Bäckerei Junge aus Lübeck wächst kräftig – auch in Hamburg, wo das Unternehmen 53 Filialen hat. Das Abendblatt schaute in der Nachtschicht vorbei

Lübeck. Im Abstand von wenigen Sekunden wirft die Maschine Teig auf das Fließband. Zwei Bäckergesellen greifen sich die Masse, kneten sie kurz durch, formen sie zu einem Brotlaib und legen sie zurück auf das Fließband. Einen Meter weiter packen zwei weitere Gesellen zu, rollen den Laib erst in Wasser und dann in Dinkel, Sesam, Sonnenblumen- und Kürbiskernen. Über ihnen steht auf einem Bildschirm die Sorte: Dinkel-Plus-Brote stellt das Vierer-Team her. 20 Minuten haben sie noch, um den Teig zu verarbeiten – so sieht es der interne Zeitplan vor. „Sonst leidet die Qualität des Produktes“, sagt Betriebsleiter Sven Hamann.

Es ist 0:56 Uhr. Wer um diese Zeit im Lübecker Industrieviertel mit dem passenden Namen Roggenhorst aus dem Auto steigt, der hat die Nase voll – von Backaromen, die Lust auf ein vorgezogenes Frühstück machen. Bei der Lübecker Bäckerei Junge läuft die Produktion auf Hochtouren. Jeden Tag stellt der Familienbetrieb dort im Dreischichtsystem 7000 Brote und 120.000 Brötchen her. Nachts, in der sogenannten Auslieferungsschicht, werden viele der Brötchen gebacken, die morgens auch in den 53 Hamburger Filialen von den 937 Mitarbeitern verkauft werden.

1986 wagten die Hansestädter den Sprung von der Trave an die Elbe und eröffneten an der Mönckebergstraße die erste Filiale, die noch heute die umsatzstärkste in der Millionenstadt ist. „Mittlerweile sind wir wahrscheinlich die Nummer drei in Hamburg“, sagt Geschäftsführer Christian Fechner. Er leitet das Unternehmen zusammen mit Tobias Schulz und Axel Junge, dessen Urgroßvater den Betrieb einst gründete. Größer seien Dat Backhus und die Allwörden-Gruppe, zu der seit drei Jahren auch Nur hier gehört. Mit ihren insgesamt „übertariflich bezahlten“ 2800 Mitarbeitern in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sind die Lübecker eine der größten Bäckereien in Norddeutschland, deren Einzugsgebiet sich von Preetz im Westen bis Wolgast nahe der polnischen Grenze im Osten erstreckt. Am 24.Oktober soll eine neue Filiale in Elmshorn eröffnen. „Wir wollen stetig wachsen, aber nur das Geld ausgeben, das wir auch haben“, sagt Fechner. Es wäre das 165. Geschäft.

Kein Wunder, dass bei der hohen Zahl der Filialen vieles in der Produktion technisiert ist. Im Computer sind die Rezepte für die 37 Sorten Brot und 29 Brötchenvarianten hinterlegt. Einer der insgesamt 100 Mitarbeiter in der Bäckerei ruft sich das Rezept auf den Touchscreen und sieht sofort die Inhaltsstoffe und das Mischungsverhältnis. Manche Zutaten werden automatisch in die sechs großen Teigmaschinen gefüllt, andere per Hand zugegeben. Im sogenannten Doppelwendekneter werden bis zu 200 Kilogramm innerhalb von sieben Minuten vermengt. „Die schwere körperliche Handarbeit soll erleichtert werden. Wir setzen auf so viel Handwerk wie möglich und so viel Technik wie nötig“, sagt Hamann, der die Herstellung trotz aller Technik und Maschinen am liebsten als Manufaktur bezeichnet.

Insgesamt 30 Tonnen Teig stellt die Bäckerei in Roggenhorst täglich her. Ein Zukauf von Teig, Teiglingen oder gar fertigen Produkten gebe es nicht. „Wir machen alles selbst, kaufen ausschließlich bei heimischen Mühlen und versuchen, heimische Getreide zu verwenden“, sagt Hamann. Gebacken wird in 14 Stikkenöfen. Als Stikken werden große Metallständer bezeichnet, in die knapp 20 Bleche übereinander hineingeschoben und dann direkt in die Öfen gerollt werden können. Das Highlight aber ist die rund 15 Meter lange Backstraße. Sieben Öfen sind übereinander angebracht, deren Temperatur einzeln gesteuert wird. Jeder Ofen fasst bis zu 250 Brote oder 1500 Brötchen.

Es sind riesige Dimensionen – doch den Bäckereien in Deutschland machen kleine Öfen derzeit Sorgen. Vor allem Discounter wie Aldi und Lidl stellen in immer mehr Filialen Backautomaten auf, die Brötchen ab 15 Cent das Stück verkaufen. „Das ist vernünftige bis gute Qualität“, räumt Fechner ein. „Diese Backstationen sind unsere Herausforderung.“ Ums Geldverdienen ginge es den Discountern und Supermärkten dabei nicht, sondern nur um das Anlocken von Kunden. Offenbar mit Erfolg: Wer eine Backstation einbaut, steigere seinen Umsatz um rund zehn Prozent, sagt Fechner: „Der Markt ist sehr hart umkämpft, der Wettbewerb wird immer härter.“ Das Bäckerhandwerk trage die Folgen. Seit Jahren sinkt die Zahl der Betriebe. Gab es 2006 laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks noch 16.280 Unternehmen, waren es Ende vergangenen Jahres nur noch 13.666. „Das große Bäckersterben hat gerade eingesetzt.“

