Berlin/Frankfurt/Main. Die insolvente Airline kämpft um eine geregelte Zerschlagung. Montag droht neues Chaos. Die Mitarbeiter müssen um den Job zittern.

Im Drama um Air Berlin steht der wohl letzte Akt bevor. Noch ist offiziell nicht bekannt, welche Bieter den Zuschlag bekommen für die begehrten Teile der insolventen Fluggesellschaft. Es wird befürchtet, dass der Betrieb in der bisher bekannten Form nur noch wenige Tage weitergehen wird. Die Kunst der Insolvenzverwalter wird sein, für möglichst viele Teile des Unternehmens einen bruchlosen Weiterbetrieb zu erreichen. Passagiere müssen aber in den kommenden Wochen zunächst mit Problemen rechnen. Denn zu befürchten steht, dass Teile der bisherigen Flotte am Boden bleiben.

Auch für die 8000 Mitarbeiter der insolventen Air Berlin heißt es nun aber erst einmal: warten. Am Donnerstag hatte der Gläubigerausschuss bis zum Abend über mögliche Lösungen für die Fluggesellschaft beraten, dabei lagen erstmals die vollständigen Bieterlisten vor. Einige der Bieter sind an Teilen von Air Berlin interessiert, andere an der Übernahme des gesamten Unternehmens. Am Montag sollte der Aufsichtsrat dem Verkauf von Teilen der Airline an verschiedene Bieter zustimmen.

Insider berichten nun, dass die Verhandlungen nun doch erst am 12. Oktober abgeschlossen werden sollen. Ein Großteil des Unternehmens gehe demnach an die Lufthansa, weitere Teile an Easyjet und Condor. Die Zeit braucht die Führungsmannschaft um den Chefsanierer Frank Kebekus und den Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann offenbar, um einen möglichst schmerzfreien Übergang der übernommenen Jets aus dem Air-Berlin-Betrieb auf die neuen Fluggesellschaften zu organisieren. Arbeitnehmervertreter halten es für ziemlich anspruchsvoll, in der kurzen Zeit Crews und Techniker personengenau zuzuordnen.

Eurowings will Langstrecke künftig auch von Berlin fliegen

Am Mittwochabend hatte die Lufthansa erstmals ihr Angebot öffentlich konkretisiert: Danach ist die Kranichlinie nicht an den Langstreckenflugzeugen interessiert, dafür habe man kein Angebot abgegeben, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr vor Journalisten. Eine zumindest für die Öffentlichkeit überraschende Entscheidung. Nicht jedoch für Branchenangehörige: „Lufthansa erhält in den nächsten Wochen im Schnitt jede Woche ein neues Flugzeug“, sagt Nicoley Baublies, Chef der Flugbegleitergewerkschaft Ufo. Im Winter sei es sinnvoll, auf zusätzliche Langstreckenflugzeuge zu verzichten, erst vom nächsten Sommer an könne man diese wieder einsetzen – habe dann aber genügend Kapazitäten.

So will die Lufthansa-Tochter Eurowings „aus eigener Kraft“ Langstreckenflüge künftig auch von Berlin anbieten, sagte Lufthansa-Chef Spohr weiter. Derzeit starten diese nur von Köln aus. Eurowings hatte erst kürzlich angekündigt, dass diese künftig auch von München und Düsseldorf angeboten werden sollen. „Oberste Priorität“ aber habe für Lufthansa, dass der aktuelle Flugbetrieb nicht destabilisiert werde.

Lufthansa spricht von 3000 Übernahmen

Deshalb habe seine Fluggesellschaft vor allem Interesse an den 38 Flugzeugen, die Lufthansa schon von Air Berlin gemietet habe, sagte Spohr. Diese sind bei Eurowings im Einsatz. „An zweiter Stelle kommt dann aus unserer Sicht die Chance, dass Eurowings um 20 bis 40 Flugzeuge wachsen kann.“ Diese von Air Berlin zu übernehmen, sei eine Option. „Alternativ können wir aber auch organisch aus eigenen Kräften wachsen“, sagte der Lufthansa-Chef.

