Mehr als 1000 Jobs in Gefahr. Konzern will seine Umweltbilanz aufpolieren und Braunkohlekraftwerk in Deutschland verkaufen. Beschäftigte planen Demo.

Hamburg. Bei Vattenfall warten derzeit viele der rund 20.000 Mitarbeiter gespannt auf den 7. März. Dann trifft sich der Aufsichtsrat des Unternehmens zur Strategietagung. Es geht um viel an diesem Tag. Denn der schwedische Staatskonzern hat sich in den vergangenen Jahren durch immer neue Zukäufe verschuldet.

Jetzt zieht Vattenfall-Chef Øystein Løseth die Notbremse. Um zu sparen, sollen nach Informationen des Abendblatts auch Stellen gestrichen werden. Mehr als tausend Mitarbeiter könnten in Deutschland betroffen sein - auch in Hamburg. Vattenfall versucht jedoch, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.

Unterdessen setzt das Unternehmen in Deutschland seinen Schrumpfkurs fort. Nachdem schon 2010 kleinere Beteiligungen wie etwa die an den Stadtwerken Kassel abgestoßen wurden, will der Konzern nun erstmals auch einen großen Verkauf tätigen. Ein Kraftwerksblock in Lippendorf bei Leipzig soll den Besitzer wechseln. Damit könnte Vattenfall nicht nur Einnahmen im mehrstelligen Millionenbereich oder sogar in Milliardenhöhe erzielen, sondern auch 400 Mitarbeiter an den neuen Eigentümer übergeben. Das verbessert die Bilanz. Interessenten gibt es aber noch nicht.

Während Vattenfall in einer Pressemitteilung beteuert, dass Deutschland trotz des geplanten Verkaufs weiterhin ein Kernmarkt bleibe, glauben dem Unternehmen nahestehende Personen, dass sich der Konzern bei guter Gelegenheit von weiteren Anlagen trennen wird - obwohl Braunkohlekraftwerke, wie sie Vattenfall betreibt, hohe Gewinne abwerfen. "Was die Deutschen mit den Händen aufbauen, stoßen die Schweden mit dem Fuß wieder um", sagte ein Mitarbeiter.

Vattenfalls größtes Problem ist seine Umweltbilanz. Braunkohlekraftwerke stoßen den Klimakiller CO2 aus. Den Ausstoß dieses Gases will Vattenfall reduzieren und die damit verbundenen Kosten senken. Denn das Unternehmen will seine Erzeugung aus Ökostrom wie Wind, Wasser und Sonne in den kommenden Jahren deutlich ausbauen.

Auch ohne Stellenabbau herrscht derzeit Unruhe im Konzern. Grund sind die Tarifverhandlungen, die bereits zu Warnstreiks führten (siehe Beistück). Am 7. März, dem Tag an dem über die weitere Strategie von Vattenfall entschieden werden soll, ist eine Demonstration vor der Konzernzentrale in Berlin geplant. Auch Hamburger Mitarbeiter wollen daran teilnehmen.

In Schweden hat man inzwischen offenbar keine Lust mehr auf die deutsche Beteiligung. Das konservative "Svenska Dagbladet" hält den Staatskonzern nicht zuletzt wegen seiner deutschen Tochter für "komplett an die Wand gefahren". Das sozialdemokratische "Aftonbladet" nennt ihn einen "arroganten Umweltschurken". Über den 2012 eingebrochenen Gewinn berichtete die Wirtschaftszeitung "Dagens Industri" mit der Schlagzeile "Vattenfalls ausländische Milliardenklatschen". Neben 1,8 Milliarden Euro Verlust aus dem völlig überteuerten Kauf des niederländischen Gaskonzerns Nuon 2009 sei der gleiche Betrag durch den deutschen Atomausstieg sowie den von der EU verordneten Zwangsverkauf des Stromnetzes "in Rauch" aufgegangen.

Dass Vattenfalls Erträge als viertgrößter Stromerzeuger in Deutschland durch klimaschädliche Kohle hoch gehalten werden und das Unternehmen in den Niederlanden auf den fossilen Energieträger Gas setzt, stimmt die Stockholmer Kritiker nicht milder. "Vattenfall investiert weiter in die falschen Energien und liefert der Öffentlichkeit Mogelpackungen über den angeblichen Ausbau nachhaltiger Energien", sagt Martina Krüger von Greenpeace. Auch die zuständigen Minister in Stockholm haben Vattenfall für diese Unternehmenspolitik bereits kritisiert. In Schweden setzt der Konzern weiter auf den Neubau von Atomkraftwerken, in Deutschland werden sie stillgelegt. Die Regierung als Eigner habe bei Vattenfalls Spagat zwischen Umweltrhetorik und faktischem Handeln immer ein Auge zugedrückt, meint die Greenpeace-Sprecherin: "Sie wollten so viel Geld wie möglich für die Staatskasse und sind Vattenfall deshalb auf den Leim gegangen."

"Es ist in Schweden kaum zu vermitteln, warum wir in Deutschland auf Braunkohle setzen müssen", räumt Vattenfalls Kommunikationschef Ivo Banek ein. Das Argument des Hamburgers in der Stockholmer Konzernzentrale: "Deutschland braucht die Braunkohle, und wir brauchen die Einnahmen daraus, um kräftig in nachhaltige Energien investieren zu können."

Die schwedische Regierung finanzierte in den vergangenen Jahren sämtliche Käufe neuer Auslandsbeteiligungen von Vattenfall. Solange sich die Schweden über satte Gewinne vor allem aus Deutschland freuen konnten, war dies kein Problem. Jetzt fließen die Auslandsgewinne wegen geringerer Stromnachfrage und niedrigerer Preise spärlicher. Vereinzelt wird inzwischen schon im Regierungslager für einen Verkauf der deutschen Beteiligungen plädiert. "Es ist hoffnungslos für ein Staatsunternehmen, bei uns den schwedischen Vorgaben für die Klimapolitik zu folgen und in Deutschland denen der deutschen Politiker" sagte der schwedische Wirtschaftspolitiker Carl B. Hamilton. "Hauptsache, sie können teuer verkaufen", meinte er in Richtung der schwedischen Regierung.

"Die Debatte ist absolut relevant, ob wir statt eines internationalen Konzerns wieder ein skandinavischer Regionalversorger sein sollen", sagte Banek. Er selbst habe persönlich als neu ernannter Kommunikationschef vor allem ein Ziel: "Dass wir nicht mehr als so arrogant angesehen werden."