Berlin. Versuche an Affen und Menschen: Mit fragwürdigen Labortests geraten die Automobil-Hersteller VW, BMW und Daimler erneut ins Zwielicht.

Die Autoindustrie steht wie kaum eine Branche für die deutsche Wirtschaftskraft. Doch die Autokonzerne stehen inzwischen auch für Skandale und Verstrickungen. Nachdem einige Hersteller Messwerte des Schadstoffs Stickstoffdioxid (Stickoxid) manipulierten, geht es jetzt um fragwürdige Labortests: Affen und auch Menschen wurden gezielt Abgasen bzw. Gasen ausgesetzt.

Die Berichte darüber, die zuerst in amerikanischen Medien standen, haben eine Debatte in Deutschland ausgelöst. Die Automanager verlangen Aufklärung – und stehen doch wieder selbst im Fokus. Kanzlerin Angela Merkel lässt ihre Verärgerung ausrichten. Wieder einmal geht es um die Frage, wer wann was gewusst hat.

Was für Versuche an Tieren und Menschen hat es wann, wo und wie oft gegeben?

Am Wochenende war durch einen Bericht der „New York Times“ bekannt geworden, dass Affen in den USA gezielt den Abgasen eines VW Beetle ausgesetzt worden waren. Die Tests sollten beweisen, dass die Diesel-Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung abgenommen hat.

Die Konzerne VW, Daimler und BMW ließen die Gefahr durch Schadstoffe aber nicht nur an Affen, sondern auch an Menschen testen. Wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete, untersuchten an einem Institut des Universitätsklinikums Aachen von der Autoindustrie beauftragte Forscher 25 Menschen, nachdem sie jeweils über mehrere Stunden Stickoxid in unterschiedlichen Konzentrationen eingeatmet hatten – jenes Gas, das von Motoren ausgestoßen wird.

In den Test soll es vordergründig um die Belastung durch das Gas am Arbeitsplatz gegangen sein und nicht um die „Dieselbelastung von Menschen“, wie die Uniklinik mitteilte. Die Ethikkommission der Hochschule habe die Untersuchungen genehmigt. Es habe keinen Zusammenhang mit dem Affenversuch gegeben.

Dennoch war in beiden Fällen die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) beteiligt. Die EUGT hatte sowohl das amerikanische Lovelace Respiratory Research Institute mit dem Affenversuch beauftragt als auch Geld an das Institut der Uniklinik Aachen gezahlt. Die Versuche wurden jeweils nur einmal durchgeführt.

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Wer ist für die Versuche verantwortlich?

Der Verein EUGT wurde 2007 von BMW, Daimler, VW und dem Zulieferer Bosch gegründet. Das Ziel: Wissenschaftler sollen zeigen, dass Abgase weniger schädlich sind als angenommen. Bosch zog sich 2013 aus dem Verein zurück, im Juni 2017 wurde der Verein laut Berliner Vereinsregister aufgelöst.

In einem Bericht der EUGT über die Jahre 2012 bis 2015 sind die umstrittenen Versuche an Mensch und Tier dokumentiert. Den Autobauern müssten die Abgas-Tests bekannt gewesen sein, denn im EUGT-Vorstand saßen Manager von BMW, Daimler und Volkswagen. Der Wolfsburger Autobauer verweist darauf, dass alle Entscheidungen über die Versuche im Forschungsbeirat getroffen worden seien. Es handele sich damit nicht um einen Auftrag von Volkswagen.

Warum sollte die Wirkung von Stickoxiden auf Tier und Mensch getestet werden?

Mit den Affen-Tests in den USA wollte die EUGT beweisen, dass Dieselmotoren sauberer geworden sind. Experten halten das Experiment für Unsinn. Man habe damals gewusst, dass die Emissionen giftig und teilweise krebserregend seien, sagt Wolfgang Straff, Leiter der Abteilung Umwelthygiene des Umweltbundesamts. „Für neuere Ergebnisse hätte man die Schadstoffe einfach messen können – dafür braucht es weder Tiere noch Menschen.“

Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums in Berlin sagte: „Es ist hinreichend belegt, dass Abgase schädlich sind.“ Es lägen genügend wissenschaftliche Fakten vor, um die geltenden Grenzwerte zu rechtfertigen. Die dafür angewendeten Methoden seien verlässlich. Laut der Universitätsklinik Aachen diente die Studie an Menschen der „Optimierung der Arbeitsplatzsicherheit zum Beispiel für LKW-Fahrer, Kfz-Mechaniker und Schweißer“, hieß es in einer Mitteilung.

