Berlin. Die Wirtschaftsministerin warnt nach dem Abgasskandal davor, den Standort Deutschland schlechtzureden. Dennoch: Die Lage sei ernst.

Für einige Monate bis zur Bundestagswahl ist Brigitte Zypries in die erste Reihe der Politik zurückgekehrt. Sie war schon Justizministerin, als Gerhard Schröder Bundeskanzler war, und ist nun Sigmar Gabriel nachgefolgt, der das Wirtschaftsministerium gegen das Auswärtige Amt getauscht hat.

Bevor die 63-jährige Sozialdemokratin nach der Wahl ihre politische Laufbahn beendet, hat sie es mit einem beispiellosen Skandal in Deutschlands Schlüsselindustrie, der Automobilbranche, zu tun.

Immer neue Enthüllungen in der Diesel-Affäre, dazu ein dringender Kartell-Verdacht – haben Sie überhaupt noch Vertrauen in die deutschen Autobauer?

Brigitte Zypries: Die Abgasmanipulationen der Autobauer sind nicht hinnehmbar. Sie schaden nicht nur ihrem guten Ruf, sondern auch dem der deutschen Wirtschaft. Jetzt sollten sie alles dafür tun, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Die problematischen Schadstoffe wie Stickoxide müssen deutlich gesenkt werden. Die Lage ist ernst. Grundsätzlich zeigen aber die guten Verkaufszahlen, dass die Verbraucher von den deutschen Autos überzeugt sind, ich bin da keine Ausnahme. Die Autohersteller haben in der Vergangenheit stets innovative und qualitativ hochwertige Autos gebaut. Jetzt müssen sie zeigen, dass sie das auch in Zukunft können.

Können Sie abschätzen, wie sich die Skandale auf Wachstum und Arbeitsmarkt in Deutschland auswirken?

Zypries: Nein, das kann ich im Moment noch nicht. Klar ist aber, dass die Automobilindustrie als sehr wichtige Industrie für unser Land jetzt die Herausforderung der Digitalisierung und der nachhaltigen Mobilität engagiert anpacken muss. Das heißt, der Umbau in der Autobranche muss angegangen werden.

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    Nimmt das Qualitätssiegel „Made in Germany“ Schaden?

    Zypries: Diese Sorge muss man haben. Deshalb muss das Fehlverhalten Einzelner vollständig aufgearbeitet werden. Aber wir dürfen den Standort Deutschland auch nicht schlechtreden. Deutsche Produkte sind gute Produkte, die im Ausland zu Recht hochgeschätzt werden.

    Was erwarten Sie – auch mit Blick auf den bevorstehenden Diesel-Gipfel – von den Herstellern?

    Zypries: Die Autokonzerne müssen bei den NOX-Werten, also schädlichen Stickoxiden, für Diesel mit Euro-5- und Euro-6-Norm nachrüsten. Auch sollten sie Kunden motivieren, auf abgasarme moderne Diesel umzusteigen – und zwar auf ihre Kosten. Das gehört zu den notwendigen Sofortmaßnahmen. Der zweite Schritt muss eine Strategie für die Zukunftsfähigkeit des Automobilstandortes Deutschlands sein. Dazu gehört die Optimierung von Antriebstechnologien.

    Fühlen Sie sich ausreichend informiert?

    Zypries: Mit der Informationspolitik der Autohersteller kann man nicht zufrieden sein.

    Sind Sie mit den Konzernchefs denn im Gespräch?

    Zypries: Natürlich bin ich im Kontakt mit der Automobilindustrie, allerdings weniger mit den Vorstandsvorsitzenden, mehr mit Vorständen.

    Warum nicht mit den Bossen?

    Zypries: Wenn ich spezielle technische Fachfragen habe, die mich interessieren, rede ich mit den dafür zuständigen Experten. Das bringt meist mehr.

    Haben im Diesel-Skandal die Kontrollbehörden versagt?

    Zypries: Ein solches Urteil über Behörden, die Bundesverkehrsminister Dobrindt unterstehen, maße ich mir nicht an. Ich gehe davon aus, dass all diese Fragen geprüft und erörtert wurden.

    Das Bundeskartellamt untersteht dem Bundeswirtschaftsministerium. Wann haben Sie persönlich von dem Verdacht illegaler Absprachen erfahren?

