Berlin. Autoverbands-Präsident Matthias Wissmann glaubt weiter an die Zukunft von Verbrennungsmotoren. Er plädiert für eine neue Software.

Immer neue Nachrichten über Manipulationen bei Abgaswerten, die Vorwürfe geheimer Absprachen und jetzt auch noch drohende Fahrverbote für Diesel – die Autoindus­trie steht massiv unter Druck. Der Präsident ihres Herstellerverbands VDA, der ehemalige Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU), gibt sich Mühe, das Image der Branche aufzupolieren.

Herr Wissmann, in Großbritannien sollen ab 2040 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr auf den Straßen fahren. Ist die deutsche Autoindustrie darauf vorbereitet?

Matthias Wissmann : Wir geben bei Zukunftstechnologien Vollgas. Die deutsche Automobilindustrie ist bei alternativen Antrieben weltweit führend, das zeigt auch eine ganz neue ifo-Studie. Demnach stammt weltweit jedes dritte Patent im Bereich Elektromobilität und Hybridantrieb aus Deutschland. Derzeit bieten deutsche Hersteller 30 Modelle mit Elektroantrieb an, im Jahr 2020 werden es schon 100 sein.

Und damit können Sie in 23 Jahren auf den Verbrennungsmotor verzichten?

Wissmann : Wir schätzen, dass im Jahr 2025 zwischen 15 und 25 Prozent der weltweiten Pkw-Neuzulassungen E-Mobile sein werden. Sei es als reine Stromer oder als sogenannte Plug-in-Hybride. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass noch ein Großteil der Autos konventionell angetrieben sein wird. Wir werden eine Übergangsphase erleben, in der es mehrere Antriebsarten nebeneinander geben wird. Unsere Industrie bewegt sich im Weltmarkt und ist dort sehr erfolgreich. Sie kann daher nicht auf eine dieser Technologien verzichten. Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann hat willkürlich gesetzte Jahreszahlen als „Schwachsinnstermine“ bezeichnet. Natürlich ist es unser Ehrgeiz, die CO2-Emissionen und Luftschadstoffe immer weiter zu reduzieren.

Abgas-Skandal: Darum haben Diesel-Autos zu Recht so ein schlechtes Image

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    Die Regierungen in Großbritannien oder in Frankreich machen den Bürgern etwas vor, wenn sie solche Ziele ausgeben?

    Wissmann : Solche fixen, politisch gesetzten Daten bringen nichts. Die Politik sollte stimulieren, aber nicht strangulieren. Und sie sollte im Rahmen gesetzlicher Leitplanken es den Unternehmen im Markt überlassen, den ökologisch und ökonomisch besten Weg zu finden.

    Was passieren kann, wenn man manchen Ingenieuren diese Suche ohne staatliche Aufsicht überlässt, haben wir bei Volkswagen gesehen!

    Wissmann : Keine Frage, es muss klare Rahmenbedingungen geben. Das heißt: Die Politik sollte Ziele vorgeben, etwa für weniger Schadstoffe oder mehr Klimaschutz, und das in einem präzisen gesetzlichen Rahmen. Aber bitte keine Technikverbote! Für manche Fehlentwicklung mögen auch Techniker und Ingenieure verantwortlich sein. Aber diese Entwicklung war auch möglich, weil die EU-Regulierungen zu große Spielräume eröffneten. Die Regulierer müssen Graubereiche vermeiden. Und wir in der Industrie sind allgemein gut beraten, mit den Grenzen der Regulierung sensibel umzugehen.

    Nächste Woche am 2. August reden Sie mit Bundesregierung und einzelnen Ländern darüber, wie die Luft in Städten sauberer werden kann. Es geht um Stickoxide, für die vor allem Dieselautos verantwortlich sind. Was bringt dieser Diesel-Gipfel?

    Wissmann : Unsere Unternehmen sind bereit, eine große Zahl von Autos mit den Schadstoffklassen Euro 5 und zum Teil auch Euro 6 mit neuester Software nachzubessern. Im Ergebnis soll das die Schadstoffe in der Luft mindestens so stark reduzieren wie Fahrverbote. Unser Ziel ist klar: bessere Luftqualität und wirksamer Klimaschutz. Mit neuer Software lässt sich der Ausstoß von Stickoxiden im Schnitt der deutschen Fahrzeugflotte um mindestens 25 Prozent senken, ohne dass das Fahrzeug mehr Kraftstoff verbraucht oder sich die Leistung verändert.

    Wer soll für die Nachrüstung zahlen?

