Sie spielen mit den Sehnsüchten ihrer Opfer, gaukeln ihnen tiefe Gefühle vor – und kassieren sie ab. Internetkriminelle haben eine perfide Masche entwickelt. Ein Hamburger erzählt, wie er ihnen auf den Leim ging.

Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein dicker Leitz-Ordner, er enthält den kompletten E-Mail-Verkehr zwischen Japhet-Raphael Riedl und der Person, die ihn an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. „Da steht alles drin, so hat sie mich eingewickelt und ruiniert“, sagt der 53-Jährige und zeigt auf das Konvolut. Oft hat er sich gefragt, warum es gerade ihn erwischt hat. Einmal habe er über einen Fernsehbericht laut lachen müssen, da ging es um einen Deutschen, der bei einem Betrug durch die sogenannte Nigeria Connection 1,2 Millionen Euro verloren hatte. „Mann, war der doof, dachte ich damals“, sagt Riedl.

Riedl, ein kleiner, hagerer Mann, der mit einem hessischen Akzent in hohem Falsett spricht, kann heute nicht mehr darüber lachen. Denn Riedl ist selber Opfer geworden. Besonders schlimm sind für den 53-Jährigen die Phasen, in denen die Gedanken an „Prisca“ hochkommen. Prisca, die nicht Prisca heißt. Prisca, die Kopfgeburt eines Fremden aus einem fernen Land. Die ihn „Darling“ und „Honey“ nannte und ihm Hunderte von Nachrichten schrieb, bevor sie, die Internet-Liebesbetrügerin, ihn um mehr als 10.000 Euro abzockte. Neulich, als im Halbschlaf die Gedanken wieder endlos in seinem Kopf herumkreisten, dachte Riedl an Selbstmord.

Wenn er heute über Prisca spricht, dann nennt er sie „meinen Love Scammer“ (Liebes-Betrüger). Über die Machenschaften der Kriminellen aufzuklären, ist zu seiner Mission geworden. Und er ist damit nicht allein. Beim Selbsthilfe-Netzwerk-Blog „Romantik-Betrug“ hat Riedl viele Betroffene aus Hamburg gefunden.

Love Scammer treten vielfältig in Aktion, ihr Tatort sind soziale Netzwerke und Singlebörsen im Internet. Sie sitzen irgendwo auf der Welt, häufig in westafrikanischen Ländern wie Ghana oder Nigeria. Ihre Opfer sind Alleinstehende, die nicht allein bleiben wollen. Wie Vampire nähren sie die Sehnsucht ihrer Opfer nach einer festen Bindung – um sie, sobald das Vertrauen hergestellt ist, eiskalt auszunehmen. Die Geschichten, die sie ihren Opfern auftischen, sind stimmig, aber sie stimmen nicht. In den meisten Fällen ist sogar das Geschlecht erlogen. Sie locken mit dem Traumjob, der Traumwohnung, mit falschen Gewinnversprechungen. Oder eben mit der großen Liebe.

Seit einigen Jahren verzeichnet die Polizei in Hamburg eine deutliche Steigerung beim Liebesbetrug, dem Love Scamming, einer Spielart des Vorschussbetrugs. Ayko Wolter ist beim Landeskriminalamt 5 für solche Fälle zuständig. Zwar landen pro Monat nur etwa zwei bis drei angezeigte Liebes-Betrügereien aus dem Hamburger Raum auf seinem Schreibtisch. Doch Wolter weiß: Die Dunkelziffer ist extrem hoch. Manchmal stößt die Polizei nur deshalb auf Opfer des Betrugs, weil ihrer Bank eine extrem ungewöhnliche und meldepflichtige Überweisung in Richtung Nigeria oder Ghana auffällt. Wolter: „Die meisten Opfer schweigen aus Scham.“ Und aus Angst, für einfältig und dumm gehalten zu werden. Besonders Männer machten schnell dicht, sagt der Ermittler.

Japhet-Raphael Riedl aus Rissen nicht. Er will seine Geschichte öffentlich machen, um über die Masche der Love Scammer aufzuklären. Neben einem hohen Kredit schleppt er einige ernsthafte psychische Probleme mit sich herum. „Diese Love-Scamming-Nummer hat mich absolut fertiggemacht“, sagt er.

Im Frühjahr 2011 registrierte sich Riedl, Dauer-Single, zum ersten Mal in einem Dating-Portal, bei Friendscout24. Es dauert nicht lange, da erhält er Post von einer gewissen Prisca Newton. Das Foto zeigt eine hübsche junge Frau, brünett, sexy, angeblich eine US-amerikanische Geschäftsfrau, die in Hamburg lebt. Das Foto ist der Köder, und Riedl beißt gleich an. Dass es sich um das zweckentfremdete Bild eines US-Pornosternchens handelt, erfährt er erst viel später.

