HanseMerkur-Chef wechselt in den Aufsichtsrat. Zahl der Jobs beim Versicherer in Hamburg gegen den Trend gestiegen

Hamburg. Seit 23 Jahren arbeitet er auf Vorstandsebene für Hamburger Versicherungsunternehmen, doch als geborener Manager fühlt sich Fritz Horst Melsheimer nicht: „Von der Persönlichkeitsstruktur her bin ich ein Unternehmer.“ Genau das wird er auch sein, wenn er Ende Juni nach zwölf Jahren den Sessel des HanseMerkur-Chefs räumt. Dabei habe ihm die Rechtsform der HanseMerkur, die ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist, außerordentlich gut gelegen, sagt Melsheimer: „Man hat hier als Vorstandsvorsitzender sehr viel Gestaltungsspielraum, aber auch mehr Verantwortung als in einer Aktiengesellschaft. Für einen Menschen, der gern unternehmerisch handelt, ist das ein traumhaftes Arbeitsumfeld.“

Die Zahlen, die er zum Abschied präsentieren kann, lassen den Schluss zu, dass Melsheimer diese Chance genutzt hat: Die Beitragseinnahmen haben sich gegenüber dem Jahr 2002 auf rund 1,5 Milliarden Euro ungefähr verdreifacht, der Gewinn hat sich noch stärker auf einen Rekord erhöht, und die Zahl der Arbeitsplätze am Hauptsitz in Hamburg ist entgegen der Branchentendenz um mehr als 300 auf gut 1200 Personen gewachsen. Allerdings erforderte es einige Anstrengungen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

So gab es, als Melsheimer sein Amt antrat, im Konzern vier unterschiedlich besetzte Vorstandsgremien. Der neue Chef, der zuvor für die Albingia und die Hamburg-Mannheimer gearbeitet hatte, vereinheitlichte die Leitung der Obergesellschaft und der Sparten und führte das Prinzip ein, dass alle Vorstandsentscheidungen einstimmig gefällt werden müssen: „Das schafft einen ungeheuren Teamgeist.“

Hinzu kam die Vorgabe, jedes Jahr mindestens eine Innovation umzusetzen. Eine solche war zum Beispiel die Brillenversicherung, die von der Optikerkette Fielmann vertrieben wird. Mittlerweile gibt es mehr als fünf Millionen Kunden dafür. Die HanseMerkur war zudem nach eigenen Angaben die erste private Krankenversicherung, die eine App für die Leistungsabrechnung anbot. Der technische Fortschritt habe es kleineren Versicherern ohnehin leichter gemacht, sich im Wettbewerb zu behaupten, sagt Melsheimer: „Das Internet gibt uns die Möglichkeit, mit den Branchenführern mitzuhalten – und das höhere Tempo, in dem bei uns Entscheidungen gefällt werden, macht einen Mittelständler beweglicher als die sehr großen Konkurrenten.“

Dennoch muss sich der designierte Nachfolger Melsheimers, der stellvertretende HanseMerkur-Chef Eberhard Sautter, einer nicht zu unterschätzenden Herausforderung stellen: Durch das extrem niedrige Zinsniveau wird es immer schwieriger, die Beiträge der Kunden ertragreich anzulegen. Besonders in der Lebensversicherung ist das ein Problem. Denn in zahlreichen Verträgen ist noch eine Garantieverzinsung von vier Prozent festgeschrieben, während die Rendite aus erstklassigen Staatsanleihen unterhalb von zwei Prozent liegt.

Schon während der Finanzkrise hat der Hamburger Versicherer allerdings eine eigene Bonitätsanalyse für die etwas renditestärkeren Unternehmensanleihen aufgebaut. „Außerdem nutzen wir unsere Kenntnisse der Immobilienmärkte, um Zwischenfinanzierungen für gewerbliche Immobiliengeschäfte anzubieten“, sagt der scheidende HanseMerkur-Chef. Dies könne man zwar nicht in großem Umfang betreiben, aber die hier erzielbaren Zinsen von bis zu acht Prozent seien sehr attraktiv.