Sollte Lufthansa diese Flugzeuge von Air Berlin übernehmen, würden viele Arbeitsplätze gerettet, die dann zu Eurowings übergingen. „Wir glauben, bald bis zu 3000 neue Mitarbeiter begrüßen zu können“, sagte Spohr. Allerdings werden diese nicht in einem Betriebsübergang wechseln. Das bedauert die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die bis zuletzt gehofft hatte, die Beschäftigten könnten zu den alten und für sie günstigen Air-Berlin-Bedingungen zu ihrem möglichen neuen Arbeitgeber wechseln. Doch die betroffenen Mitarbeiter müssen sich zumindest bei Eurowings neu bewerben.

Eurowings hat 600 Stellen ausgeschrieben

Für die Flugbegleiter ist das Verfahren jetzt festgelegt: Denn Eurowings hatte mit den Gewerkschaften Ufo und Verdi einen Tarifvertrag „Wachstum“ geschlossen. Dabei werden die Dienstjahre von Flugbegleitern anerkannt und gleichzeitig sichergestellt, dass das Bestandspersonal von Eurowings dadurch keine Nachteile hat.

Mit den Piloten wurden entsprechende Verhandlungen am Donnerstag ergebnislos vertagt, hieß es sowohl bei Eurowings als auch der Vereinigung Cockpit (VC). „Der Gehaltsunterschied zwischen Piloten der Air Berlin und der Eurowings liegt zwischen 20 und 40 Prozent“, sagte VC-Sprecher Markus Wahl. „Das ist nicht trivial.“ Eurowings hat schon 600 Stellen für Piloten und Flugbegleiter ausgeschrieben. 1000 Bewerbungen habe man bereits vorliegen, hieß es.

Airlines hatten mit Roadshows um Piloten geworben

Vor dem Hintergrund, dass sich neben der Lufthansa offenbar auch kein anderes Unternehmen für die Langstreckenmaschinen von Air Berlin interessiert, steigt bei den rund 1400 Piloten die Sorge, sich einen neuen Arbeitgeber suchen zu müssen. „Die Hoffnung stirbt“, sagte ein altgedienter Flugkapitän der Berliner Morgenpost. „Alle Kollegen bringen ihre Lebensläufe auf den neuesten Stand.“

Zuletzt hatten mehrere Airlines, darunter Qatar, Ryanair oder Norwegian im Rahmen von sogenannten Roadshows um die Air-Berlin-Piloten geworben. Bei Airlines im arabischen Raum oder Ostasien, so heißt es, könnten die Piloten zu guten Bedingungen unterkommen, müssten aber umziehen oder pendeln. Jobs bei europäischen Fluggesellschaften sind offenbar nur zu schlechteren Konditionen zu bekommen. Auch deshalb fordern die Piloten bei der Übernahme eine Sozialauswahl, was etwa älteren Kollegen beziehungsweise Kollegen mit Kindern oder schwierigen Familienverhältnissen eine Übernahme garantieren würde.

Ryanair hatte kein Gebot abgegeben

An Teilen der Air Berlin ist neben Lufthansa unter anderem die Muttergesellschaft von British Airways und Iberia, IAG, interessiert, ebenso ein Konsortium aus Condor und Niki Lauda sowie Easyjet. Als Ganzes, also mit 8000 Mitarbeitern und 144 Flugzeugen, möchte der Luftfahrtunternehmer Hans Rudolf Wöhrl sie übernehmen – ebenso wie Utz Claassen, der frühere Chef des Energiekonzerns EnBW.

