Innung startet mit rund 30 Betrieben große Marketingkampagne. Billiganbieter machen den traditionsreichen Handwerkern das Leben schwer.

Hamburg. Um kurz vor drei Uhr morgens ist für Jan-Henning Körner die Nacht zu Ende. Er springt aus dem Bett, zieht T-Shirt und seine schwarz-weiße Pepitahose an, trinkt noch einen Kaffee, und schon geht es an die Arbeit. Eine Etage unter seiner Wohnung liegt nicht nur einer seiner fünf Hamburger Läden, sondern auch seine Backstube. Hier knetet, formt und backt der 54-Jährige seit nunmehr drei Jahrzehnten täglich frische Brötchen, Brote und Kuchen für seine Kunden. Zusammen mit fünf Gesellen und einem Lehrling. Seine Ehefrau Angela, 52, folgt ihm wenige Stunden später, steht hinter der Ladentheke und verkauft die Leckereien. Der schlanke, hochgewachsene Mann stammt aus einer traditionsreichen Hamburger Bäckerfamilie. Sein Urgroßvater gründete den ersten Laden 1902 in Blankenese. Seine Eltern eröffneten ihren Betrieb 1959 auf Finkenwerder, den er inzwischen übernommen hat. Und seine 19-jährige Tochter Maria befindet sich bereits in den Startlöchern, lernt das Handwerk von der Pike auf, um ihren Papa vielleicht in einem guten Jahrzehnt abzulösen.

Körner gehört zu den Standhaften in dem Handwerk – und ist damit schon fast ein Exot. Viele seiner Kollegen mussten in den vergangenen Jahren aufgeben. Weil sie keine Nachfolger für ihre Geschäfte fanden. Oder ihnen die Konkurrenz von Backshops sowie Supermärkten und Discounter mit eigenen Backecken das Überleben unmöglich machten. „Bundesweit schließt täglich mindestens eine Bäckerei. Jedes Jahr gehen uns damit rund 500 Betriebe verloren“, berichtet Heinz Essel, Geschäftsführer der Bäckerinnung Hamburg. Im Jahr 2013 gab es hierzulande noch etwa 13.100 Betriebe und damit 3,6 Prozent weniger als im Vorjahr.

Und dies, obwohl der Branchenumsatz sogar minimal auf 13,18 Milliarden Euro stieg. „In Hamburg haben wir noch rund 30 Bäcker, die unserer Innung angehören. 2002 waren es noch gut doppelt so viele“, sagt Essel. Auch die Zahl der Filialen sank in den vergangenen zehn Jahren in der Hansestadt von 460 auf nunmehr nur noch 270 Filialen. Größter Filialist darunter ist Dat Backhus mit 125 Läden.

Insgesamt nimmt die Innung einen sechsstelligen Betrag in die Hand

Dem steten Rückgang wollen die Hamburger Innungsbäcker nun mit einer großen Marketingkampagne entgegenwirken und ihre Branche stärken. Unter dem Motto „Brot aus Hamburg“ werden sie vom 20. September an auf die Vielfalt und Regionalität ihrer Handwerkskunst aufmerksam machen. Einen sechstelligen Betrag ist der Innung die Offensive wert. „Wir wollen ein sichtbares Zeichen setzen, dass es uns gibt.“ Kunden, die im Laufe der zweimonatigen Aktion zehn Brote bei einer oder verschiedenen Hamburger Innungsbäckereien einkaufen, erhalten als Dankeschön ein Frühstücksbrett aus Holz. Der große Unterschied zwischen Innungsbäckereien und Backshops der Discounter, die vornehmlich vorgefertigte Industrieteiglinge aufbacken, liegt vor allem in der Individualität und Vielfalt des Angebots. „Und dass unsere Brote und Brötchen tatsächlich per Hand geformt werden“, sagt der Finkenwerder Bäcker. Das Brot verweile mindestens eine Stunde wohltemperiert im Backofen, bis die Kruste schön kross sei. „In meinen Läden bekommen sie Brote und Brötchen, die sie in dieser Rezeptur in keinem anderen Laden in Deutschland erhalten. Und so arbeiten alle Bäcker aus unserer Innung“, sagt Körner, der zugleich Obermeister der Hamburger Bäckerinnung ist. „Alle unsere Rezepte sind von uns selbst entwickelt. Zudem verwenden wir vor allem Zutaten aus der Region.“ So bezieht Körner das Mehl von Bauern aus Niedersachsen, das Obst für die Kuchen aus dem Alten Land oder die Wurst für die Brötchen vom benachbarten Metzger.

