Berlin. Sigmar Gabriel erlaubt dem Lebensmittelhändler Edeka, Kaiser’s Tengelmann zu übernehmen. Die Auflagen haben es allerdings in sich.

Ganz zum Schluss, als er schon fast aus der Tür ist, blickt Sigmar Gabriel noch einmal in den Konferenzraum und lächelt, kurz und spitzbübisch, als wolle er sagen: Ihr dachtet, ich lasse mich vom Handel einwickeln, aber ich kann auch anders. Dann ist er raus. Knapp 15 Minuten hat der Bundeswirtschaftsminister zuvor erklärt, warum er dem Lebensmitteleinzelhändler Edeka aus Hamburg gestatten will, den Konkurrenten Kaiser’s Tengelmann aus Mülheim/Ruhr zu übernehmen – unter Auflagen. Und die haben es in sich.

Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub will die 451 Kaiser’s-Tengelmann-Filialen mit 16.000 Beschäftigten an den deutschen Marktführer Edeka (15.000 Märkte) verkaufen. Kaiser’s verliert seit 15 Jahren Geld, insgesamt 530 Millionen Euro. Haub, zu dessen Konzern auch die Baumarktkette Obi und der Textildiscounter Kik gehören, will das Defizit nicht mehr länger ausgleichen. Mit Edeka-Chef Markus Mosa hat Haub deshalb im Oktober 2014 einen Kaufvertrag abgeschlossen.

Ausnehmegenehmigung bisher nur acht Mal erteilt

Das Bundeskartellamt untersagte das Geschäft, weil dadurch Edekas Marktmacht vor allem in Nordrhein-Westfalen, Berlin und München noch größer würde. Die Monopolkommission, ein Beratergremium des Bundeswirtschaftsministeriums, lehnte ab. Auch die Gewerkschaft Verdi hielt nichts von den Plänen – sie fürchtete Stellenabbau und Machtverlust. Mosa und Haub beantragten umgehend eine Ministererlaubnis bei Gabriel.

Der hat, wie er am Dienstag noch einmal sagt, genau geprüft. Er genehmige das Geschäft, weil ein Gemeinwohlgrund schwerer wiegen könne als wettbewerbliche Gründe. In diesem Fall gehe es darum, 16.000 Arbeitsplätze zu erhalten. Gabriel wirkt, als habe er es sich nicht einfach gemacht mit der Ausnahmegenehmigung, die in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nur acht Mal erteilt wurde. Und er betont, dass er nicht die Arbeit des Bundeskartellamts bewerte.

Großer Eingriff in die unternehmerische Freiheit

Und dann kommen die Auflagen, zusammengenommen ein großer Eingriff in die unternehmerische Freiheit und ein Zeichen dafür, dass Gabriel den Vorschlägen von Tengelmann und Edeka zum Umgang mit den Mitarbeitern und zur Sicherung der Arbeitsplätze nicht recht traut. Gabriel fordert, dass 97 Prozent der 16.000 Beschäftigten von Kaiser’s-Tengelmann weiterbeschäftigt werden. Edeka soll mit der Gewerkschaft Verdi tarifvertraglich regeln, dass fünf Jahre lang nur in Ausnahmefällen Filialen an selbstständige Einzelhändler abgegeben werden. Tariflich sichergestellt werden soll auch, dass nach der Übergabe einer Filiale an einen Einzelhändler niemand betriebsbedingt gekündigt werden darf.

Für alle Filialen verlangt Gabriel zudem rechtssichere Tarifverträge, die mindestens die bestehenden Betriebsvereinbarungen sichern. Die drei Tengelmann-Fleischwerke sollen nicht geschlossen werden. Gabriel fordert vielmehr Investitionen, um sie binnen drei Jahren fit für einen Verkauf zu machen. Und Tarifverträge. Und bei allem gelte, da ist der Minister besonders deutlich: Keine Ministererlaubnis, bis nicht alles erfüllt ist.

Edeka hat keine Probleme mit den Auflagen

Es gehe hier um niedrige Bruttolöhne zwischen 1300 und 2000 Euro, sagte Gabriel. „Die sind auch tariflich schon sehr niedrig.“ Er fühle sich den hart arbeitenden Beschäftigten verpflichtet. „Für sie soll so lange wie möglich gelten, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz haben.“ Die Unternehmen haben jetzt zwei Wochen Zeit, sich zu äußern.

Die Edeka-Zentrale, die sich vor allem als Einkaufszentrale für selbstständige Kaufleute sieht und letztere für deutlich erfolgreicher hält als zentral gesteuerte Filialnetze, sieht in den Auflagen etwas überraschend keine Probleme, auch wenn sie das Geschäft verteuern. „Im Interesse aller Beteiligten werden wir die Bedingungen so schnell wie möglich und mit der gebotenen Sorgfalt angehen, damit einer Übertragung an Edeka nichts mehr im Wege steht.“

Verdi, früher Gegner der Übernahme, ist jetzt dafür

Und auch Verdi begrüßt die Entscheidung Gabriels. Ursprünglich hielt die Gewerkschaft nicht viel von der Übernahme, fürchtete sie doch schlechtere Arbeitsbedingungen und niedrigere Löhne für jene Beschäftigten, deren Filialen an selbstständige Kaufleute ausgegliedert werden sollten. Für die Gewerkschaft hätte das auch weniger Einfluss bedeutet. Mit Gabriels Auflagen sieht das jetzt anders aus. „Wir werden uns dafür einsetzen, gute Beschäftigungsverhältnisse auch über fünf Jahre hinaus zu sichern“, sagt Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger.

Berlins Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) sagt: „Ich habe mich schon vor Monaten für die Ministererlaubnis ausgesprochen und begrüße die Entscheidung. Für die Beschäftigten wünsche ich mir nun schnellstens Planungssicherheit.“ Berlin ist für Kaiser’s Tengelmann ein wichtiger Standort: 114 der 451 Filialen befinden sich hier, sechs weitere gibt es im Umland. 5800 Beschäftigte hat das Unternehmen in der Region. Und die Filialen verdienen zum großen Teil Geld, anders als jene in Nordrhein-Westfalen.

Grüne, Union und Monopolkommission warnen

Wenig von Gabriels Entscheidung hält dagegen die Bundestagsfraktion der Grünen. Kerstin Andreae, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, spricht von „monatelangem Hinterzimmergekungel“. Danach ignoriert der Bundeswirtschaftsminister die langfristigen Konsequenzen der Fusion durch mehr Marktmacht für Edeka, was wiederum Arbeitsplätze bei der Konkurrenz bedroht. So sieht es auch Ralph Brinkhaus, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag – und die Monopolkommission.

In einem wesentlichen Punkt arbeiten Edeka und Kaiser’s Tengelmann übrigens bereits seit ein paar Monaten zusammen: Obst, Gemüse und Tiefkühlkost liefert bereits der Edeka-Einkaufsverbund an Kaiser’s – zu günstigeren Konditionen als Tengelmann sie aushandeln konnte.