Wolfsburg. Die deutsche Automobilindustrie gerät immer stärker in den Sog des Abgasskandals: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat seit Beginn der Dieselkrise erstmals ein Zulassungsverbot verhängt. Es gilt für bestimmte Fahrzeuge des Modells Porsche Cayenne. In den USA drohen neue Milliardenklagen gegen die unter Kartellverdacht stehenden deutschen Konzerne. Umweltministerin Barbara Hendricks kritisierte den VW-Konzern mit scharfen Worten und hält Fahrverbote weiter für möglich.
Kaum war Hendricks von ihrem frostigen Besuch in der VW-Konzernzentrale in Wolfsburg zurückgekehrt, kam aus Berlin die nächste Hiobsbotschaft für die Branche. Auch bei Porsche sei eine unzulässige Abschalteinrichtung für die Reinigung von Abgasen festgestellt worden, erklärte Verkehrsminister Dobrindt am Donnerstagabend in Berlin.
Für europaweit 22.000 Fahrzeuge des Typs Cayenne-3-Liter-TDI werde nun ein Pflichtrückruf angeordnet, sagte Dobrindt. Zudem dürften keine weiteren Fahrzeuge dieses Modells auf den Markt kommen. Bei den Autos sei eine Technik festgestellt worden, die erkenne, dass ein Fahrzeug auf einem Abgasprüfstand stehe. In Tests springe dann eine „Aufwärmstrategie“ an, die im realen Verkehr nicht aktiviert werde.

Porsche hat die illegale Abschalteinrichtung selber gemeldet
Der Porsche-Konzern hat den Einsatz einer illegalen Abschalteinrichtung beim Geländewagen Cayenne nach eigenen Angaben selbst dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gemeldet. „Porsche hat bei internen Untersuchungen Unregelmäßigkeiten in der Motorsteuerungssoftware festgestellt und diese aktiv dem KBA dargelegt“, teilte die VW-Tochter am Donnerstag in Stuttgart mit.
Mit der Behörde sei eine Korrektur durch ein Software-Update vereinbart worden. Porsche war im Zuge der Abgasaffäre zuletzt auch ins Visier der Stuttgarter Staatsanwaltschaft geraten. Die Behörde nahm vor rund zweieinhalb Wochen Ermittlungen wegen einer möglichen Manipulation der Abgasnachbehandlung an Dieselfahrzeugen auf.
Umweltministerin spricht von Vertrauensverlust
Für Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sind die Skandale der „allerletzte Weckruf“. Die ganze Branche befände sich in einer „schwierigen Situation“ mit einem „großen Vertrauensverlust“, sagte die Ministerin bei einem Besuch in der VW-Konzernzentrale in Wolfsburg. Sie wünsche sich künftig dringend mehr „unabhängige Kontrolle der Autoindustrie“ seitens der Politik.
Egal ob diese unabhängige Kontrollinstanz im Umwelt-, Verkehrs- oder Verbraucherschutzministerium angesiedelt sei. Für VW-Chef Matthias Müller war der Besuch der Ministerin eine sichtlich unangenehme Begegnung. Gäste wieder auszuladen gilt gemeinhin als unüblich. Zumal wenn sich ein Mitglied der Bundesregierung angesagt hat. Aber das lange geplante Treffen kommt für den VW-Chef nun zur Unzeit. Der Vorwurf illegaler Kartellabsprachen der deutschen Autobauer steht im Raum, nächsten Mittwoch gibt es einen Dieselgipfel, um den Skandal um Millionen von manipulierten Motoren aufzuarbeiten.
Umweltministerin Hendricks schlägt einen harten Kurs ein
Dass Hendricks ein unbequemer Gast sein wird, macht die SPD-Politikerin schnell klar. Selbst Fahrverbote, der Albtraum der Autobauer, halte sie weiter für möglich, sagt sie. Wenn die Grenzwerte für Stickoxide weiter überschritten würden, seien diese notwendig. Als letztes Mittel zwar, aber die geplante Softwareverbesserung der Autobauer sei eben nur eine „Teilverbesserung – und damit kann man nicht ausschließen, dass es trotzdem zu Fahrverboten kommt“.