Allein Körner bietet gut zwei Dutzend verschiedene Brotsorten und ebenso viele Brötchenvariationen an. Dazu zählt sein Bestseller „1959“ – ein Roggenmischbrot, das schon seine Eltern kreierten. „Es ist kräftig, knusprig, hat eine milde Säure und schmeckt unseren Kunden besonders gut.“ Die Zahl des Namens steht für das Gründungsjahr der Bäckerei Körner. Einmal im Monat backt er zudem einen Tag lang ausschließlich glutenfreies Brot. Dieses enthält keinen Krümel Getreidemehl, sondern besteht aus Reis-, Mais- und Kastanienmehl und ist damit auch für an Zöliakie Erkrankte genießbar. Hinzu kommen Brote aus Sauerteig, Mehrkorn und Vollkorn. Für seine französischen Baguettes und Landbrote importiert Körner eigens Mehl aus einer Mühle in Frankreich.

Traditionell gilt Brot in Deutschland als Kulturgut. Im deutschen Brotregister sind alleine 3400 Rezepte registriert. Alle Brote unterscheiden sich in den Zutaten, der Herstellungsweise – und natürlich im Geschmack. Typisch sind die regionalen Eigenarten, auch bei Brötchen. So ist in Hamburg ein Bäcker ohne Franzbrötchen kaum denkbar, in Baden-Württemberg dürfen wiederum die Laugenbrötchen nicht fehlen. „Diese Vielfalt sollten wir uns erhalten. Wir müssen verhindern, dass wir alle dasselbe essen – wie in den USA“, meint der Innungsgeschäftsführer Essel. Entsprechend seien die individuellen Bäcker so wichtig, die noch eine breite Vielfalt anbieten, während sich die konkurrierenden Discounter und Supermärkte oft auf gerade mal ein halbes Dutzend Sorten beschränkten. Für Hamburg ist zumindest der Obermeister der Innung durchaus zuversichtlich, „dass der Schrumpfungsprozess langsam abgeschlossen ist“, sagt Körner: „Die meisten Betriebe in unserer Innung haben ihre Nachfolge geklärt.“

Nichtsdestotrotz wird der Wandel in dem Gewerbe weiter voranschreiten. Die Konkurrenz aus dem Einzelhandel ist nicht mehr wegzudenken. Immer mehr Discounter und Supermärkte richten Backstuben in ihren Filialen ein. Dabei werden oft vorgebackene Teigrohlinge, die von Industriebäckereien in Deutschland, Polen oder Tschechien geliefert werden, in einen Ofen geschoben und vor den Augen der Kunden fertig gebacken. „Die Discounter weiten seit Jahren ihre Produktpalette aus – und dazu gehört auch das Backgeschäft“, sagt Ute Holtmann, Sprecherin des Kölner Einzelhandelsinstituts EHI Retail Institute.

So habe Aldi Süd seit dem Jahr 2000 seine Artikelzahl auf 1600 verdoppelt, Lidl die Vielfalt von 1400 auf 2200 Artikel erhöht. Das Angebot erweitere nicht nur die Produktpalette und den Service für die Kunden. „Der angenehme Backgeruch in den Filialen unterstreicht auch das Frischekonzept der Discounter, die im Gegensatz zu den Anfängen längst auch frisches Obst, Gemüse und Fleisch verkaufen.“ Der Verband Deutscher Großbäckereien schätzt, dass heute nur noch 20 Prozent aller Backwaren in den traditionellen Innungsbäckereien verkauft werden, sagt Hauptgeschäftsführer Armin Juncker. Etwa 55 Prozent aller Brote gingen verpackt im Lebensmittelhandel über die Ladentheke, den Rest kaufen Kunden unverpackt in Backshops und großen Filialbetrieben.

Eine Herausforderung bleibt auch der Verkaufspreis. „Das alles setzt unsere Bäcker unter Druck. Bei Brötchenpreisen von 13 Cent kann kein Innungsbäcker mithalten“, sagt der Geschäftsführer der Hamburger Bäckerinnung. Bei Körner ist das günstigste Brötchen – ein Rundstück – für 33 Cent zu haben. Kornvarianten kosten bis zu einem Euro. Hier müssen die Bäcker mit Qualität, guten Rezepten und Geschmack punkten. „Aber auch mit neuen Geschäftsfeldern“, meint Körner. So bieten viele Bäckereien in Hamburg Frühstücke, Mittagssnacks oder belegte Brötchen an. „Wir machen mit diesem Außer-Haus-Geschäft bereits ein Viertel unseres Umsatzes.“ Und auch in Zukunft zeigt sich Körner für neue Ideen offen: „Ich liebe mein Handwerk und die Freiheit, immer neue Rezepte zu entwickeln.“