Berlin. Eine Berliner Senatorin will die Kosten für den Ausbau des Stromnetzes gerechter verteilen. Einige Bundesländer sind im Nachteil.

Milliardenkosten, die immer ungerechter verteilt sind: Das deutsche Stromnetz wird durch die Energiewende stark belastet und muss teuer in Schuss gehalten und ausgebaut werden – doch die Verbraucher zahlen unterschiedlich viel dafür, je nachdem, wo sie wohnen. Nun ist ein heftiger Streit um die Kostenverteilung entbrannt. Insbesondere Berlin und die ostdeutschen Bundesländer fühlen sich benachteiligt und wollen, dass alle deutschen Haushalte und Betriebe gleich viel zahlen. Im Fokus steht das sogenannte Übertragungsnetz: Das sind die großen Stromleitungen, die unter 220 oder 380 Kilovolt Spannung stehen und sich, meist gut sichtbar auf großen Masten rund 35.000 Kilometer durch das Land ziehen.

Der Betrieb und Ausbau dieser Anlagen wird immer kostspieliger: 2014 wurden dafür rund 3,2 Milliarden Euro ausgegeben, laut einer Studie der Technischen Universität Dresden sind es 2024 6,4 Milliarden Euro und womöglich noch mehr, wenn, wie von der Bundesregierung vorgesehen, wegen Bürgerprotesten mehr teure Erdkabel statt Freileitungen gebaut werden.

Der Strompreis setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Sowohl die Umsatzsteuer als auch Netzentgelte spielen eine Rolle.
Der Strompreis setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Sowohl die Umsatzsteuer als auch Netzentgelte spielen eine Rolle. © BM | cs

Strompreis richtet sich danach, in welchem Übertragungsnetzgebiet der Bürger lebt

Haushalte und Unternehmen müssen schon jetzt sehr unterschiedliche Preise bezahlen, je nachdem in welchem der vier Übertragungsnetze in Deutschland sie ihren Strom beziehen. Während bei Amprion im Westen Deutschlands 2016 im Schnitt 1,39 Cent pro Kilowattstunde fällig werden, sind es bei 50Hertz, dem Betreiber des Höchstspannungsnetzes in Ostdeutschland, Berlin und Hamburg 2,66 Cent, also fast doppelt soviel.

Bei einem größeren privaten Haushalt mit 5000 Kilowattstunden Verbrauch macht das mehr als 60 Euro zusätzliche Kosten pro Jahr aus. In den verbleibenden zwei Zonen liegen die Kosten in der Mitte, bei rund zwei Cent pro Kilowattstunde. In den nächsten Jahren wird die Schere aller Voraussicht nach weiter auseinandergehen.

Der Grund für die hohen Preise in Ostdeutschland ist, dass es teuer und schwierig ist, die stark schwankenden erneuerbaren Energien, vor allem die Windkraft, ins Netz zu integrieren. Dort liegt der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt.

Berlin und ostdeutsche Bundesländer sehen sich benachteiligt

Doch die Netze können den Grünstrom oft nicht mehr abtransportieren. Zum Beispiel müssen von 50Hertz bei starkem Wind und entsprechend hoher Produktion der Windkraftwerke häufig Kohlekraftwerke in Ostdeutschland abgeschaltet werden und dafür woanders in Gang gesetzt werden. Das ist teuer. Mindestens 500 Millionen Euro kostet dieses Redis­patch in Deutschland 2015, schätzt 50Hertz. Die Hälfte dieser Kosten fällt im ostdeutschen Netz an.

Das wollen die ostdeutschen Bundesländer und Berlin schon lange nicht mehr hinnehmen. Sie machen sich vor allem Sorgen um die Konkurrenzfähigkeit ihrer Betriebe. Die Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer sagt: „Es kann nicht sein, dass Regionen wie Berlin, die maßgeblich die Ausbauziele Deutschlands bei den Erneuerbaren Energien unterstützen, benachteiligt werden. Hier muss es eine faire Lastenverteilung geben.“ Und Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Hartmut Möllring beklagt: „Ostdeutschland darf nicht länger Zahlmeister der Energiewende sein.“ Auch die bayerische Landesregierung teilte auf Anfrage mit, die Reform unterstützen zu wollen.

50Hertz fordert Gleichstellung aller Bundesländer

50Hertz hat nun mit der TU Dresden eine Studie vorgestellt, die detailliert zeigt, was passieren würde, wenn die Übertragungsnetzentgelte überall in Deutschland gleich hoch wären. Ein größerer Industriebetrieb in den ostdeutschen Ländern und in Berlin würde sich pro Jahr gut 50.000 Euro an Stromkosten sparen. Im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen wären es dagegen rund 30.000 Euro mehr, sie befinden sich im günstigen Amprion-Netzgebiet.

Auch bei den privaten Haushalten käme eine solche Reform an. Bei 3.500 Kilowattstunden Verbrauch pro Jahr (typische vierköpfige Familie in Wohnung) würde die Stromrechnung in Ostdeutschland um 7,75 Euro pro Jahr sinken, im Westen dagegen um maximal 4,62 steigen. Die Netzentgelte, auch einschließlich der Verteilnetze mit niedriger Spannung, schlagen immer stärker auf die Stromrechnungen der Deutschen durch. Laut dem Vergleichsportal Verivox steigen sie dieses Jahr im Schnitt um 3,9 Prozent, in manchen Gebieten sogar zweistellig, 10 Euro mehr pro Jahr muss ab 2016 eine Familie in etwa mehr zahlen. In Berlin ist der Anstieg trotz der höheren Übertragungsnetzentgelte deutlich kleiner.

Bundesregierung will im November über Strommarktreform entscheiden

Schon im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2013 ist aufgrund des Drucks der Ostländer verankert, dass die Netzentgelte gerechter verteilt werden sollen. Und im Sommer sah es auch so aus, als ob die Bundesregierung handelt. Im Weißbuch des Wirtschaftsministeriums zum Strommarkt, das für diese Legislaturperiode alle Reformen zusammenfasst, wurde fest eingeplant, dass die Übertragungsnetzentgelte vereinheitlicht werden sollen.

Doch im aktuellen Gesetzesentwurf zur Reform des Stromsektors, das Anfang kommenden Jahres in Kraft treten soll, fehlt das Vorhaben. Lediglich bei den Verteilnetzen, also den kleinmaschigeren Stromleitungen, soll es etwas mehr Gerechtigkeit geben.

Grünstromanlagen, die ab 2021 gebaut werden, sollen keine Prämie vom örtlichen Netzbetreiber mehr erhalten, die dafür von den bundesweiten Zahlungen im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes abgezogen werden. Auf Anfrage der Funke Mediengruppe sagte ein Ministeriumssprecherin, sie könne nicht beantworten, wann das versprochene Reformvorhaben angegangen werde. Es ist indes unwahrscheinlich, dass vor der nächsten Bundestagswahl 2017 noch einmal die Energiewirtschaftsgesetzgebung angefasst wird.

In Ostdeutschland steigt deshalb die Furcht, dass die Reform nicht mehr umgesetzt wird. Schon November entscheidet Angela Merkels Kabinett über die Strommarktreform, danach sind Bundestags- und Bundesrat an der Reihe, die noch auf eine Umsetzung drängen könnten. „Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber es sieht nicht gut aus“, sagt eine hochrangige Quelle aus einem der ostdeutschen Länder.