Tagelang chatten sie hin und her. Riedl genießt die Aufmerksamkeit. Morgens um sechs Uhr sitzt er vor dem Rechner und hört erst mitten in der Nacht auf. Riedl ist verliebt, und ein bisschen geschmeichelt fühlt er sich auch von so viel Aufmerksamkeit. Der floskelhafte Duktus der Mails von Prisca Newton fällt ihm gar nicht auf. Die Korrespondenz wird rasch vertraulich, sie nennen sich Honey und Darling, träumen von einer finanziell abgesicherten Zukunft. In Hamburg.

Als Garant dieser Zukunft bringt Prisca nach wenigen Tagen ihren Goldschatz ins Spiel. Sie müsse nach Ghana reisen, um das Edelmetall auszulösen. Um die für den Verkauf in Deutschland nötigen Papiere zu beschaffen, benötige sie 2300 Euro für ihren Rechtsanwalt. Honey, kannst du? Riedls Skepsis hält sich da noch in Grenzen, er fragt nur: Warum verkaufst du nicht in Ghana ein bisschen Gold und zahlst so deine Ausgaben? Am Ende zahlt Riedl doch, weil Prisca nie um eine Antwort verlegen ist, und weil das Glück zum Greifen nahe ist.

Natürlich tauchen gleich neue Probleme auf: Das Geld reicht nicht, du weißt schon, Ghana, die Behörden, da muss man ein bisschen tricksen. Plötzlich meldet sich telefonisch Priscas Anwalt unter dem Namen Mr. Hansen und verlangt von Riedl, er solle Schecks in Höhe von 9000 Dollar einlösen. Die Schecks kommen wenige Tage später per Post: Versteckt im Rücken eines Kinderbuches. Riedl hat jetzt kaum noch mit der angeblichen Prisca, sondern mit dem angeblichen Mr. Hansen zu tun.

Als Riedl versucht, die Schecks bei der Reisebank am Hamburger Hauptbahnhof einzulösen, werden sie als illegal identifiziert und eingezogen. „Danach hat Mr. Hansen/Prisca erst richtig Druck gemacht“, sagt Riedl. „Er war unglaublich wütend und forderte die 9000 Dollar von mir.“ Zunächst sträubt er sich, doch er kann nicht die Finger vom Computer lassen. Im Minutentakt ploppen E-Mails von Prisca auf, die ihn anfleht, das Geld zu zahlen, und am Telefon setzt ihn gleichzeitig Mr. Hansen unter Druck. Zermürbt zahlt er – und wird erstmals misstrauisch. Bei einer Google-Recherche taucht der Name Prisca Newton im Zusammenhang mit Scamming auf. „In diesem Moment habe ich einen Stich verspürt, ganz ehrlich, eine Welt ist für mich zusammengebrochen“, sagt Riedl. „Ich fühlte mich so unendlich traurig, ohnmächtig, total leer.“

Besonders perfide: Die Scammer tauschen die E-Mail-Adressen ihrer Opfer untereinander aus. Kurz nachdem Prisca abgemeldet ist, meldet sich eine Person unter dem Namen Annabel Angel bei Riedl. Auch sie schwafelt von Liebe, und Riedl – einsam, verzweifelt, lässt sich erneut einseifen. Aber große Beträge sind bei ihm nicht mehr zu holen. Ein paar Mal schickt er ihr 50 Euro, dann lässt er den Kontakt versanden.

Inzwischen ist Japhet-Raphael Riedl in therapeutischer Behandlung, Rund 10.000 Euro hat er verloren, ein Kredit über 5300 Euro ist noch offen. Bei der Aufarbeitung hilft ihm auch seine Mitarbeit im Netzwerk Romantik-Betrug, das Martina Zielke im Internet gegründet hat. Vor zwei Jahren ist Zielke selbst auf einen Scammer reingefallen, der sich als US-Vier-Sterne-General Michael Scapparoti ausgab. Zielke durchschaute den Schmuse-Schmu schnell und schaffte es sogar, durch einen Trick die wahre Identität des jungen Mannes zu ermitteln. Die 46-Jährige hat viel zu dem Thema recherchiert, über Langzeit- und Kurzzeit-Scammer, über die Liebesbetrüger, die unter Pseudonymen wie Sergeant Jack oder Felix Meinow auf Jagd im Internet gehen. Allein in Hamburg hat Zielke Kontakt zu zehn Betroffenen, ihre Facebook-Seite sei mehr als 28.000-mal geklickt worden. „Wenn man die Täter schon nicht einsperren kann“, so ihr Credo, „dann muss man zumindest laut vor ihnen warnen.“

Zumal die Legenden, mit denen die arglosen Opfer hinters Licht geführt werden, immer ausgefeilter sind. „Ungefähr seit Ende 2012 ist ein Modus Operandi dieser Täter erkennbar“, sagt Ayko Wolter vom LKA 5. Die Betrüger treten seither deutlich professioneller und organisierter in Erscheinung. Wolter und seine Kollegin, die Psychologin Elisabeth Rebernig von der kriminalpsychologischen Einsatz- und Ermittlungsunterstützung, kennen etliche dieser Geschichten.