    Wissmann : Für die deutschen Hersteller ist klar, die Kosten dürfen nicht an den Kunden hängen bleiben. Daher gehen sie hier selbst voran.

    Trotzdem wird der Ausstoß noch über den Grenzwerten liegen. Der ADAC sagt, nur eine echte technische Nachrüstung kann die Einhaltung der Werte garantieren.

    Wissmann : In den meisten Fällen sind Hardware-Nachrüstungen technisch und wirtschaftlich nicht machbar, weil die Fahrzeuge schon viele Jahre alt sind. Im digitalen Zeitalter sind auch nachhaltige Software-Updates eine Nachrüstung erster Klasse. Klar ist, dass es einen Strauß an Maßnahmen braucht, um die Luftqualität deutlich zu verbessern. Die Nachbesserung durch Hersteller ist eine. Auch Maßnahmen wie eine rasche Flottenerneuerung, die Verflüssigung des Verkehrs etwa durch Grüne Wellen oder intelligent digital gesteuerte Parkplatzsuche bringen viel. Die Fahrverbotsdebatte wirkt sich auf die Diesel-Neuzulassungen aus und verunsichert die Bürger. Sie sollte schnellstens beendet werden.

    Moment: Sind es nicht die Dieselfahrzeuge Ihrer Hersteller, die geltende Grenzwerte nicht einhalten?

    Wissmann : Die Dieselgegner werfen da gerne alles in einen Topf: Die Fahrzeuge, die freiwillig nachgerüstet werden sollen, sind gesetzeskonform. Dennoch wollen unsere Hersteller einen aktiven Beitrag zur Luftreinhaltung leisten. Auch bei der Frage der Luftqualität geraten teilweise die Verhältnismäßigkeiten aus dem Blick. Dazu ein Beispiel: An den Messstationen, auch in Stuttgart, beträgt der EU-Grenzwert für Stickoxidimmissionen im Jahresmittel 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Am Arbeitsplatz dagegen gelten in Deutschland 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Grenzwert. Da passt etwas nicht zusammen.

    Was bedeutet das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart, wonach Fahrverbote möglich sind, für die Automobilindustrie?

    Wissmann : Auch für Stuttgart gilt: Es gibt intelligentere Lösungen als Fahrverbote, um die Luftqualität in Städten zu verbessern. Wenn der Diesel-Gipfel in Berlin ein überzeugendes Konzept erarbeitet, sehe ich durchaus Chancen, dass das Bundesverwaltungsgericht als höchste Instanz zu einem anderen Ergebnis kommen könnte als Stuttgart.

    Sie haben die sinkenden Verkaufszahlen erwähnt: Wie lange wird es den Diesel noch geben?

    Wissmann : Da bin ich durchaus zuversichtlich, der moderne Diesel hat eine Zukunft. Das Thema Feinstaub ist seit Langem gelöst, jeder Diesel hat einen Partikelfilter. Auch über Stickoxide werden wir in wenigen Jahren nicht mehr diskutieren, dafür sorgen auch die neuen Straßentests. Allerdings ist das mit steigenden Kosten bei der Abgasreinigung verbunden, sodass sich der Diesel als Antriebsart bei kleineren Fahrzeugen ab einem gewissen Punkt nicht mehr wirklich lohnt. In den oberen Segmenten aber – das sind meist Autos mit einer höheren Jahreslaufleistung – wird der Diesel wegen seines CO2-Vorteils noch viele Jahre wichtig sein.

    Vor einer Woche wurde bekannt, dass Autohersteller nicht nur Abgaswerte manipuliert haben. Offenbar haben sie auch ein Kartell gebildet. Hält sich Ihre Branche an Recht und Gesetz?

    Wissmann : Auch aus diesem ernst zu nehmenden Vorwurf sollte kein vorschnelles Pauschalurteil abgeleitet werden. Dass man sich in dieser Industrie in Arbeitsgruppen trifft und über Standardisierung und Normierung spricht, kann Sinn machen. Kartellrechtliche Grenzen zu überschreiten, wäre natürlich keinesfalls in Ordnung.

    Vertrauen Sie Ihrer eigenen Branche noch?

    Wissmann : Ja. Diese Industrie ist innovationsstark wie keine andere – und ihre Produkte sind weltweit begehrt. Und ja, es gab auch mehr als problematische Entwicklungen in einigen Unternehmen, die ich mir anders gewünscht hätte. Jetzt gilt es, das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen. Daran arbeiten wir alle. Eine wichtige Wegmarke auf dieser Strecke kann der 2. August sein.http://Opinary-_Haben_Sie_Verständnis_für_Diesel-Verbote?{esc#211392259}[xhtml]