Das sitzt. Und Hendricks macht auch deutlich, dass es bei Softwareverbesserungen bei den betroffenen Dieselmotoren nicht bleiben kann. Beim Dieselgipfel müsse es um klare Anforderungen für einen „zweiten Schritt“ gehen. Das meint Nachrüstungen am Motor. Die Verringerung des Stickstoffausstoßes der Dieselfahrzeuge um die Hälfte – das bleibe ihr Ziel. Für VW ist das starker Tobak. Doch Hendricks hat keine Lust mehr auf Nettigkeiten. Als sie zwei Stunden später mit Müller vor dem Sedric, dem VW-Prototyp des selbstfahrenden Autos der Zukunft, steht, findet sie ebenfalls deutliche Worte: „Ich habe im Gespräch mit Herrn Müller meine Enttäuschung und den Vertrauensverlust, auch den meiner Kollegen von verschiedenen Ressorts, zum Ausdruck gebracht“, sagt Hendricks. Seit fast zwei Jahren gebe es nun Skandale und Verbrauchertäuschung in der Automobilindustrie.
Dem Staat hat es an Distanz zur Automobilindustrie gemangelt
Die Nähe zwischen Politik und Industrie sei „zu groß“ gewesen, sagt sie. Die Autoindustrie habe sich „zu sicher“ gefühlt. „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenheit zu häufig an Distanz zur Automobilindustrie hat mangeln lassen.“ Der Staat sei nun auch in der Verantwortung, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen.
Während Hendricks all dies sagt, streicht sich der braun gebrannte VW-Chef Müller immer mal wieder imaginäre Flusen vom blau glänzenden Jackett. Um die Gesprächsatmosphäre nicht noch weiter einzutrüben, hat Müller der Besucherin ein Angebot mitgebracht: Sein Konzern werde insgesamt vier Millionen Dieselfahrzeuge nachrüsten und damit die Emissionen deutlich reduzieren. Dies wären nach Angaben von VW 1,5 Millionen zusätzliche Fahrzeuge. Ein VW-Sprecher erläuterte, dass darin bereits bestehende Rückrufe mit eingerechnet seien.
So muss Volkswagen wegen des Dieselskandals in Deutschland 2,6 Millionen Fahrzeuge mit einer Software nachrüsten. Die VW-Tochter Audi hat zudem bereits europaweit die Umrüstung von bis zu 850.000 Fahrzeugen versprochen, von denen ein Großteil auf Deutschland entfällt. Hinzu kämen rund 600.000 Fahrzeuge mit der älteren Euro-5-Abgasnorm.
In Braunschweig sind rund 1400 Schadenersatzklagen anhängig
„Wir wissen um unsere Verantwortung für Umwelt und für unsere Arbeitsplätze“, sagt Müller. Man wolle „verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen“. Damit fängt Müller am Donnerstag jedoch nicht an – zu den Kartellvorwürfen äußert er sich nicht: „Wir beantworten keine Fragen.“
Das wird nicht so bleiben können. Auch in den Halbjahreszahlen, die VW am Donnerstag präsentierte und die trotz des Skandals zufriedenstellend sind, ist nicht klar, wie sich die Kartellvorwürfe auswirken, die nun weitere Klagen befeuern. Bislang sind in Braunschweig rund 1400 Schadenersatzklagen anhängig, der Streitwert beläuft sich auf mehr als acht Milliarden Euro. Der „Bild“-Zeitung liegt nun die erste Klage gegen VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche aus den USA vor. Auf 69 Seiten werden den Firmen eine „Verschwörung“ und Verstöße gegen das US-Wettbewerbsrecht vorgeworfen. Es könnten weitere Milliardenstrafen drohen.
Und Hendricks? Die steht vor dem Zukunftsauto des VW-Konzerns, dem Sedric, und blickt skeptisch. „Da sind noch viele Fragen, die noch nicht gelöst sind“, sagt die Ministerin nachdenklich. Und meint damit nicht nur die Herausforderung des autonomen Fahrens. (mit dpa)
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