Berlin. Wer auf illegale Machenschaften in seiner Firma stößt, hat es oft schwer. Unternehmen wollen die Meldungen aber stetig vereinfachen.

Der November 2016 hat Martin Porwolls Leben komplett verändert. Zu diesem Zeitpunkt hatte er ausreichend Beweise gesammelt, um Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten. Sein Verdacht: Sein damaliger Chef, der Inhaber einer Apotheke in Bottrop, hat die Medikamente für individuell zusammengestellte Therapien von Patienten gestreckt. Teilweise waren in den Präparaten sogar gar keine Wirkstoffe erhalten. Porwoll wendet sich an die Behörden und Polizei.

Stundenlang wird der 46-jährige Familienvater vernommen. Und spürt während dieser Zeit eine „diffuse Bedrohungslage“ für seine Familie – schließlich geht es in dem Fall um immense Summen und um seinen Job. Aber er behielt recht. Die Staatsanwaltschaft vermutet einen Abrechnungsbetrug über rund 56 Millionen Euro, der Fall landete vor Gericht. Am Donnerstag bekommt Porwoll für sein couragiertes Verhalten den Whistleblower-Preis in Kassel verliehen.

Unternehmen bieten Anlaufstellen für Geheimnisträger

Martin Porwoll.
Martin Porwoll. © Funke Foto Services | FUNKE Foto Services / Fabian Str

Whistleblowing bedeutet so viel wie jemanden verpfeifen. Es geht darum, illegale Praktiken etwa in Unternehmen oder in Behörden aufzudecken. Viele Skandale in jüngster Zeit kamen so ans Licht. Prominentestes Beispiel sind die Abhörstrategien des US-Geheimdienstes NSA, die Edward Snowden publik machte. Hinweisgeber haben schon Fleischpanschereien, Missstände in Altenheimen oder Korruption angeprangert. Dennoch bewegen sie sich häufig zwischen Heldentum und Denunziantentum.

Nach deutschem Recht genießen Hinweisgeber nur wenig Schutz. Dass Unternehmen gezielt Strukturen schaffen, damit Arbeitnehmer anonym illegale Machenschaften anprangern können, ist noch ein recht neues Phänomen – und beschränkt sich meist nur auf Großkonzerne.

Über Hotlines sollen anonyme Hinweise eingehen

Vorreiter ist der Industriekonzern Siemens. Als im November 2006 Polizeibeamte, Staatsanwälte und Steuerfahnder die Büros von Siemens durchsuchten, begann für den Industriekonzern die wohl schwerste Krise in seiner Geschichte. Der, wie sich später herausstellte, milliardenschwere Schmiergeldskandal hatte hohe Strafzahlungen zur Folge. Der Konzern zog Konsequenzen und baute ein ausgefeiltes Meldesystem auf: Siemens-Mitarbeiter und Außenstehende können über verschiedene Wege, anonym oder personalisiert, Hinweise auf rechtswidriges Verhalten geben.

Die 24-Stunden erreichbare Telefon-Hotline „Tell us“ („Sag es uns“), die weltweit in 13 Sprachen zu erreichen ist, soll Hinweisgebern als geschützter Kommunikationsweg dienen. Außerdem können sich Mitarbeiter an einen Ombudsmann wenden. Diese neutrale Beschwerdestelle wird von einzelnen Rechtsanwälten oder Kanzleien gestellt, die vom Unternehmen bezahlt werden. Ähnliche Meldesysteme haben auch das Hamburger Versandhaus Otto und die Automobilkonzerne Volkswagen und Daimler. Auch sie bieten ein System aus Hotline, Mail und Vertrauensperson.

Aufdeckung von illegalen Handlungen bleibt für Mitarbeiter heikel

Bei ThyssenKrupp können sich Mitarbeiter zusätzlich an einen sogenannten Compliance Manager wenden. „Seriöse Hinweise helfen uns, Verstößen frühzeitig entgegenzuwirken und Schäden für unser Unternehmen, unsere Mitarbeiter und unsere Geschäftspartner zu reduzieren“, heißt es vom Unternehmen. Es werde viel Aufwand für die Meldesysteme betrieben und in deren Datensicherheit investiert.

Trotz dieser Anstrengungen bleibt es für Mitarbeiter oft ein großes Wagnis, illegale Machenschaften anzuprangern – denn das Recht ist nicht immer auf ihrer Seite. Die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen steht im Gegensatz zur Veröffentlichung von Missständen. „Für Arbeitnehmer ist in Deutschland in so einer Situation sehr schwer zu erkennen, was er darf“, sagt der Arbeitsrechtsanwalt Björn Gaul.

Beschuldigt ein Arbeitnehmer einen Kollegen oder Chef zu Unrecht, droht eine Abmahnung, Schadensersatz oder im schlimmsten Fall die Kündigung. Dies ist erlaubt, wenn der Arbeitnehmer in einer Strafanzeige leichtfertig falsche Angaben gemacht hat, aber auch, wenn sein Verhalten als unverhältnismäßig gilt. Zunächst sollten Mitarbeiter illegale Machenschaften daher beim direkten Vorgesetzten ansprechen. Ist der in die Sache selbst verwickelt, lohnt es sich, die nächsthöhere Hierarchieebene anzusprechen oder den Betriebsrat einzuschalten.

Gerichte haben die Rechte von Whistleblowern gestärkt

Organisationen wie Transparency International oder der Bund der Steuerzahler sprechen sich schon länger für mehr Schutz von Whistleblowern aus. „Hinweisgeber nehmen oft erhebliche persönliche Risiken für das Gemeinwohl in Kauf“, sagt Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland. Das Stigma des Denunzianten müsse ein Ende haben.

Besondere Hilfen sind derzeit von staatlicher Seite nicht vorgesehen. Ein eigenes Whistleblower-Gesetz, das vor einigen Jahren im Gespräch war, ist nie verabschiedet worden. Bisweilen stärkt jedoch die Rechtsprechung die Situation von Arbeitnehmern: 2011 bekam eine Altenpflegerin vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Recht. Sie hatte ihren Job verloren, nachdem sie Missstände in einem Pflegeheim angezeigt hatte. In Deutschland hatte sie in der letzten Instanz verloren.

Großer Druck kommt oft erst nach der Enthüllung

Vielfach stehen Hinweisgeber nach den Enthüllungen jedoch finanziell schlecht da, leiden psychisch an den Folgen, werden gar unter Druck gesetzt. „Derjenige, der Missstände öffentlich macht, wird in Deutschland allein gelassen“, sagt Porwoll. Er wünscht sich Strukturen, die Menschen wie ihn nach ihren Aussagen „aufnimmt“ und plädiert für einen Hilfsfonds, aus dem Unterstützung für Hinweisgeber finanziert werden kann. Oft sind es Verbände oder Hilfsorganisationen, die einspringen. Für Porwoll etwa wurde eine Unterstützerkampagne im Internet gestartet.

Dass seine Aussagen gravierende Folgen haben werden, sowohl für ihn als auch seine Familie, war ihm klar, sagt Porwoll. Zwei Tage nach der Festnahme seines Chefs wurde ihm gekündigt. Bis heute hat er keine neue Anstellung gefunden.

„Dass das Erwerbsleben versaut ist, gehört wohl zu einem Whistleblower dazu“, sagt Porwoll. Alle fänden Zivilcourage gut, aber man sei „verbrannt“, wie er seinen beruflichen Zustand nennt. Dennoch: Er würde sich immer wieder so entscheiden.