Wie wirken Stickoxide auf die Gesundheit von Menschen?

Laut Umweltbundesamt reizen Stickoxide vor allem Atemwege und Schleimhäute. Akut träten Husten und Atembeschwerden auf. Eine dauerhafte Einwirkung könne zu Lungenschäden führen. Besonders empfindlich reagierten Kinder, ältere Menschen und Asthmatiker. Die WHO nennt Stickstoffdioxid oberhalb des Ein-Stunden-Wertes von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft ein „toxisches Gas, das signifikante Entzündungen der Atemwege auslöst“.

Wann und wie dürfen Versuche an Tier und Mensch stattfinden?

Nach Angaben des Deutschen Ethikrats gibt es bei Tests mit Menschen neben den Regeln im Arzneimittelgesetz ein sehr enges Netz an rechtlichen und ethischen Kontrollen. Danach dürfen Versuchspersonen nicht erkennbar geschädigt werden, so der Theologe Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Auch Menschenversuche, wie sie in der NS-Zeit durchgeführt wurden, würden damit verhindert.

Bei den Affen-Tests äußerte Dabrock massive ethische Bedenken: „Tierversuche, vor allem die an den Menschen ähnlichen Affen, dürfen nur das letzte Mittel sein.“ Nach derzeitiger Rechtslage wären derartige Abgastests mit Affen oder anderen Tieren auch in Deutschland legal. Das Tierschutzgesetz schreibt zwar vor, dass dem Antrag eine plausible wissenschaftliche Begründung zugrunde liegt, konkrete ethische Aspekte beinhalte das Gesetz nicht, kritisiert Tilo Weber vom Deutschen Tierschutzbund.

Wie reagieren die Autohersteller nach Bekanntwerden der Versuche?

Sowohl BMW als auch Daimler und Volkswagen distanzierten sich von Tierversuchen und anderen ethisch fragwürdigen Tests. Während sich Volkswagen „für das Fehlverhalten und die Fehleinschätzung Einzelner“ entschuldigte, wies man bei BMW eine Beteiligung daran zurück: „Die BMW Group hat an der Studie nicht mitgewirkt“, heißt es von einem BMW-Sprecher.

Von Daimler hieß es: „Auch wenn Daimler keinen Einfluss auf den Versuchsaufbau hatte, haben wir eine umfassende Untersuchung eingeleitet, wie es dazu kommen konnte.“ Auch BMW hat eine Untersuchung eingeleitet, „um die Arbeit und Hintergründe der EUGT aufzuklären“.

Wie reagiert die Politik?

Die Bundesregierung verurteilt die Versuche scharf. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen und werfen viele kritische Fragen an diejenigen, die hinter diesen Tests standen, auf“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die Tests müssten sofort ein Ende haben, erklärte ein Sprecher des geschäftsführenden Bundesverkehrsministers Christian Schmidt (CSU). Man habe „keinerlei Verständnis“ für Tests, „die nicht der Wissenschaft dienen, sondern ausschließlich PR-Zwecken“, sagte er.

Schmidt verurteilt Abgastests "auf das Schärfste"

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    Zumindest die Abgastests an Tieren hätten der Politik bekannt gewesen sein müssen: Der Bundestagsausschuss zum VW-Abgasskandal, den es bis vor der Bundestagswahl gab, hatte auf einer Sitzung im September 2016 davon erfahren. Damals berichtete der Toxikologe Helmut Greim von entsprechenden Tests – war Vorsitzender des Forschungsbeirats der EUGT. Auch der Sachverständige Thomas Kuhlbusch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hatte Tierversuche bestätigt. Keiner der informierten Politiker nahm damals daran Anstoß. Niedersächsische Politiker, die im Aufsichtsrat von VW sitzen, forderten Aufklärung.

    Welche Konsequenzen drohen den Verantwortlichen?

    VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch kündigte eine Aufklärung an. Die Vorgänge seien „in keinster Weise nachvollziehbar“, erklärte er. Das Kontrollgremium des Autokonzerns werde sich bald mit dem Thema beschäftigen: „Wer auch immer dafür Verantwortung zu tragen hat, ist selbstverständlich zur Rechenschaft zu ziehen.“ VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh forderte kurzfristig personelle Konsequenzen. Es seien offensichtlich ethisch-moralische Grenzen überschritten worden.