Wenn es um die Vermögensverwaltung geht, ist Melsheimer erkennbar in seinem Element; die Beschäftigung mit den Kapitalmärkten war und ist sein Steckenpferd. Dabei hätte ihm auch ein ganz anderer Berufsweg offengestanden: Er stammt aus einer bekannten Winzerfamilie aus Traben-Trarbach an der Mosel und ist heute der Besitzer des traditionsreichen Weinguts. Der Betrieb, der seit 2009 auf ökologischen Weinbau umgestellt hat, wird jedoch von einem Verwalter geleitet. „Ich bin kein Fachmann für die Verarbeitung von Wein, aber ich möchte mich künftig mehr um das Gut kümmern und kann Ideen einbringen, wie man den Wein verkauft“, so Melsheimer.

Auf ihn wartet jedoch noch ein zweites landwirtschaftliches Projekt: An der Müritz hat sich der passionierte Jäger zusammen mit einem Freund schon vor Jahren Ackerland und Forstflächen gekauft, die bisher verpachtet sind. Melsheimer genießt die Tage dort, vor allem die Stunden am frühen Morgen auf dem Hochsitz. „Es geht gar nicht darum zu schießen“, sagt er. „Man erlebt alle vier Jahreszeiten ganz intensiv. Das begeistert mich total.“ Aber auch die wirtschaftliche Nutzung soll nicht zu kurz kommen: „Wir haben jedes Jahr 50.000 Bäume pflanzen lassen“, sagt der 63-Jährige. „Das ist das Nachhaltigste, was man tun kann.“

Das Denken in Quartalsabschnitten, wie es vielen börsennotierten Unternehmen vorherrscht, hält Melsheimer für eine Fehlentwicklung: „Bei der HanseMerkur haben wir ganz ohne Shareholdervalue-Ausrichtung das Eigenkapital versechsfacht.“

Der Eklat um die Wiederwahl zum Kammer-Präses hat ihn getroffen

Auch wenn er sich auf die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Tagesgeschäft bei dem Versicherer freut, macht Melsheimer kein Hehl daraus, dass seine Lebensplanung anders aussah, als sich die Realität für ihn in den nächsten drei Jahren darstellen wird: „Vorgesehen war, dass ich in diesem Jahr beides abgebe – den Vorstandsvorsitz bei HanseMerkur und das Amt des Handelskammer-Präses.“ Rund 240 Kammer-Termine im Jahr neben der operativen Tätigkeit im Hauptberuf seien keine Kleinigkeit gewesen. Als sich jedoch herausstellte, dass keiner der anderen geeigneten Hamburger Wirtschaftsvertreter bereit war, das zeitraubende Ehrenamt anzutreten, erklärte sich Melsheimer bereit, Anfang Mai noch einmal zu kandidieren. Der Eklat um diese Wahl, für die extra die Satzung geändert werden musste, hat den alten und neuen Präses erkennbar getroffen. „Da wurde ein Sachthema für persönliche Anschuldigungen genutzt. Das war eine neue Debattenkultur, von der wir hoffen, dass sie eine Ausnahme bleibt“, so Melsheimer rückblickend.

Die sogenannten Kammer-Rebellen fühlten sich zudem getäuscht, als bald nach der erneuten Kandidatur bekannt wurde, dass Melsheimer bereits im Juni bei dem Versicherer ausscheidet. „Mein Vertrag lief noch bis zum Jahresende“, sagt Melsheimer dazu, „aber der Aufsichtsrat hat mich gebeten, schon früher in das Gremium aufzurücken, weil jetzige Mitglieder die Altersgrenze von 70 Jahren überschreiten.“ Zwar berechtigt die für ihn vorgesehene Position eines Aufsichtsratsvorsitzenden nicht dazu, Kammer-Präses zu sein; dazu muss man Firmeninhaber sein oder eine operative Leitungsfunktion innehaben.

Melsheimer erfüllt aber auch unabhängig von seiner Tätigkeit bei der HanseMerkur dieses Kriterium seit langer Zeit: Er ist Inhaber einer Vermögensverwaltung, die bisher nur für ihn selbst arbeitet. Doch angesichts seines besonderen Faibles für Anlagestrategien wird es dabei wohl nicht bleiben.