    Zypries: Vor ein paar Tagen, aus der Zeitung. Ich habe darüber hinaus keine Informationen. Ein Kartellverfahren ist wie ein Gerichtsverfahren. Es ermittelt immer nur eine unabhängige Kartellbehörde, die nationale oder die europäische. In diesem Fall ist die europäische Kartellbehörde am Zug. Sie prüft und sichtet derzeit die ihr vorliegenden Informationen. Wir werden sehen, ob und was da dran ist.

    Haben Kommunen, die Diesel-Fahrverbote verhängen, Ihr Verständnis?

    Zypries: Bisher ist ja noch kein Verbot ausgesprochen worden. Die Kommunen haben eine breite Palette an Möglichkeiten, um die Einhaltung der Umweltstandards sicherzustellen. Bei der Aufstellung der Pläne sollten wir die Kommunen unterstützen. Sinnvoll ist zum Beispiel ein schadstoffarmer öffentlicher Nahverkehr, also ein schrittweiser Umstieg auf E-Busse beziehungsweise auf Busse mit hybriden Antrieben oder mit einem modernen Dieselantrieb mit Harnstoff-Einspritzung, der kaum CO2 oder Stickoxide ausstößt.

    Wie sieht die Unterstützung des Bundes aus?

    Zypries: Wir wollen die Förderbedingungen für die Anschaffung von elektrischen Bussen verbessern. Es ist erfolgversprechender, beim öffentlichen Nahverkehr anzusetzen als bei individuellen Autos. Denn die Busse fahren den ganzen Tag durch die Stadt. Der Arbeitnehmer kommt morgens, das Auto steht während seiner Arbeitszeit und wird erst wieder für die Heimfahrt benutzt. Außerdem: Ein Handwerker muss weiter in die Stadt fahren können, auch wenn er einen Diesel hat. Das zu gewährleisten, muss auch ein Ziel der Maßnahmen sein.

    Großbritannien und Frankreich wollen alle Verbrennungsmotoren verbieten, von 2040 an sollen dort nur noch Elektroautos fahren. Sind Sie dafür oder dagegen, dass sich auch Deutschland eine solche Zielmarke setzt?

    Zypries: Wir haben ja schon eine Zielmarke, die sehr ambitioniert und nicht leicht zu erreichen ist. Wir wollen bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen haben. Bislang allerdings läuft der Verkauf von Elektroautos nicht so gut.

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      Das ändert sich, wenn der Verbrennungsmotor verboten wird.

      Zypries: Einige Länder diskutieren darüber. Doch jedes Land hat eine andere Ausgangslage. Während in England kaum noch Autos gebaut werden, ist Deutschland eine der größten Automobilbaunationen der Welt mit über einer Million Arbeitsplätzen, die davon abhängen. Es hilft wenig, irgendwelche Zahlen oder politische Ausstiegsdaten in ferner Zukunft in die Welt zu setzen. Wir brauchen eine Debatte und einheitliche Regelungen auf EU-Ebene. Mein Augenmerk richtet sich dabei immer auch auf die Arbeitsplätze. Wo sollen die Leute denn arbeiten, die vorher den Dieselmotor zusammengeschraubt haben? Deshalb muss es einen strukturierten Umbau geben.

      Sie klingen fast wie der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der von „Schwachsinnsterminen“ spricht.

      Zypries: So würde ich es nicht nennen, ich würde sagen: Im Moment eine Jahreszahl wie 2040 festzulegen ist weder sinnvoll noch zielführend.

      Was kann die Politik denn tun, um der Elektromobilität zum Erfolg zu verhelfen?

      Zypries: Das ist zunächst Sache der Hersteller. Aber unsere Ladeinfrastruktur zum Beispiel muss besser werden. Wir brauchen eine gemeinsame Strategie von Politik und Automobilindustrie. In der nächsten Wahlperiode sollte eine Plattform „Zukunft der Mobilität“ eingerichtet werden, wo wir mit Experten über die notwendige Transformation zu nachhaltiger, vernetzter Mobilität sprechen. Wir brauchen Zukunftskonzepte, nicht nur tagesaktuelles Handeln. Denn die Autoindustrie steht vor der größten Transformation in ihrer hundertjährigen Geschichte. Solche Initiativen aus dem Verkehrsressort habe ich in dieser Legislaturperiode vermisst. Vor allem aber müssen sich die deutschen Hersteller schnell bewegen, wenn sie mit der Konkurrenz aus China und anderen Ländern beim E-Auto mithalten wollen.