Karlsruhe. Das Verfassungsgericht entscheidet über Beschwerden gegen Ceta. Ein „Nein“ zum Abkommen wäre ein Horrorszenario für die Regierung.

Sigmar Gabriel und Ceta – der Wirtschaftsminister und Vizekanzler ist mit dem Freihandelsabkommen schicksalhaft verknüpft. Zunächst musste er das geplante Vertragswerk mit Kanada Mitte September auf einem Konvent parteiintern durchboxen. Ein Scheitern wäre nicht nur Ceta schlecht bekommen. Jetzt verhandeln in Karlsruhe die Bundesverfassungsrichter über die Rekordzahl von knapp 200.000 Beschwerden von Bürgern.

Und das im Eiltempo: Schon am Donnerstag um zehn Uhr soll ein Urteil gefällt werden. Gabriel trat vor dem Zweiten Senat am Mittwoch als wichtigster Verteidiger für den Vertrag auf. Und er wählte drastische Worte: Scheitere die geplante Unterzeichnung, stelle das Ceta grundsätzlich infrage. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für Europa bedeuten könnte.“ In der Welt werde dann niemand mehr Vertrauen haben in die Vertragsfähigkeit Deutschlands und der EU. Kanada wäre brüskiert.

Warum beschäftigt sich Karlsruhe mit Ceta?

Es gibt insgesamt fünf Klagen in Karlsruhe gegen das Abkommen, die mit Eilanträgen verbunden sind. Denn in Teilen soll Ceta noch vor der Zustimmung des Bundestags und der anderen EU-Parlamente in Kraft treten – die Zeit drängt also. Erst einmal geht es daher in Karlsruhe nur um die Frage, ob die Bundesregierung der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung von Ceta am 18. Oktober im EU-Ministerrat zustimmen darf. Die Kläger wollen erreichen, dass das Gericht den deutschen Vertreter auf ein Nein verpflichtet.

Was kritisieren die Ceta-Gegner?

Kritiker warnen, Ceta schwäche den Verbraucherschutz und verschaffe der Wirtschaft und Großkonzernen zu starken Einfluss. Und sie befürchten, dass die demokratische Mitbestimmung außen vor bleiben könnte. Ceta sei nicht nur geheim, sondern auch ohne Beteiligung der Parlamente verhandelt worden, so drückte es Roman Huber vom Verein „Mehr Demokratie“ vor Gericht aus.

„Parlamente gestalten nicht mehr, sie dürfen am Ende nur noch Ja sagen“, bemängelt er. Die Gegner befürchten außerdem, dass soziale und ökologische Standards abgesenkt werden. Auch seien die Verbraucher dagegen: In der Bevölkerung sei die Ablehnung von Ceta laut Umfragen inzwischen doppelt so hoch wie die Zustimmung, führen sie an.

Was sind die Argumente der Befürworter?

„Der Handel bekommt Regeln – die Frage ist welche“, so sieht Gabriel die Dinge. Mit Ceta versuche die EU, europäische Standards zu sichern. Für den Ökonom und Leiter des ifo Zentrums für Außenhandel, Gabriel Felbermayr, ist die Übereinkunft immens wichtig für die deutsche Wirtschaft. „Es ist ein modernes Abkommen, das das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,19 Prozent steigen lassen könnte. Das sind etwa 70 Euro, die der Durchschnittsbürger jedes Jahr mehr in der Tasche haben würde“, sagte er unserer Redaktion.

Sollte das Abkommen an innereuropäischen Kompetenzstreitigkeiten oder am Populismus einiger weniger Regierungen oder Parlamente scheitern, „würde dies die Außenhandelspolitik der EU auf Jahre kompromittieren“. Auch der Chef des DIW Berlin, Marcel Fratzscher, spricht von einem positiven Effekt.

„Durch die relativ geringe Größe Kanadas wird das Abkommen sicherlich nicht der große Wurf für die europäische Wirtschaft werden. Aber durch Ceta werden deutsche Unternehmen nicht nur leichter Zugang zum kanadischen Markt, sondern zum gesamten nordamerikanischen Markt, auch den USA, bekommen“, sagte er unserer Redaktion.

Kommt es zum Showdown?

Bereits am kommenden Dienstag sollen Gabriel und seine EU-Kollegen dem Abkommen ihre förmliche Zustimmung erteilen. Besiegelt werden soll es auf dem EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober in Brüssel. Wenn das Europäische Parlament dann Ende des Jahres seinen Segen erteilt, ist ein Großteil der Regelungen gültig. Entscheiden die deutschen Verfassungsrichter, dass die Bundesregierung nicht unterzeichnen darf, müsste die Feier abgesagt werden. Ein Horrorszenario für die Regierung.