Stockholm. In Schweden werden neue Zeitmodelle bei vollem Lohn getestet. Neben Qualität und Produktivität steigen allerdings auch die Kosten.

Weil die Nachfrage nicht mehr ohne lange Wartezeiten zu bewältigen war, wagte eine Toyota-Werkstatt in Göteborg vor 14 Jahren einen außergewöhnlichen Versuch: Statt einer gab es ab sofort zwei Schichten. Eine von sechs bis zwölf, die andere von zwölf bis 18 Uhr. Die Werkstatt konnte ihre Öffnungszeiten so von acht auf zwölf Stunden erhöhen, die Beschäftigten arbeiteten dafür nur noch sechs Stunden am Tag. Für die Firma war das günstiger, als alle Mitarbeiter gleichzeitig arbeiten zu lassen, und der Autobauer konnte zudem besser auf die zeitlich schwankende Auslastung reagieren.

Das Beispiel ist eines von vielen in Schweden, wo der Sechs-Stunden-Tag bei vollem Lohn seit mehreren Jahren erprobt wird. Die IG Metall kämpft hierzulande gerade für die 28-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie, was bei fünf Werktagen 5,6 Stunden Arbeit pro Tag bedeutet. Ein Ergebnis in Schweden: Produktivität und Qualität steigen, der Krankenstand sinkt.

De facto eine Lohnerhöhung um 25 Prozent

Doch auch im eher progressiven Schweden ist der Sechs-Stunden-Tag umstritten. Während Politiker der örtlichen Linkspartei von einer gerechteren Verteilung der Firmengewinne sprechen, führen bürgerliche Kräfte an, das Konzept sei viel zu teuer und die Konkurrenzfähigkeit der schwedischen Firmen werde beschädigt. Denn letztlich, das sagen auch Vertreter der Linkspartei, handelt es sich beim Sechs-Stunden-Tag de facto um eine Lohnerhöhung um 25 Prozent.

Das können sich nicht alle Unternehmen leisten. Und dass die Effizienz in gleichem Maße steigt, ist vorher nicht gesagt. Manch Unternehmer sieht denn auch in der Forderung nach weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn eher Sozialromantik. Industriebetriebe halten sich bisher auch zurück.

„Die Arbeit ist sehr schwer, und wir wussten, dass unsere Leute ohnehin nicht mehr als sechs Stunden effektiv arbeiten“, sagt Martin Banck, Chef der Toyota-Werkstatt in Göteborg, der Tageszeitung „Göteborgs-Posten“. Der Gewinn der Werkstatt sei trotz Mehrkosten im ersten Jahr um 25 Prozent angestiegen, die Krankschreibungen seien deutlich gesunken, sagt Banck.

Die natürlichen Pausen sind verschwunden

Auch die Werbeagentur Till Oss in Visby hat den Sechs-Stunden-Tag vor zwei Jahren eingeführt. „Als ich 1998 anfing, gab es mehr natürliche Pausen. Alleine den Computer anzuschalten, dauerte fünf Minuten“, sagt Agenturchefin Julia Brendelin der Zeitung „VA“. „Nun passiert alles blitzschnell mit neuer Technologie. Die natürlichen Pausen sind verschwunden, gleichzeitig bekommen die Kunden viel mehr Leistung pro berechneter Arbeitsstunde als noch vor zwölf Jahren.“ Mehr als sechs Stunden könne man ohnehin nicht „frisch im Kopf bleiben.“

Das erste Geschäftsquartal nach der Einführung war das „beste überhaupt“, behauptet Brendelin. Durch die veränderte Arbeitsweise hätten sich das kollektive Bewusstsein und die Konzentration gesteigert, die Zahl der Meetings sei gesunken. Ihre Mitarbeiter würden nun mehr Sport machen, seien fitter und effektiver.

Pilotprojekt in Göteborg in einem Altenheim

Im staatlichen und halbstaatlichen Sektor hat vor allem die Stadt Göteborg den Sechs-Stunden-Tag getestet und teils ausgewertet. Angelehnt an den Versuch der Toyota-Werkstatt setzten Vertreter der Linkspartei ein Pilotprojekt in einem Altenheim durch. Auch in Schweden steht die Qualität in der Pflegebranche in der Kritik, die Arbeit gilt als sehr hart. Die rund 60 Pflegekräfte des Altenheims durften von 2015 bis 2017 sechs statt acht Stunden bei gleichem Lohn arbeiten. 14 neue Kräfte wurden eingestellt.

Die Mehrkosten lagen bei rund zehn Millionen Kronen (eine Million Euro). „Die Arbeitsverhältnisse verbesserten sich deutlich, das Personal hatte mehr Energie, Krankenstände sanken, die Patienten wurden auf einmal viel besser betreut“, sagt Göteborgs Vizebürgermeister Daniel Bernmar von der Linkspartei dieser Zeitung.

Bürgerliche Stadtpolitiker werfen ihm Wunschdenken vor, das sei alles zu teuer. „Die Hälfte der zusätzlichen Kosten verschwindet, wenn man Kostenersparnis an anderer öffentlicher Stelle mitrechnet. Arbeitslosen- und Sozialhilfe etwa, weil zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden“, entgegnet Bernmar Kritikern. Auch weniger Überstunden müssten bezahlt werden.

Arbeitnehmer bleiben gesünder

Auch gebe es indirekt volkswirtschaftliche Vorteile, ist sich Bernmar sicher. So seien Arbeitnehmer, die weniger arbeiteten, gesünder und könnten später in Rente gehen. Auch sei es einfacher, Fachkräfte zu finden, und mehr Personen würde sich für bisher wenig populäre Berufe ausbilden lassen, sagt er. „Zudem ist ja bekannt: Je weniger wir arbeiten, desto effektiver arbeiten wir.“ In Göteborg starten in diesem Frühjahr zwei weitere Projekte. In einem Sozialamt und an einer Göteborger Vorschule arbeiten die Mitarbeiter künftig nur noch sechs Stunden täglich.

Trotz aller Vorteile sieht Bernmar auch einige Hürden des Modells: „Von den Mehrkosten für die Arbeitgeber durch die verkürzte Arbeitszeit kommt man in den meisten Fällen nicht weg.“ Letztlich handle es sich um eine Wertefrage: Wie viel vom Firmengewinn soll den Eigentümern zufallen und wie viel den Arbeitnehmern? „Wir sind heute viel reicher als früher, die Produktivität hat sich radikal erhöht, auch die Löhne sind zumindest ein wenig gestiegen“, sagt Bernmar. „Aber wir arbeiten noch immer genauso viel wie früher. Das ist nicht nachvollziehbar.“