Am Donnerstag reichte auch der chinesische Betreiber des Flughafens Parchim, Jonathan Pang, ein Angebot nach. Er hatte in der vergangenen Woche eine Fristverlängerung beantragt, deshalb durfte er sein Angebot bis kurz vor der Sitzung des Gläubigerausschusses nachreichen. Der irische Billigflieger Ryanair hatte kein Gebot abgegeben, weil das Bieterverfahren ein „abgekartetes Spiel“ sei, das dazu dienen solle, Air Berlin der Lufthansa zu übergeben, so die Kritik von Ryanair-Chef Michael O’Leary vor einigen Tagen.

Lufthansa-Chef erwartet fallende Ticketpreise

Lufthansa-Chef Spohr verwies jedoch darauf, dass die Kranichlinie einen Marktanteil von 34 Prozent in Deutschland habe – das sei deutlich weniger als viele der Wettbewerber in ihren jeweiligen Heimatmärkten. Air Berlin halte noch einen Marktanteil von 14 Prozent, Lufthansa biete aber allenfalls für die Hälfte. „Für mehr ist kartellrechtlich kein Raum, und deswegen kann von Dominanz in keinem Fall die Rede sein“, sagte der Lufthansa-Chef.

Steigende Preise sieht er langfristig nicht: Aktuell sei zwar der Abwärtstrend bei den Ticketpreisen gebrochen, sagte er. Weil die Branche aber immer noch unter Konsolidierungsdruck stehe, rechne er auf längere Sicht weiter mit fallenden Ticketpreisen.

Kein neuer Stand bei der Technik-Tochter ABT

Im Gläubigerausschuss, der sich mit der Abwicklung der Technik-Tochter ABT befasst, gab es am Donnerstag laut einem Teilnehmer der Runde keine nennenswerten Entwicklungen. Offenbar ist das Interesse einer Übernahme der Sparte mit seinen rund 1500 Mitarbeitern gering.

Bekannt ist, dass das Berliner Logistikunternehmen Zeitfracht für die ABT bietet. „Wir gehen fest davon aus, dass wir damit rund 1000 Arbeitsplätze der insolventen Air-Berlin-Gruppe sichern und unsere Zeitfracht-Gruppe zu einem gut etablierten Luftfracht-Carrier ausbauen können“, sagt Firmenchef Wolfram Simon.

Zerschlagung dürfte bis Jahresende dauern

Über die Höhe des Gebotes macht das Unternehmen keine Angaben. Interessenten können noch bis Anfang Oktober für die ABT bieten. Wie viele Mitarbeiter übernommen werden können, hängt auch von der Zahl der Flugzeuge ab, die bei der Zerschlagung an neue Eigentümer gehen. Die Mitarbeiter seien davon abhängig, was es am Ende für sie zu warten gebe, sagte ein Insider, der die Chancen derzeit als „nicht sehr rosig“ bezeichnet.

Auch mit dem Zuschlag am kommenden Montag dürfte das Insolvenzverfahren noch nicht zu Ende sein. Spohr rechnet mit einem „Marktaustritt“ der Air Berlin, also einer Zerschlagung. Es dürfte aber bis zum Jahresende dauern, bis die einzelnen Unternehmensteile vom Insolvenzverwalter verkauft sein werden.

Aufteilung liefert auch Hinweise auf weitere Ausfälle

Wenn am Montag Klarheit über Air Berlin besteht, dann müssen auch einige Kunden der Airline wieder zittern. Denn die Strecken, die dann womöglich nicht verkauft sind, werden voraussichtlich auch nicht mehr bedient. Wer erst nach dem 15. August, dem Tag der Insolvenzanmeldung, sein Ticket gebucht hat, der bekommt zumindest sein Geld zurück. Denn die Erlöse der Tickets sind auf einem Notaranderkonto deponiert und deshalb nicht verloren. Wer aber vorher gebucht hat, der erhält sein Geld nicht zurück. Aus Luftfahrtkreisen ist zu hören, dass einige Airlines diesen Kunden Ersatzflüge zu einem günstigen Tarif anbieten werden. (mit rtr)