten Ausbildungsjahr 796 Euro. Verglichen mit den aktuellen Vergütungen, die zum Teil deutlich darunter liegen, bekämen bis zu 160.000 Lehrlinge eine Gehaltserhöhung von zum Teil mehreren Hundert Euro. Laut DGB ist die Zahl der aufgelösten Ausbildungsverträge in den Branchen und Berufen besonders hoch, in denen schlecht gezahlt wird. Diese Berufe würden attraktiver.

Wirtschaftsverbände gegen Einmischung in Lohnfindung

Die Wirtschaft hält erwartbar wenig von einer gesetzlich geregelten Mindestvergütung. Alle Wirtschaftsverbände verweisen darauf, dass Auszubildende keine vollen Arbeitskräfte seien. Ihre Vergütung dürfe nicht mit Lohn oder Gehalt verwechselt werden. Sie sei vielmehr „ein branchenangemessener Zuschuss zum Lebensbedarf“, teilte der Arbeitgeberverband BDA mit. Eltern seien weiter unterhaltspflichtig und bekämen weiter Kindergeld. Abgesehen davon lägen zwei Drittel aller Lehrlingsvergütungen bei mindestens 700 Euro.

Vor allem aber verbittet sich die BDA jede Einmischung in die Lohnfindung: „Ob Mindestlohn oder Mindestausbildungsvergütung – beides ist nicht originäre Aufgabe der Politik.“ Ähnlich sieht es der Handwerksverband ZDH, der vorschlug, Azubis auf andere Weise als mit Bargeld zu helfen: mit einem kostenlosen Ticket für den öffentlichen Nahverkehr.