Deutschland müsste seine Bürger besser vor Firmen schützen, die Regeln verletzen. Die USA könnten dafür Vorbild sein. Ein Kommentar.

An einem kalten Dienstag im Februar statteten einige Aktivisten dem Bundesverkehrsministerium einen heiklen Besuch ab. Was sie zu erzählen hatten, klang wie aus einem Krimi: Viele Autohersteller, behaupteten sie, würden Geräte in ihre Fahrzeuge einbauen, die den Messzyklus bei Abgastests erkennen können. Bei leicht geändertem Prüfzyklus oder veränderter Außentemperatur oder außerhalb des Rollenprüfstands würden die Stickoxid-Emissionen explodieren. Die Fahrzeuge würden die gesetzlich erlaubten Werte im realen Fahrbetrieb bis zum 30-Fachen überschreiten. Das sei rechtswidrig. Das Ministerium müsse handeln, sagten die Aktivisten und das Ministerium erklärte, das Problem zu kennen.

Das war vor mehr als fünf Jahren, am 10. Februar 2011. Es gibt ein Protokoll. Im Verkehrsministerium hielt man die Gesprächspartner wohl für Ökospinner. Verrückte Luftreinhaltungsfanatiker oder Störenfriede. Dabei war einer unter ihnen, der sehr genau wusste, wovon er sprach: Axel Friedrich ist Chemiker und Umweltexperte. Er war Abteilungsleiter im deutschen Umweltbundesamt und ist Mitglied des International Council on Clean Transportation: der Organisation, die den VW-Abgas-Skandal aufdeckte. Zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe wiesen die Wissenschaftler immer wieder auf die Tricks der Autohersteller bei den Abgasmessungen hin – und wurden von der Politik Jahr um Jahr ignoriert.

Warum bekommen US-Kunden Entschädigung, deutsche Kunden aber nichts?

Jetzt müssen alle eingestehen, dass die Umweltaktivisten recht hatten. Was Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) aus dem Untersuchungsbericht zur Diesel-Affäre der Öffentlichkeit mitteilte, bestätigt exakt die Vorwürfe von damals: Fast alle Autobauer tricksen mit Abschalteinrichtungen. Ob sie nun den Zyklus per Software erkennen oder bei niedrigen Temperaturen den Ausstoß verändern, ist nur technisch ein Unterschied. Die Intention ist gleichermaßen verwerflich: Es geht um eine Umgehung der Grenzwerte, zu Lasten der Gesundheit der Menschen.

Je mehr die Diesel-Affäre die Branche erfasst, desto interessanter wird ein vergleichender Blick auf die Bewältigungspolitik der verschiedenen Länder. Dabei zeigt sich Erhellendes zum Verhältnis des jeweiligen Staates zu seinen Bürgern und ihren Rechten: In den USA hat sich der Staat in Gestalt seiner Umweltbehörden Epa und Carb mit Macht vor seine Bürger gestellt. So groß war das Drohpotenzial, so unabsehbar die finanziellen und juristischen Folgen, dass der Weltkonzern Volkswagen auf die Knie fiel und um Gnade bat. Wohlgemerkt derselbe Konzern, der noch wenige Monate vorher geglaubt hatte, die US-Behörden ein zweites Mal an der Nase herumführen zu können, nachdem der Betrug bereits aufgeflogen war. Den US-Kunden werden bald satte Entschädigungen gezahlt – und was bekommen deutsche Kunden? Die Antwort lautet: nichts. Und wenn wie jetzt herauskommt, die ganze Branche mit Abschalteinrichtungen betrügt, spricht Verkehrsminister Dobrindt immer noch von freiwilligen Maßnahmen, die von der Industrie umgesetzt werden. Er hört sich dann an wie der oberste Sprecher der Auto-AG Deutschland – und weniger wie ein Volksvertreter.

Als der Verkehrsminister gefragt wurde, ob er überrascht sei vom Ausmaß der Affäre, schwieg er zunächst ein paar Sekunden. Dann sprach Alexander Dobrindt viel über seinen Maßnahmenplan und über das Kraftfahrtbundesamt. Ob er überrascht war, sagte er nicht. Dabei war die Frage doch ganz einfach. Und die Antwort wäre es auch: Natürlich war der Minister nicht überrascht, weil ihm das Problem schon lange bekannt gewesen sein muss. Seinem Haus und dem Kraftfahrtbundesamt müsste deshalb die Hoheit über die Kontrolle der Umweltnormen entzogen werden. Die Prüfung gehört in den Bereich des Umweltministeriums und des Umweltbundesamtes. Damit deutsche Bürger bald ähnlichen Schutz genießen wie US-Bürger. Und keine drittklassige Aufsicht.