Berlin. Die Abgas-Affäre weitet sich immer mehr aus. Die Vorgänge in der Automobilindustrie schädigen den Ruf einer ganzen Industrienation.

Wo soll das bitte enden? Bei der deutschen Vorzeigeindustrie Automobilbau hageln die schlimmen Nachrichten schneller rein als neue Golf in Wolfsburg vom Band rollen. Noch mehr Dieselrückrufe bei VW, Schummel-Motoren bei Porsche, Kartellvorwürfe – seit gestern ist auch Weltmarktführer Bosch unter Verdacht. Wer in den Vorstandsetagen der Autokonzerne vor Kurzem noch dachte, „schlimmer kann es eigentlich nicht kommen“, hat sich gewaltig getäuscht.

Die ganze Affäre ist längst viel mehr als nur ein tiefer Kratzer im Image der deutschen Automobilindustrie. Sie schädigt mittlerweile den Ruf des gesamten Industriestandortes Deutschland – und gefährdet Arbeitsplätze, Exportchancen und den legendären Ruf von technischen Produkten „Made in Germany“.

Verbraucher zu Recht wütend

Das ganze Drama ist selbstverschuldet durch Konzernchefs, die sich für Götter hielten und staatliche Aufsichtsbehörden, die blauäugig an sie glaubten. Jetzt hilft nur noch das alte Chirurgen-Motto: „Ganz tief schneiden“. Das hektische Auswechseln von Vorständen aus der zweiten Reihe wird sicher nicht reichen, um eine Vertrauenskrise von historischer Dimension zu beenden.

Auch wenn die Verbraucher zu Recht wütend sind, ist es dennoch richtig, bei der Kritik nicht das Maß zu verlieren. Zu viel steht am Ende auf dem Spiel: Vier Millionen Arbeitsplätze hängen am deutschen Automobilbau – und in der Debatte um Dieselgate sind auch diejenigen hochaktiv, die das Auto schon lange aus ideologischen Gründen weghaben wollen. Schlimm genug, dass ihnen jetzt ausgerechnet die Hersteller die Argumente dafür liefern. Und auch der ausländischen Konkurrenz ist das deutsche Scherbengericht hochwillkommen. Dass die Deutsche Umwelthilfe, ein Hauptaktivist in der Diesel-Debatte, auch von VW-Konkurrent Toyota Geld nimmt, ist in diesem Zusammenhang mehr als bemerkenswert.

Nicht weiter den Kopf in den Sand stecken

Was können die Hersteller jetzt also tun, um den Ruf ihrer Produkte, die ohne Schummelei die Grenzwerte einhalten, zu retten?

Ganz sicher können sie nicht weiter den Kopf in den Sand stecken und eine Informationspolitik betreiben, die ihnen die Anwälte diktieren. Die Angst vor Milliardenstrafen darf nicht dazu führen, dass man gegenüber Kunden und der breiten Öffentlichkeit schweigt und immer nur das zugibt, was zweifelsfrei nachgewiesen wurde – oder was gerade in die juristische Selbstverteidigungsstrategie passt.

Auf relevanten Feldern Höchstleistungen bieten

Auch so zu tun, als wären die freiwilligen Maßnahmen zur Nachrüstung ein Akt besonderer Großzügigkeit, ist völlig fehl am Platz. Selbstverständlich müssen möglichst alle Fahrzeuge – nicht nur die mit Schummel-Software – so nachgerüstet werden, damit sie die Werte aus den Verkaufsprospekten zumindest annähernd einhalten. Sollte es wirklich funktionieren, die Autos mit einem Softwareupdate umweltfreundlicher zu trimmen, stellt sich zu Recht die Frage: Warum haben die Hersteller das nicht schon längst gemacht?

Offenbar waren die Entwicklungsschritte bei der Abgasreduzierung weniger interessant als die Weiterentwicklung der Wurzelholzeinlagen oder des digitalen Unterhaltungs-Schnickschnacks, der dem Kunden bei den Extras teuer verkauft werden kann. Es wird Zeit, dass die Hersteller auf den relevanten Feldern der Automobiltechnik wieder Höchstleistungen bieten und anknüpfen an goldene Zeiten. Zeiten, in denen deutsche Ingenieurskunst mit Dreipunktgurten, ABS und Airbagsysteme für Aufsehen sorgten – und nicht mit Prozessoren, die beim amtlichen Abgastest betrügen.