Berlin. Der Reiserechtsanwalt Boris Narewski über Rechte und Chancen der Air-Berlin-Passagiere – und warum Betroffene viel Geduld brauchen.

Seit der Insolvenz von Air Berlin ist die Arbeit von Boris Narewski nicht weniger geworden. Rund 70 Verfahren hat der Berliner Anwalt für Reiserecht gegen die Airline laufen.

Herr Narewski, Sie vertreten geschädigte Kunden von Air Berlin, auch im jetzt drohenden Insolvenzverfahren. Um was geht es da?

Boris Narewski: Es gibt zum einen die klassischen Schadensersatzansprüche. Wenn der Flug ohne Ersatzflug gestrichen wurde, habe ich einen Anspruch darauf, den Ticketpreis erstattet zu bekommen.

Und darüber hinaus?

Rechtsanwalt Boris Narewski.
Rechtsanwalt Boris Narewski. © BM | privat

Narewski: Können meine Mandanten sogenannte Ausgleichsansprüche geltend machen. Unabhängig davon, ob eine Airline insolvent ist oder nicht, gelten gemäß den EU-Fluggastrechten Ansprüche bei Annullierungen, Verspätungen oder Beförderungsverweigerungen. Das sind je nach Entfernung der Strecke zwischen 250 und 600 Euro pro Person und Flug. Das kann sich für eine mehrköpfige Reisegruppe oder Familien durchaus lohnen. Bei Air Berlin ist es aber so, dass diese Ansprüche auf dem Papier zwar existieren, in der Realität aber nur schwer zu Geld zu machen sind.

Welche Chancen haben die Betroffenen?

Narewski: Es wird nicht gesagt: Sie bekommen nichts. Sondern darauf verwiesen, dass man die Forderungen im Insolvenzverfahren geltend machen kann. Aber wenn es ein klassisches Verfahren wird und Air Berlin nicht anderweitig gerettet wird, wird der Otto Normalflieger wahrscheinlich nichts bekommen. Schadensersatz- oder Ausgleichsansprüche werden im Insolvenzverfahren nicht vorrangig behandelt.

Also sollte man sich keine allzu großen Hoffnungen machen?

Narewski: Alle Ansprüche vor dem 15. August sind schwer zu realisieren. Alles danach soll laut Air Berlin bearbeitet werden. Ich hatte bisher allerdings noch keine Forderung für Ansprüche nach der Insolvenz, wo anstandslos gezahlt worden wäre.

Bei welchem Szenario einer Übernahme hätten Geschädigte die größten Chancen?

Narewski: Für die Kunden wäre es das Beste, wenn Air Berlin in irgendeiner Form als Ganzes erhalten bliebe, inklusive der Verbindlichkeiten. Aber das ist natürlich der Pferdefuß: Ich denke nicht, dass ein Investor die Schadensersatzforderungen übernehmen will. Wenn Air Berlin zerschlagen wird, wonach es ja aussieht, werden die Forderungen voraussichtlich mangels Masse wenn überhaupt nur zu einer geringen Quote im Insolvenzverfahren bedient.

Wie verhält es sich, wenn ich bei einem der Air-Berlin-Partner Geld zurückfordern möchte?

Narewski: Wenn man den Flug bei British Airways, Etihad oder den anderen Verbundpartnern gebucht hat, für die Air Berlin Flüge durchführt, habe ich einen gewissen Vorteil, da Sie einen anderen Vertragspartner haben. Dann können Sie bei der entsprechenden Airline zumindest Schadensersatzansprüche geltend machen. Gleiches gilt für Pauschalreisen, wo der Reiseveranstalter einspringen muss.

Was ist mit den Klienten, die auf die Einlösung ihrer Bonusmeilen klagen?

Narewski: Ich habe immer mal wieder Fälle, wo jemand neben anderen Ansprüchen auch seine Bonusmeilen geltend machen will. Mit den Meilen haben Sie ja einen Anspruch im Rahmen des von Air Berlin geschaffenen Kundenbindungsprogrammes. Hier ist es im Moment noch unklar, wie dieser Anspruch aus den gesammelten Meilen in einen monetären Gegenwert im Rahmen des Insolvenzverfahrens umgerechnet werden soll. Dafür muss man im Insolvenzverfahren ein Bewertungssystem finden, dann kann diese monetäre Forderung grundsätzlich auch im Insolvenzverfahren angemeldet werden. Laut Experten wird bei den Kunden aber nicht viel ankommen.

Die Streichung der meisten Langstrecken von Berlin aus ist schon länger beschlossen. Trotzdem werden viele Passagiere erst kurz vorher informiert. Ist das rechtens?

Narewski: Es gibt klare EU-Vorgaben. Bei einer Annullierung muss mindestens 14 Tage vor Abflugtermin eine entsprechende Information erfolgen. Wird diese eingehalten, gibt es keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen. Eine Ankündigung sieben bis 14 Tage vor Abflug ist möglich, wenn Sie einen Ersatzflug bekommen, der höchstens zwei Stunden früher oder vier Stunden später stattfindet. Bei weniger als einer Woche darf es maximal eine Stunde früher oder zwei Stunden später sein. Im Fall von Air Berlin werden aber nur selten entsprechende Ersatzflüge angeboten.

Ab wann ist es sinnvoll, einen Anwalt einzuschalten?

Narewski: Bei einer einfachen Sache – etwa einer klaren Flugverspätung – spricht nichts dagegen, diese zunächst selbst anzumelden. Dadurch spart man die Anwaltsgebühren oder die Provision, die die Fluggastportale nehmen. Bei einer komplizierteren Angelegenheit, wie einer sehr hohen Forderung oder wenn Air Berlin die Forderung bestreitet, macht es aus meiner Sicht Sinn, einen Anwalt einzuschalten. Den Leuten muss aber klar sein: Die Verfolgung der Ansprüche wird jetzt durch das Insolvenzverfahren wahrscheinlich sehr langwierig. Da muss man Durchhaltevermögen haben.