Rebernig unterteilt den Liebesbetrug in drei Phasen. Mittels einer geklauten Identität stellen die Täter den Erstkontakt her. In Phase 1 erforscht der Scammer die Wünsche und Bedürfnisse seines Opfers, dringt tief in seine Intimsphäre ein. Hat er sich das Vertrauen erschlichen, kommen in Phase 2 die ersten Forderungen. Meist konstruiere der Betrüger eine Geschichte, in der er sich selbst als Opfer Dritter darstellt, die das gemeinsame Glück bedrohen. Das können Gangster sein, die Schutzgeld fordern. Oder auch korrupte Beamte, die erst mit Geld geschmiert werden müssen, damit der „Goldschatz“ auch nach Deutschland geliefert werden kann.

Zentral sei dabei die soziale Isolation des Opfers, um das Risiko von Störungen – etwa durch besorgte Angehörige – zu reduzieren, Motto: „Wir gegen den Rest der Welt.“ Die Täter nutzen so aus, dass Krisensituationen Menschen eng aneinanderschweißen. Immer tiefer entführt der Manipulator sein Opfer in diese in sich logische Welt, immer mehr verliert es die Kontrolle. „Es ist wie eine Gehirnwäsche“, sagt Rebernig.

Einmal in die Falle getappt, ist es für die Betroffenen schwer, sich des Betrügers zu entledigen. Rebernig und Wolter wissen von einem Taxifahrer, der in Schein-Immobilien immer wieder Geld gepumpt hat. Auch zehn Jahre und verlorene 300.000 Euro später glaubte er noch an die Lügengeschichte seines Scammers. Als er nach London kam, um den Verantwortlichen der Bank zu treffen, über die das Geschäft lief, fing ihn an der Eingangstür ein Mittäter ab. Das Wetter sei so schön, man könne doch auch in einem Café über alles reden. Der Hamburger hegte keinen Zweifel. Die Täuschung funktionierte perfekt. Sie tut es noch immer.

Versuchen die Opfer doch, von ihrem Peiniger loszukommen, werden die Daumenschrauben noch enger angezogen – in solchen Fällen arbeiten die Täter eine Art Checkliste ab, sagt Wolter. Nicht selten gelingt es ihnen, das Opfer mit einer Mischung aus Süßholzraspelei, scheinbar plausiblen Geschichten und Vorwürfen („Vertraust du mir nicht?!“) bei der Stange zu halten.

So ist es auch Monika Kaiser (Name geändert), 44, ergangen: Die Harburger Bürokauffrau hatte auf der Dating-Plattform Finya einen „attraktiven 49-Jährigen“ kennengelernt. Sie gab ihm ihre Handynummer, zehnmal täglich rief er bei ihr an. Am Ende hatte sie ihm fast 1500 Dollar überwiesen. Kaiser ging darauf zur Polizei und reagierte weder auf weitere Nachrichten, noch Anrufe – am Ende hatte sie mehr als 2000 E-Mails in ihrem Facebook-Postfach. „Ich hatte das Gefühl verraten und verkauft worden zu sein“, sagt sie. „Trotzdem habe ich um jemanden getrauert, den es gar nicht gab.“

Fatal ist Phase 3. Der Moment, in dem die Opfer den Betrug durchschauen – meist erst dann, wenn sie bis zum letzten Cent „abgemolken“ wurden, Hypotheken auf ihr Haus oder einen Kredit aufgenommen haben und Tausende Euro an die Täter geflossen sind. Nicht weniger schwer wiegen die psychischen Probleme, auch Suizid-Versuche habe es in Hamburg schon gegeben. „Die Opfer fühlen sich regelrecht missbraucht, sie sind verzweifelt, machen sich Vorwürfe, verlieren ihr Grundvertrauen in andere Menschen. Hoffnungslosigkeit macht sich breit“, sagt die Polizeipsychologin. In Rage bringt sie und ihren Kollegen Wolter, dass das soziale Umfeld für die Opfer häufig nur Unverständnis oder Häme übrig hat oder mit Sätzen daherkommt wie: „Wie doof bist du eigentlich?“

„Jeden kann es treffen“, sagt Rebernig, ob Arzt, Anwalt oder Arbeiter. Sie selbst würde sich da nicht ausschließen wollen. Zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens sei jeder Mensch empfänglich für den Liebesbetrug der Love Scammer. „Irgendwann steht bei jedem das emotionale Einfallstor weit offen.“