Gemüse mit vielseitigem Nutzen: als Dekoration, für Halloween oder als Lebensmittel. Bauern erweitern Anbauflächen – auch im Norden

Braak. Ein Besuch bei Familie Adolf erinnert an eine Reise in eine andere Welt, in ein Märchen. Über die Autobahn 1, vorbei an der Müllverbrennungsanlage Stapelfeld und einem Gewerbegebiet, geht es in die Gemeinde Braak. 927 Einwohner leben hier nach jüngsten Zählungen. So wie die Adolfs: Bernd und Sylvia, die Kinder Lukas und Laura, die Enkelkinder und die Oma. Um sie zu finden, braucht man kein Navigationsgerät. Man folgt einfach wie im grimmschen Märchen Hänsel und Gretel den Hinweisen. Ein Wegweiser hier, ein Schild am Straßenrand dort, und schon landet man auf dem Hof Adolf –im Kürbisparadies.

Von der Hofeinfahrt säumen Kürbisse den Weg zum Hofladen. Nicht nur diese großen Orangen, an die man beim Thema als Erstes denkt. Sondern Kürbisse in jeder Form und Farbe: der lange gelbe Butternut, der ein bisschen wie eine Birne aussieht. Der weiße Patissons, der wegen seiner Form auch Ufo genannt wird. Der basketballähnliche Sweet Dumpling oder die dekorative Bischofsmütze mit der Krone. Der lustige Spaghetti-Kürbis, der beim Kochen in spaghettigleiche Fasern zerfällt oder der blaue Ungar, der wie ein Schnitzel paniert und gebraten wird. Mehr als 100 verschiedene Sorten hat Sylvia Adolf, 56, im Angebot, rund 20.000 Kürbisse werden jährlich geerntet. Und das direkt an der A1, im Einzugsgebiet von Hamburg.

Kürbisanbau in Hamburg? Klingt wie Skifahren auf der Ostsee. Denn obwohl die Erntemenge in den vergangenen Jahren in Hamburg von 303 auf 440 Tonnen und in Schleswig-Holstein von 1038 auf 1912 Tonnen angestiegen ist, liegen die Norddeutschen im Bundesvergleich nur im Mittelfeld. Die Hochburg sind Bayern und Rheinland-Pfalz – und eben Braak. Auf zwei Hektar baut Sylvia Adolf Kürbisse an – bundesweit sind es 2579 Hektar. Damit hat sich die Anbaufläche in den vergangenen zehn Jahren verzehnfacht.

Zur Kürbis-Königin, wie Sylvia Adolf manchmal genannt wird, ist sie eher durch Zufall geworden. Denn eigentlich wurde auf dem Hof Adolf, den die Familie in fünfter Generation betreibt, nur Kartoffeln und Zuckermais angebaut. Bis das Saatgut vor 20 Jahren nicht für die gesamte Ackerfläche reichte und ein Streifen von circa 30 Metern brach lag. „Da wir kurzfristig nur Kürbissamen bekommen konnten, haben wir diese ausgesät“, sagt Sylvia Adolf. Dutzende Male hat sie diese Geschichte erzählt. Erzählt, wie ihnen die Kürbisse im Jahr darauf auf den Märkten aus der Hand gerissen wurden – und sie jedes Jahr mehr ausgesät haben. Erzählt, wie sie den Kürbisanbau von ihrem Mann Bernd übernommen und perfektioniert hat, als die Kinder größer wurden. „Kürbisse sind wie Handarbeit“, sagt sie immer wieder und erklärt, was sie damit meint: Jedes der 2000 Saatkörner wird im April von ihr per Hand in der heimatlichen Küche in einen Torftopf gepflanzt. Jeder dieser 2000 Torftöpfe wird von ihr vier Wochen lang im Gewächshaus viermal am Tag per Hand einzeln gegossen. Einfach den Wassersprenger anmachen und alle Pflänzchen zusammen wässern? Undenkbar! „Dann würden einige zu viel Wasser bekommen und verfaulen. Andere hätten zu wenig und würden vertrocknen“, sagt sie. Die Wassermenge richtig dosieren könne man nur per Hand.

Handarbeit – dieses Wort zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit Sylvia Adolf und ihrem Sohn Lukas, 24, der an der FH Kiel Agrarwirtschaft studiert, und für die Ernte der Kürbisse im September und Oktober zuständig ist. Denn während bei der Aussaat der Tontöpfe in die Erde im Mai noch die ganze Familie im Einsatz ist und sogar die vierjährigen Enkelkinder Anna und Maja von Sylvia Adolf mithelfen, sind bei der Ernte vor allem die Männer gefragt. Schließlich heißt eine der Kürbissorte nicht ohne Grund „Gelber Zentner“. Ein Halloween-Kürbis wiegt rund vier bis fünf Kilo, kann aber auch mal bis zu 45 Kilo schwer sein. Maschinen sind auch hier nicht im Einsatz. Per Hand wird der Stiel des Kürbisses durchgeschnitten, per Hand wird der Kürbis auf den Wagen geladen, per Hand wird er anschließend gewaschen. „Handarbeit ist Knochenarbeit“, resümiert Sylvia Adolf nach fast 20 Jahren im Kürbisgeschäft. Trotzdem, oder gerade deswegen, prognostiziert sie dem Kürbis eine große Zukunft. „Der Kürbis ist der neue Spargel.“

Die Nachfrage ist jetzt schon groß. Im Zuge der Globalisierung und der von Amerika herübergeschwappten Halloween-Welle wird der Kürbis in Deutschland immer beliebter. Insgesamt 69.000 Tonnen Kürbisse wurden 2012 geerntet. Während er früher oft als Arme-Leute-Essen galt oder gleich als Viehfutter verwendet wurde, ist er aus der heutigen Küche gar nicht mehr wegzudenken. „Kochen ist kreativer und gesünder geworden – und der Kürbis gehört einfach dazu“, sagt Gregor Maihöfer, Geschäftsführer des Hotel und Gaststättenverbands Hamburg. Von der Kürbissuppe bis zum Kürbisschnitzel – die Einsatzmöglichkeiten in der Küche sind so groß wir der Kürbis selbst.

Apropos groß: Familie Adolf hat 2011 bei einem Wettbewerb den Preis für den größten Kürbis gewonnen. Der hatte einen Umfang von 206 Zentimetern. Was sich nach einem lustigen Hobby anhört, ist für Familie Adolf aus Braak längst zu einem wichtigen Erwerbszweig geworden – so wie der Zuckermais oder die Milchkühe. „Als Landwirt heutzutage muss man sich etwas einfallen lassen, sonst kann man nicht bestehen“, sagt Lukas Adolf. Deswegen bauen die Adolfs Kürbisse nicht nur an, sondern verkaufen sie auch im hofeigenen Laden und zeigen in Schnitzkursen, wie aus einem Kürbis eine der beliebten Halloween-Fratzen wird. Klingt ein bisschen so wie im Cinderella-Märchen, als aus einem Kürbis eine Kutsche wurde.