Die Commerzbank sagt 2,5 Prozent Wachstum voraus. Unternehmen in Hamburg spüren den Aufschwung und suchen wieder Mitarbeiter.

Hamburg. Mit den Temperaturen steigt die Zuversicht in der deutschen Wirtschaft . Nach monatelanger Kurzarbeit und dem Abbau von Überstunden müssen die Beschäftigten jetzt wieder ran. Für frühen Feierabend und Sonnenbad bleibt trotz Hitzerekords kaum Zeit. "Ein Sommerloch wird es in diesem Jahr in der Grundstoffindustrie und der chemischen Industrie nicht geben", sagt Hans-Theodor Kutsch, Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg, dem Abendblatt. "In vielen Unternehmen läuft es so gut, dass die Betriebe schon Versorgungsengpässe bei den Grundstoffen spüren." Auch andere Branchen in der Hansestadt wie die Konsumgüterindustrie und die Hersteller von Lebensmitteln spürten den Aufschwung. "Selbst der arg gebeutelte Maschinenbau erholt sich maßgeblich", so Industriechef Kutsch.

Inzwischen haben einige Wirtschaftsforschungsinstitute den Aufschwung in Zahlen gefasst und ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum erhöht. Nachdem sie für dieses Jahr nur eine moderate Erholung erwartet hatten, wächst jetzt die Zuversicht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert ein Wachstum von 1,9 Prozent und damit 0,2 Punkte mehr als bisher. Noch optimistischer ist das Ifo-Institut, das von einem Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent ausgeht. Die zuversichtlichste Prognose kommt von der Commerzbank. "Wir erwarten für 2010 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,5 Prozent", sagt Ralph Solveen von dem Geldinstitut. "Damit findet Deutschland besser aus der Krise als der übrige Euro-Raum, der in diesem Jahr nur um 0,8 Prozent wachsen dürfte."

Auch die Bundesregierung stimmt mittlerweile in den Chor der Optimisten ein. Sie geht in einer internen Prognose, die dem "Spiegel" vorliegt, von einem Wachstum im zweiten Quartal von über 1,5 Prozent aus. Bisher habe sie für die Monate April bis Juni nur mit einem Plus von 0,9 Prozent gerechnet. Wenn dieser Trend anhalte, werde die Wachstumsrate laut Regierungsschätzung in diesem Jahr deutlich über zwei Prozent liegen. Spätestens 2012 dürfte das Bruttoinlandsprodukt wieder das Niveau von vor der Rezession erreichen. Der schwerste Einbruch in der Geschichte der Bundesrepublik wird im Schnelldurchlauf aufgeholt. Das merken auch Unternehmen wie die Hamburger Kupferhütte Aurubis. "Derzeit liegen die Auftragseingänge auf hohem Niveau und bei über 80 Prozent des Rekordjahres 2008", sagt Aurubis-Sprecherin Michaela Hessling.

Ihre schnelle Erholung verdankt die deutsche Wirtschaft in erster Linie dem Export. Im Mai exportierten die deutschen Firmen schon wieder rund ein Drittel mehr als im Vorjahresmonat. Die Ökonomen der Commerzbank rechnen für 2010 mit einem Ausfuhrplus von 9,1 Prozent. Dieses Niveau soll auch noch im Folgejahr gehalten werden. "Besonders die Nachfrage aus Asien und Lateinamerika zieht spürbar an und kann die schwache Nachfrage aus dem Euro-Raum mehr als ausgleichen", sagt Solveen. Denn die Warenexporte nach Asien liegen schon seit Ende 2009 über dem Wert, den sie vor der Krise hatten. "Zudem sorgt auch der vergleichsweise schwache Euro dafür, dass viele Produktionsanlagen wieder gut ausgelastet sind", sagt Kutsch.

INTERVIEW MIT SIGMAR GABRIEL

Anders als Spanien, Irland oder Großbritannien leidet Deutschland nicht unter den Folgen eines Immobilienbooms, der viele Hausbesitzer an ihre finanziellen Grenzen gebracht hat. Sie müssen sich jetzt beim Konsum bescheiden, um ihre Schulden zu finanzieren. "Zusätzlich schränken rigide Sparprogramme in Griechenland, Spanien und Großbritannien das Wirtschaftswachstum dort stark ein", sagt Jörg Hinze vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Einen zusätzlichen Schub bringt der Minileitzins der Europäischen Zentralbank (EZB), der für Deutschland - gemessen an seiner wirtschaftlichen Erholung - mit einem Prozent zu niedrig ausfällt. Die vielfach befürchtete Kreditklemme ist ausgeblieben. Niedrige Zinsen und die anhaltende Auslastung der Kapazitäten ermuntern die Unternehmen, ihre Ausrüstungsinvestitionen zu erhöhen. "Wir rechnen damit, dass sie in den nächsten Quartalen noch stärker zunehmen werden", sagt Experte Solveen.

Neue Maschinen und Anlagen brauchen Platz. Während in Hamburg jedes zehnte Büro leer steht, wächst der Bedarf nach Industrieflächen. Im ersten Halbjahr wurden in Hamburg 260 000 Quadratmeter Industriefläche durch die Makler vermarktet. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ist das ein Zuwachs von acht Prozent. "Da die Nachfrage kontinuierlich steigt, erwarten wir auch anziehende Preise", sagt Erik Peuschel von Engel & Völkers Commercial Hamburg.

Dickere Auftragsbücher helfen dem Arbeitsmarkt auf die Sprünge, dem dank Kurzarbeit Horrorzahlen von fünf Millionen erspart blieben. Im Juni sank die Zahl der Arbeitslosen auf 3,23 Millionen. Schon im Herbst soll die Marke von drei Millionen unterschritten werden. "In allen Branchen werden wieder Arbeitskräfte eingestellt", sagt Kutsch. Auch bei Aurubis. Bei der Wiederbesetzung frei gewordener Stellen sieht das Unternehmen jetzt einen Nachholbedarf, nachdem es zunächst eher zurückhaltend war. "Auch die Zahl der Leiharbeiter hat sich wieder deutlich erhöht", sagt Unternehmenssprecherin Hessling. "Die Zahl der Arbeitslosen hat sich seit Jahresbeginn fortlaufend verringert", sagt Rolf Steil, Chef der Arbeitsagentur Hamburg. "Damit ist die bestehende Beschäftigung in Hamburg sicherer geworden. Gegenwärtig sind 73 600 Hamburger arbeitslos. Das sind rund 10 000 weniger als noch im Januar.

WARUM DEUTSCHLAND WIEDER STARK IST

Nicht alle Experten stimmen in den Tenor der Optimisten ein. Die Hamburger Ökonomen des HWWI lassen ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr unverändert bei vergleichsweise mageren 1,5 Prozent. "Wir rechnen nicht damit, dass es so weitergeht wie bisher", sagt Jörg Hinze vom HWWI. "Es droht zwar keine neue Rezession, aber die Sparprogramme in vielen europäischen Ländern werden für die Exportnation Deutschland nicht ohne Folgen bleiben." Außerdem liefen viele Konjunkturprogramme aus.

Doch auch diese Impulsgeber für die Wirtschaft können länger wirken als gedacht. Denn von den insgesamt 14 Milliarden Euro für Bildungs-, Infrastruktur- und Sanierungsmaßnahmen sind erst gut drei Milliarden Euro ausgezahlt worden. Das meiste Geld wird also noch ausgegeben und dürfte den Aufschwung zusätzlich anheizen.