Fechner befürchtet das Aus für ein Stück deutscher Kultur und will in seiner Kette gegensteuern, in dem er den Einkauf zum Erlebnis macht. Freundliches Personal, gute Beratung und ein angenehmes Ambiente mit Ledersesseln im Loungecharakter gehören dazu. Aus den engen Vorkassenzonen zog sich das Unternehmen häufig schon zurück. Das Wichtigste sei aber, mit dem Handwerk dagegenzuhalten: „Wir müssen durch unseren Geschmack überzeugen, mit einer breiten Auswahl an Produkten und einer besseren Qualität.“ Farb- und Konservierungsstoffe seien daher tabu, seit fünf bis sechs Jahren werde nur noch Meersalz verwendet und „glückliches Wasser“, wie es in der Firma heißt. Das kühle Nass läuft über Edelsteine und soll so die ursprüngliche Struktur von Quellwasser wiedergeben. Viele Teige werden schon am Vortag angesetzt, damit sie in Ruhe gären können. Wer die Produktion betritt, muss Kittel und Haube tragen, die Schuhe reinigen, Schmuck abnehmen und Hände waschen und desinfizieren.

Es ist jetzt 2:04 Uhr. Betriebsleiter Sven Hamann kümmert sich um das frische Bauernweizen, das die Backstraße nach 35 Minuten bei 240 bis 265 Grad Celsius herauswirft. Er schaut sich die Kruste des Brotes an, misst mit einem Thermometer die Kerntemperatur, schneidet es an und prüft, ob es zu große Luftlöcher enthält. 200 bis 300 Kilogramm Ausschuss fallen pro Tag an, ein Anteil im Promillebereich. In rund drei Meter Höhe hängt neben der Backstraße ein Förderband von der Decke. Die teilgebackenen Brötchen, die die Mitarbeiter der Tagschicht herstellen, werden darin quer durch die riesige Produktionshalle zum Spiralfroster transportiert. „Alle Weizenbrötchen werden im Laden frisch gebacken“, so Fechner. Das gilt auch für Croissants und Franzbrötchen, die ausschließlich in der Rostocker Bäckerei für den gesamten norddeutschen Markt hergestellt werden.

Körnerbrötchen werden hingegen in Lübeck fertiggebacken, weil sie länger frisch bleiben und dadurch auch die Saaten besser haften. Auf einer kleineren Anlage gegenüber der Backstraße laufen Schrötli-Vital-Brötchen über das Band, werden mit Haferflocken, Sesam und Sonnenblumenkernen dekoriert. Wer die Produkte aus dem Laden kennt, findet die Teiglinge überraschend klein. „Sie wiegen jetzt 25 Prozent mehr als gebacken“, klärt Hamann auf: „Aber nachher sind sie doppelt so groß.“

Wie die Brötchen im Ofen ist auch Junge seit Jahren auf Wachstumskurs. „Der Umsatz hat stetig zugelegt, wir investieren jedes Jahr mehrere Millionen Euro in das Unternehmen, waren immer und sind profitabel“, sagt Fechner. 115 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr erlöst. Zwar versteht sich das Unternehmen immer noch als Bäcker, aber der Speisenverzehr ist immer wichtiger geworden. „Wir müssen uns zunehmend als Gastronom aufstellen“, sagt Fechner. Etwa die Hälfte des Umsatzes kommen nun durch Kaffee, belegte Brötchen, Rührei und Salate in die Kasse. Eine eigene Küche wurde dafür extra in der Zentrale an der Lübecker Hafenstraße eingerichtet, in der auch die Sahnetorten hergestellt werden. Als Trendsetter ist Hamburg besonders wichtig. „Neue Konzepte kommen dort auf den Markt“, sagt Fechner und nennt Coffee- und Nudelshops sowie die Systemgastronomen von Vapiano als Beispiel. „Das ist die größte Herausforderung. Wenn wir in Hamburg bestehen, bestehen wir überall.“

Um „überall“ hinzukommen, setzt Junge seit gut einem Jahr auf einen eigenen Fuhrpark. Mehr als 50 Lastkraftwagen sind im Firmenbesitz. Jeder von ihnen kostet rund 100.000 Euro und ist in drei verschiedene Bereiche untergliedert, um frische, gekühlte und tiefgefrorene Ware zu transportieren. Von 2 Uhr an rollen die ersten von ihnen auf den Hof zu den 19 Toren. Auf der zur Straße liegenden Seite der Halle stapeln sich die roten Kisten mit den Backwaren in drei verschiedenen Zonen. Die 100-Nummern gehören zu den verschiedenen Filialen in Städten wie Lübeck, Preetz und Eutin, die Kisten unter den 300-Nummern werden nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren. Alles mit einer 200-Nummer kommt nach Hamburg in eine der 53 Filialen.

Es ist 3.20 Uhr. Wieder verlässt ein Brummi das Grundstück. Allein rund 15 von ihnen fahren in Richtung Elbmetropole, eine Stunde später sind sie da. Als Erstes wird die Filiale am Paul-Nevermann-Platz angefahren, die als Erste aufmacht. Spätestens um 5.30 Uhr öffnen sich die Ladentüren – und in der Auslage befinden sich nun auch die Dinkel-Plus-Brote, die knapp fünf Stunden zuvor noch in Lübeck-Roggenhorst von Gesellen geknetet wurden.