Berlin. Der Chefwechsel an der Spitze von Lidl kam überraschend. Nun strebt die Supermarkt-Kette der Schwarz-Gruppe ins Digitalgeschäft in USA.

Mehr Platz in den Filialen, Gemüse und Obst ansprechend präsentiert, Bioprodukte und Waren mit Fairtrade-Logo: Der Discounter Lidl hat sich von seinem ehemals muffigen Image verabschiedet, das Einkaufen nur billig erscheinen ließ. Doch obwohl die Geschäfte gut laufen, musste der Vorstandsvorsitzende Sven Seidel in dieser Woche das Unternehmen verlassen. Sein Nachfolger, Jesper Hojer, hat Seidels Job umgehend übernommen. Der 38-Jährige arbeitet bereits seit zehn Jahren bei dem Discounter und war zuvor im Lidl-Vorstand für den internationalen Einkauf zuständig.

Zudem soll es Berichten zufolge ein fünfköpfiges Führungsgremium geben, das strategische Entscheidungen fällt. Offiziell teilt die Schwarz-Gruppe als Grund „unterschiedliche strategische Geschäftsauffassungen“ mit. Seidel verlasse in gegenseitigem Einvernehmen das Unternehmen, heißt es. Hinter den Kulissen aber ist von Unstimmigkeiten und auch von Machtkämpfen die Rede. Klaus Gehrig, der Konzernchef der Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, soll etwa Unmut über Ausgaben für Handball-Sponsoring geäußert haben.

Digitale Einkaufswelt

Ex-Chef Seidel, Typ smarter Jungmanager, hatte erst 2014 den Posten übernommen. Der heute 43-Jährige gilt unter Experten als fortschrittlich, als einer, der die Organisation umkrempelt und das Unternehmen auf die digitale Einkaufswelt vorbereiten wollte. 2015 erwirtschaftete das Unternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Neckarsulm rund 65 Milliarden Euro. Lidl gibt mittlerweile viel Geld aus, um Waren schöner zu präsentieren und das Sortiment mit eigenen Premiummarken aufzuwerten.

Lidl-Vorstandsvorsitzender Jesper Hojer.
Lidl-Vorstandsvorsitzender Jesper Hojer. © Corbis Sport/Getty Images | Getty Images

Ein von Seidel eingeleiteter Strategiewechsel, den möglicherweise nicht alle in der Konzernspitze mittragen wollten. Handelsexperten jedoch sehen den Discounter mit dieser Vorgehensweise auf dem richtigen Weg. Denn der Lebensmitteleinzelhandel, vor allem die Billig-Supermärkte, erleben einen gewaltigen Umbruch. „Die Verbraucher orientieren ihren Einkauf immer stärker an der Qualität der Waren“, sagt Wolfgang Adlwarth, Handelsexperte bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).

„Kultur der Angst“

„Generell wird für die Verbraucher zunehmend wichtig, welche Werte ein Unternehmen verkauft“, sagt Adlwarth. Es gehe um gute Arbeitsbedingungen, um Umweltschutz, um Nachhaltigkeit. „In den vergangenen Jahren hat Lidl einen Imagewandel par excellence umgesetzt – vom Feind- und Negativbild eines Unternehmens, das seine Mitarbeiter bespitzelt und schlecht behandelt, hin zu einer Firma, die sich für Mindestlohn, Tierwohl und Fairtrade einsetzt.“

Gewerkschafter aber üben am Umgang der Chefriege mit den Mitarbeitern nach wie vor Kritik: „Wir haben in den Märkten fast keine gesetzliche Mitbestimmung durch Betriebsräte“, sagt Björn Krings von Verdi Hamburg. Er spricht von einer „Kultur der Angst“ und einem enormen Druck auf Beschäftigte, die einen Betriebsrat wählen wollen. Für Handelsexperte Martin Fassnacht ist zudem die Digitalisierung der Einkaufswelt das große Thema der Zukunft. „Wenn Amazon Fresh kommt, dann kommen auch die Discounter nicht darum herum, sich um das Online-Geschäft stärker zu kümmern“, sagt der Marketing-Professor an der Otto Beisheim School of Management.

Logistik für Online-Geschäft

Lidl plant verschiedene digitale Angebote. Teil des Konzepts mit dem Namen „Lidl Express“ sind Läden, in denen die Kundschaft online bestellte Waren abholen kann. Einen Lieferdienst soll es aber nicht geben. In Berlin soll das Konzept getestet werden. Lidl müsse künftig mehr mit der Logistik für das Online-Geschäft experimentieren, sagt David Gordon vom Analyseunternehmen Planet Retail in London.

Die großen Märkte liegen laut Gordon aber in Übersee. Zum Beispiel in den USA. Dort will auch die Schwarz-Gruppe expandieren. Die Eröffnung von Märkten in den USA läuft auf Hochtouren. Gordon sagt Lidl ein immenses Umsatzplus voraus, wenn die Digitalstrategie ausgebaut wird. „Mit über 300 Millionen Konsumenten sind die USA ein riesiger Markt, vor allem, wenn Lidl seine Preis-Leistungs-Spanne beibehält.“ Allerdings müssten Discounter künftig stärker auf die Einkaufswünsche ihrer Kunden eingehen. Und die wollen am liebsten online suchen, klicken und abwarten, bis der Bote die Einkäufe nach Hause bringt.